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Die Flußleute, die nicht hatten fliehen können, versuchten sich hinter die Mauern zurückzuziehen, aber ihre Verfolger setzten ihnen nach. Das gläserne Torgewölbe hallte wider vom Schreien und Waffenklirren. Kim mußte sich heftig seiner Haut wehren, doch viel mehr erfüllte ihn der Gedanke mit kaltem Grauen, daß nun sie es waren, die mit der Waffe in der Hand zum Sturm auf Gorywynn ansetzten. Alles schien auf den Kopf gestellt zu sein. Die Guten waren böse geworden, die Bösen gut - und wer wußte noch, was Recht war und Unrecht.

Dann entdeckte er Priwinn. Dieser hatte sein Schwert wieder aufgehoben und befand sich abermals an der Spitze seiner Leute, die die zurückweichenden Feinde Schritt für Schritt verfolgten.

Kim schrie mehrmals Priwinns Namen, aber seine Stimme ging im Lärm des Kampfes unter, und obwohl er bald jede Rücksicht fahren ließ und ebenso wild darauf losdrosch wie die anderen, gelang es ihm nicht, sich Priwinn zu nähern, denn die Flußleute hatten sich jenseits der Mauern zu einem letzten, verzweifelten Widerstand formiert, so daß davor ein heilloses Gedränge entstand.

Endlich wurde die Abwehr der Flußmänner schwächer, und die Angreifer stürmten unter dem triumphierenden Geschrei aus Hunderten von Kehlen nach Gorywynn hinein, wobei Kim einfach mitgerissen wurde.

Eine innere Stimme warnte ihn, daß das, was sie taten, falsch war, daß sie die Schwerter fortwerfen und versuchen sollten, diesen Kampf zu beenden. Doch ein anderer Teil in ihm verspürte plötzlich einen rasenden Zorn auf die Flußleute und ihre Verbündeten, und dieser Teil war im Augenblick ungleich stärker als die Stimme der Vernunft. Schon fand sich Kim wie Priwinn in vorderster Linie kämpfend wieder, und er schwang das Schwert so gekonnt und sicher und schnell wie einst in der Schlacht gegen die schwarzen Reiter des Zauberers Boraas.

Natürlich war es ein Zufall - aber der Widerstand zerbrach endgültig in genau dem Moment, als Kim neben dem Steppenreiterkönig anlangte und sich an seine Seite stellte. Alle seine Hemmungen waren wie weggefegt. Er spürte keinerlei Bedenken mehr, ja es kam ihm nicht einmal in den Sinn, daß er in diesem Kampf verletzt oder gar getötet werden könnte. Das Schwert in seiner Hand gab ihm ein Gefühl von Macht und Unverwundbarkeit, das gleiche, ebenso berauschende wie trügerische Gefühl von Sicherheit, das all die Männer rings um ihn herum verspürt haben mochten, als die Schlacht begann; auf beiden Seiten.

Priwinn wehrte einen feindlichen Schwerthieb ab, verschaffte sich mit einem gewaltigen, beidhändig geführten Schlag seiner Zauberwaffe Luft und klappte das Visier seines Helmes hoch. Sein Gesicht wirkte erschöpft und glänzte vor Schweiß, aber in seinen Augen stand ein strahlendes Lächeln, als er Kim ansah. »Ich wußte, daß du kommen wirst«, sagte er.

»Wo ist Gorg?« schrie Kim anstelle einer Antwort zurück. »Lebt er noch?«

Priwinn machte eine Bewegung, die eine Mischung zwischen Nicken und Achselzucken war. »Ich denke schon«, antwortete er. »Dem kann so bald nichts anhaben.«

