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»Ach ja. Das ist typisch für einen Klotzkopf wie dich. Muskeln wie ein Berg, aber ein Gehirn, das man aufblasen muß, damit es so groß wird wie eine Walnuß! Ihr beiden schlagt euch die Schädel ein, und was sonst noch geschieht, das kümmert euch ja nicht. Sollen die anderen doch vor die Hunde gehen.«

Kim hielt vor Schreck den Atem an, als er hörte, wie Bröckchen mit dem Tatzelwurm verfuhr. Aber erstaunlich genug, der Drache wurde nicht zornig, sondern blickte das kleine Wesen nur sehr lange und sehr nachdenklich an. Dann drehte er mit einem Ruck den Kopf wieder weg, spreizte jäh die Flügel und schoß warnungslos wieder in den Himmel hinauf.

XXIII

Endlich näherten sie sich Gorywynn, dem gläsernen Herzen Märchenmonds. Mehr als einmal auf ihrem Flug vermeinte Kim weit entfernt über dem Horizont ein goldenes Blitzen zu sehen, aber es kam niemals näher, und Kim war auch nicht sicher, ob es wirklich dagewesen war, oder ob er es nur befürchtet hatte. Der Tatzelwurm blieb nervös und reizbar, aber sonst geschah nichts. Falls es Rangarig war, den Kim in der Ferne erblickte, so machte der Tatzelwurm jedenfalls keine Anstalten, seinen Kurs zu ändern und sich auf den verhaßten Feind zu stürzen; ob das aber auf Bröckchens vorlaute Predigt zurückzuführen war oder nicht, das wußte keiner.

Am späten Nachmittag des vierten Tages, seit sie vom Fuße des Schattengebirges aufgebrochen waren, sah Kim einen dunstigen Fleck am Horizont, und wenig später ein rotes Flimmern und Glühen wie von zahllosen Feuern. Auch Peer hatte es bemerkt und reckte den Hals. Selbst Jarrn fuhr aus dem Brüten auf, in das er seit einiger Zeit verfallen war, und beschattete die Augen mit der Hand, um besser sehen zu könne.

Kims Herz begann schneller zu schlagen. Schon seit einer Weile war ihm die Landschaft, über die sie hinwegglitten, immer vertrauter, und das konnte bedeuten - sie näherten sich der gläsernen Stadt. Aber was bedeutete der Feuerschein? Waren sie nun zu spät gekommen?

»Ist das Gorywynn?« fragte Peer, als hätte er Kims Gedanken gelesen.

Kim zuckte unglücklich mit den Schultern. »Ich weiß es nicht«, sagte er wider besseres Wissen.

Peer kniff die Augen zusammen, um mehr erkennen zu können. »Das muß Gorywynn sein«, meinte er. »Ich erkenne den Fluß, und diese Hügelkette da hinten. Aber wo kommt all der Rauch her?«

Die Antwort auf diese Frage kam schneller, als es Kim recht war. Es war die gläserne Stadt, der sich der Tatzelwurm näherte, aber die regenbogenfarbigen Wände und Türme waren kaum zu erkennen, denn sie waren hinter einem dichten Schleier aus Staub und Rauch verborgen, der alles verdunkelte. Das rote Funkeln entpuppte sich als der Schein zahlloser Feuer, die in weitem Umkreis brannten, und schon lange, bevor sie Gorywynn wirklich nahe kamen, hörte Kim ein dumpfes Dröhnen und Rauschen, wie das Grollen einer weit entfernten Meeresbrandung, die sich am Riff brach.

»Sie ... sie kämpfen!« flüsterte Peer entsetzt. »Das sind Priwinns Steppenreiter!« Er fuhr herum und starrte Kim aus angstgeweiteten Augen an. »Wir sind zu spät gekommen.« Kim antwortete nicht. Wie gebannt blickte er vom Tatzelwurm herab auf ein gewaltiges Heerlager. Es mußten Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende von Kriegern sein, die sich in zwei gewaltigen Armeen dort unten versammelt hatten. Aus der großen Höhe herab war es unmöglich festzustellen, wer Freund und wer Feind war, aber Kim sah, daß die beiden Armeen annähernd gleich groß waren. Die Entscheidungsschlacht hatte bereits begonnen!

Auf Kims Befehl ging der Tatzelwurm tiefer, so daß sie mehr Einzelheiten erkennen konnten. Kim sah jetzt, daß es genau umgekehrt war, wie er vermutet hatte - es waren Priwinns Steppenreiter und ihre Verbündeten, die Gorywynn belagerten, und die Flußleute und deren Vasallen, die die Stadt besetzt hatten und sich auf dem Feld davor zur Verteidigung formierten. Kim und Peer waren im rechten Moment gekommen, um den Beginn des entscheidenden Sturms auf die Stadt mitzuerleben.

»Nein«, flüsterte Kim verzweifelt. »Wir müssen sie aufhalten.«

Vergeblich versuchte er, in der ungeheuren Menge unter sich den König der Steppe auszumachen. Aber selbst wenn er ihn entdeckt hätte - was hätte er schon tun können? Priwinn würde sicherlich nicht das Schwert aus der Hand legen und seinen Truppen den Rückzug befehlen, nur weil ihn Kim darum bat, überlegte er verzweifelt.

