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Das war nun eine Auskunft, die Kim nicht besonders weiterhalf - aber er beschloß, trotzdem auf Bröckchens Warnung zu hören und auf der Hut zu sein.

Er stieg langsam weiter hinab und rutschte schließlich in die Mitte einer Sprosse. Hier unten, fast am Boden, war der Wind nicht mehr so stark, daß er sich unentwegt festhalten mußte. Dabei behielt er die Gestalt, die er aus der Höhe herab entdeckt hatte, ununterbrochen im Auge.

Es schien sich um einen Mann zu handeln; einen sehr hochgewachsenen, breitschultrigen Mann, der dunkle Kleidung trug. Er stand völlig reglos da und hatte ihnen den Rücken zugewandt. Er bewegte sich auch nicht, als die beiden immer näher kamen und er eigentlich Kims Schritte hätte hören müssen. Der Mann stand einfach da, reglos, den rechten Arm halb erhoben und wie nach einem unsichtbaren Halt ausgestreckt. Zur Vorsicht kam in Kim nun Furcht hinzu. Obwohl sie dem Mann jetzt ganz nahe waren, konnte Kim ihn nicht richtig erkennen, denn das Licht der Sonne verlor rasch an Kraft, und hier unten am Fuße der gewaltigen Felsmauer hatte bereits die Dämmerung Einzug gehalten. Der Körper dort erhob sich nur noch wie ein schwarzer Umriß vor einem nicht wesentlich helleren Hintergrund. Aber er wirkte zu groß. Zu massig.

Bröckchen räusperte sich unter seinem Hemd. »Kim?«

»Ja?« Kim ließ die unheimliche Gestalt nicht aus den Augen. »Es wird dunkel«, sagte Bröckchen.

»Ich weiß«, antwortete Kim.

»Nun ja, ich dachte, es wäre dir lieber, wenn ich ... wenn ich nicht unter deinem Hemd bin, wenn ich ...«

Bröckchen sprach nicht weiter, aber Kim hatte es plötzlich sehr eilig, den Federball unter seinem Hemd hervorzuzerren und neben sich auf die Treppenstufe zu setzen. »Danke«, sagte dieser. Dann konzentrierte sich Kim wieder auf die Schattengestalt. Der Mann hatte sich immer noch nicht gerührt, obwohl er schon hätte taub sein müssen, um ihre Stimmen nicht zu hören, wenn ihm schon das Dröhnen von Kims Schritten auf dem widerhallenden Eisen der Treppe entgangen war. Und Kim war auch plötzlich gar nicht mehr so sicher, daß es überhaupt ein Mann war ... Vorsichtig trat er von der letzten Stufe der Treppe herunter, umging die Gestalt in respektvollem Bogen und näherte sich ihr von der Seite.

Seltsam! Es war eine riesige, sicherlich zwei Meter große und breitschultrige Gestalt, die ganz aus rostigem, zernarbtem Eisen bestand. Ihre rechte Hand war schlank und hatte dünne, überaus gelenkig wirkende Finger, die in einer zupackenden Geste erstarrt waren; die linke stellte eine fürchterliche Eisenkralle dar, wie eine Baggerschaufel, nur kleiner, wenn auch wahrscheinlich nicht sonderlich schwächer.

Kims Herz begann plötzlich wieder wie rasend zu hämmern, als ihm schlagartig einfiel, wo er eine solche Gestalt schon einmal gesehen hatte ...

Trotzdem ging er vorsichtig weiter. Jeden Moment darauf gefaßt, die eiserne Gestalt herumfahren zu sehen. Sprungbereit, um sofort die Flucht zu ergreifen, umkreiste Kim den unbeweglichen Riesen, bis er sein Gesicht sehen konnte.

Besser gesagt: die Stelle, wo sein Gesicht sein sollte ... Kim atmete auf. Was er sah, glich dem Roboter, der ihn im Haus seiner Eltern angegriffen hatte. Aber wo bei jenem die furchteinflößende Eishockey-Torwartmaske mit dem grünen Leuchtauge gewesen war, da gähnte bei dieser Gestalt ein rundes Loch, durch das man direkt in seinen Schädel hineinblicken konnte. Und der war vollkommen leer. Kim konnte das rostzerfressene Eisen seines Hinterkopfes erkennen.

»Was ist das?« fragte Bröckchen. Seine Stimme hatte sich ein wenig verändert.