»Ich sehe mal nach!« schrie Bröckchen, hüpfte von Kims Schulter herunter und verschwand im Kampf getümmel, ehe dieser ihn zurückhalten konnte. Fast im gleichen Moment löste sich da ein schwarzer Schatten mit gelben Augen von Priwinns Gestalt: Es war Sheera, der sich dem Freund anschloß. Wieder wurden sie angegriffen, und sie mußten sich Schulter an Schulter mit erbitterter Kraft ihrer Haut wehren. Die Gegner hatten wohl eingesehen, daß die Schlacht für sie verloren war, aber sie schienen entschlossen, so viele ihrer Feinde mit in den Untergang zu reißen, wie sie nur konnten. Sie griffen nun ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben an und verlangten den langsam vorrückenden Steppenreitern einen furchtbaren Blutzoll ab. Es gab jetzt keine Schlachtordnung mehr wie anfangs, als die beiden Heere aufeinanderprallten, sondern unzählige Grüppchen, die in verbissene Handgemenge verstrickt waren. Kim versuchte mehrmals, Priwinn zum Stehenbleiben zu bewegen, damit er mit ihm reden konnte, aber der hörte ihm gar nicht zu. Er kämpfte wie in einem Rausch. Sein Schwert schnitt durch Rüstungen und Stoff, zerschmetterte Waffen und Schilde und Panzer, und Kim verspürte jetzt wieder einen wachsenden Schrecken bei diesem Anblick. Es war das zweite Mal, daß sie Seite an Seite in einer Schlacht kämpften, in der es um nichts weniger als die Rettung Märchenmonds ging, und doch war es diesmal anders, auf furchtbare Weise anders. Der Kampf gegen Boraas' schwarze Reiter war nicht minder ernst und tödlich gewesen als dieser, und trotzdem hatte es einen grundlegenden Unterschied gegeben: In der Schlacht um Gorywynn waren sie damals die Verteidiger gewesen gegen das Böse, jetzt aber ...

Da erlahmte langsam auch dieses letzte Aufflackern des Kampfes. Durch das zerschmetterte Tor drangen mehr und mehr Steppenreiter mit ihren Verbündeten herein und überrannten den Feind. Und endlich konnte Kim keuchend sein Schwert senken und stehenbleiben. Sein Herz raste. Er war in Schweiß gebadet, und er blutete aus einem Dutzend zwar harmloser, aber doch schmerzhafter Schnitte und Stiche, die er sich eingehandelt hatte, ohne sie bisher überhaupt zu bemerken. Schwäche stieg in seinem Körper empor und schien seine Glieder in Blei zu verwandeln.

Aber es war noch nicht vorbei. Er wollte sich erschöpft an Priwinn wenden, aber der schnitt ihm einfach das Wort ab. »Themistokles!« rief der Steppenreiter erregt. »Wir müssen zu ihm. Wenn sie ihn gefangennehmen, dann war alles umsonst!«

So sehr der Gedanke, daß der Kampf noch nicht vorbei sein sollte, Kim auch entsetzte - er sah ein, daß Priwinn recht hatte. Zweifellos würden die Flußleute versuchen, Themistokles in ihre Gewalt zu bringen. Denn obwohl alt und schwach geworden in letzter Zeit, galt er noch immer als mächtiger Zauberer, der zu einer Gefahr für sie werden konnte. Und zweifellos wußten sie auch, daß er ihr letztes Unterpfand sein mochte, ein Druckmittel, mit dem sie sich zwar nicht den Sieg, aber günstige Bedingungen für den Rückzug erzwingen konnten. Ja, Themistokles schwebte in großer Gefahr. Deshalb schloß sich Kim den Steppenreitern an, um in die stolze Burg Gorywynn zu stürmen.

Hinter dem Tor und wohl auch auf dem Feld davor war der Kampf beendet, aber je tiefer sie in die verwinkelten Gassen eindrangen, desto öfter stellten sich ihnen noch vereinzelte Kämpfer in den Weg und versuchten, sie aufzuhalten. Es war vor allem Priwinn, der, durch seine Rüstung geschützt und beinahe unverwundbar, den Weg für sie ebnete, aber sie waren nicht mehr vollzählig, als sie den Palast erreichten. Hier kam es noch einmal zu einem letzten, erbitterten Ringen, als sich ihnen gut zwei Dutzend Flußpiraten entgegenwarfen. Dann hatten sie auch dieses letztes Hindernis überwunden. Kim stürmte mit Priwinn die gläserne Treppe zum Turm des Zauberers hinauf. Kim hatte damit gerechnet, noch einmal auf erbitterten Widerstand zu stoßen, aber das gewaltige Burgschloß schien wie ausgestorben. Hier und da sahen sie Spuren der Flußleute - ein achtlos weggeworfenes Schwert, ein vergessenes Kleidungsstück, einmal einen Schuh, der mitten auf der Treppe lag, aber nichts rührte sich und niemand behinderte sie auf ihrem Weg hinauf in den Turm.