Der Tatzelwurm war über das Schlachtfeld hinweggebraust und kehrte nun in einer weit ausholenden Schleife wieder zurück. Beim erstenmal waren sie so schnell darüber hinweggeflogen, daß man dort unten wohl nur den gewaltigen Schatten und das mächtige Rauschen der Drachenschwingen gewahrt hatte. Aber nun wandten sich mehr und mehr Blicke zum Himmel, und trotz des Lärms unter sich konnte Kim einen vielstimmigen, entsetzten Aufschrei hören, als die Soldaten beider Heere den Tatzelwurm erkannten. Bei seinem Anblick vergaßen sie für einen Moment sogar den Kampf, den sie ausfochten. Eine Woge aus Panik schien dem Schatten des Drachen zu folgen, sobald er nur auftauchte. Überall kam der Kampf zum Erliegen, und für Sekunden hörten sie nichts anderes als die gellenden Schreckenschreie der Krieger. Schon brausten sie schnell wie der Wind ein zweites Mal über die Heere hinweg, und Kim befahl dem Tatzelwurm, langsamer zu fliegen und gleichzeitig tiefer zu gehen.

Und als sie sich das dritte Mal dem Feld vor den gläsernen Mauern näherten, da sah Kim endlich, wonach er suchte - in der vordersten Front, dort, wo Reiter und Fußtruppen beider Heere mit unerbittlicher Wucht aufeinandergeprallt waren, entdeckte er die mattschwarze Rüstung des Freundes und unmittelbar daneben eine alles überragende, mit einer gewaltigen Keule bewaffnete Gestalt: Gorg.

Als wäre die abermalige Rückkehr des Drachens ein Signal gewesen, hob der Kampf plötzlich überall mit unverminderter Wucht wieder an. Die Heere prallten mit vernichtender Kraft aufeinander, und erneut hallte der weite Platz wider vom Klirren der Waffen, von Wutgeheul und Schmerzenschreien. Priwinns Armee schien die Oberhand zu haben. Langsam, aber beständig wurden die Flußleute und ihre Verbündeten weiter auf die gläsernen Wälle zurückgetrieben, so verbissen sie sich auch wehrten. Es waren nicht nur Steppenreiter, denen sie gegenüberstanden - zwischen den in braunes Leder gehüllten Männern aus Caival-Ion erkannte Kim auch die Mitglieder zahlreicher anderer Völker - zu seinem großen Erstaunen waren selbst Baumleute darunter. Wer hätte gedacht, daß dieses friedliebende Volk in der Lage war, zu kämpfen. Und doch entdeckte er mehr und mehr von ihnen, als wären sie alle gekommen, um den Tod ihres Baumes zu rächen. Und gerade dieser Anblick war es, der Kim besonders schmerzhaft klarmachte, wie hoch der Preis war, den die Völker Märchenmonds dafür zahlten, Priwinns Weg zu gehen.

Der Tatzelwurm kreiste dicht über dem Schlachtfeld. Manchmal traf ihn ein vereinzelter Speer oder ein Pfeil, prallte aber wirkungslos ab. Kim spürte, wie der Drache immer unruhiger wurde. Seine gewaltigen Krallen öffneten sich und schnappten in die leere Luft, seine Kiefer mahlten, als giere er danach, irgend etwas zu packen und zu zerreißen. Er wußte nicht, wie lange sich der Tatzelwurm noch beherrschen konnte. Er war schließlich ein Ungeheuer, das schlimmste und gefährlichste, das es in Märchenmond gab. Und daß sie bis jetzt Verbündete waren, hieß nicht, daß er ob all dieses Kämpfens und Tötens, all dieses Blutes und des Geruches des Schlachtfeldes nicht wieder zu seiner wahren Natur zurückkehren würde.

Plötzlich erblickte Kim etwas, was ihn seine Sorge um den Tatzelwurm schlagartig vergessen ließ: Das Heer der Steppenreiter hatte einen Keil gebildet, der sich verbissen auf Gorywynns Tore zuschob, wobei er die feindliche Armee spaltete. Aber was für die Reiter dort unten wie ein Zurückweichen der Flußleute aussehen mochte, das wirkte aus der Höhe betrachtet ganz anders. Kim sah deutlich, daß es nicht nur die ungestüme Wut des Angriffs war, der die Reihen der Flußleute wanken ließ. Vielmehr wichen sie Schritt für Schritt vor dem Feind zurück, nur um sich dicht hinter ihm wieder zu versammeln. Es war eine Falle, begriff Kim entsetzt. Offensichtlich hatten die Flußleute den Steppenkönig erkannt und versuchten nun, ihn in ihre Gewalt 2u bringen. Und es sah ganz so aus, als würde es ihnen gelingen. »Priwinn!« schrie Kim so laut er konnte. »Gib acht! Das ist eine Falle!«