»Ich ... bin nicht sicher«, meinte Kim stockend. »Ich dachte, ich hätte jemanden wie ihn schon einmal gesehen. Aber jetzt...« Er zuckte mit den Schultern, ließ den Satz unvollendet und näherte sich - noch immer sehr vorsichtig, aber jetzt schon weniger ängstlich - dem eisernen Mann. Behutsam stellte er sich auf die Zehenspitzen, warf einen letzten sichernden Blick auf die reglos herabhängende Schaufelhand des Riesen und lugte dann zu seinem Schädel hinauf.

Ein Schatten sprang ihn an, zerkratzte ihm das Gesicht und stob keifend und flügelschlagend davon. Kim schrie auf. Er taumelte zurück und fand erst im letzten Moment sein Gleichgewicht wieder. Verblüfft blickte er auf. Ein kleiner schwarzer Vogel schwang sich hoch in die Luft und begann schimpfend über Kim zu kreisen. Noch vorsichtiger stellte sich Kim zum zweitenmal auf die Zehenspitzen und blickte zu dem gewaltigen Eisenkopf hoch.

Ja, der Schädel war leer. Mehr noch, aus der Tiefe der metallenen Rüstung drang ein wehleidiges Piepsen und Fiepen, und darüber am Himmel schrie wütend der Vogel - offensichtlich hatte er die leere Höhle des Körpers dazu benutzt, sein Nest hineinzubauen. Jetzt bangte er um seine Jungen.

»Das ist seltsam«, murmelte Kim, während er wieder von der Gestalt zurücktrat.

»Was ist seltsam?«

»Dieses Ding.« Kim deutete auf den eisernen Riesen. »Es ist völlig leer.«

»Vielleicht hat ihn jemand aufgefressen«, vermutete Bröckchen. »Und die Schale stehenlassen? Sie sieht ziemlich hart aus.«

Kim lächelte, wurde aber sofort wieder ernst. »Kaum«, sagte er. »An dem, was da drin war, würdest du dir die Zähne ausbeißen.« Er schüttelte den Kopf, trat ein paar Schritte zurück und sah sich nachdenklich um. Erst jetzt fiel ihm auf, im welch sonderbarer Haltung die leere Hülle dastand. Ihr rechter, halb erhobener Arm schien mit ausgestreckten Fingern nach Süden zu deuten - oder waren sie gar nicht ausgestreckt? Eigentlich, überlegte Kim, waren sie eher gespreizt, als wären sie erstarrt, während sie zupackten. Aber was hatte der Riese packen wollen? Etwas, das ihn angriff? Oder das ganze weite Land, das sich vor ihnen ausdehnte? Kim schauderte bei dem Gedanken. Er sah sich weiter um.

Nach einer Welle entdeckte er einen zweiten, reglosen Schatten, der nicht einmal sehr weit entfernt dastand. Ein weiterer Roboter. Auch er war hohl wie der erste, aber in nicht annähernd so gutem Zustand. Sein Körper wies zahllose, ausgefranste Löcher und gewaltige Dellen auf, ein Arm fehlte, und jemand schien seinen Hohlkopf genommen und damit Fußball gespielt zu haben, denn er lag meterweit entfernt und war vollkommen eingedellt. Und auch dieser war nicht der letzte.

Nachdem sie erst einmal richtig angefangen hatten zu suchen, fanden Bröckchen und Kim fast ein Dutzend der gewaltigen, rostzerfressenen Gestalten, die in der Nähe der Treppe herumstanden und -lagen, zum Teil fast bis zur Unkenntlichkeit zerstört, manche fast unbeschädigt, aber leer und tot. Und das war noch nicht alles. Zwischen den Gestalten lagen Unmassen von Trümmern auf dem Boden - verbogene Eisenstangen, rostige Zahnräder, die jedes größer waren als Kim selbst, Teile von geheimnisvollen Maschinen, deren Funktionen Kim nicht erkennen konnte. Oder einfach zernarbte, kantige Brocken von braunroter Farbe, die bei der leisesten Berührung zu Staub zerkrümelten. Es war, als bewegten sie sich über einen gewaltigen Schrottplatz, der schon vor Jahrhunderten verlassen worden war. Unheimlich, dachte Kim fröstelnd. Er war jetzt froh, daß es immer schneller dunkelte und sie fort mußten. Sie wanderten in Richtung Süden und konnten so dem Tageslicht wenigstens noch eine halbe Stunde folgen.

V

Sie holten den Tag noch einmal ein, als sie aus dem Schatten der Felswand herauskamen. Die Sonne hatte sich in einen roten Feuerball verwandelt, der nurmehr einen Fingerbreit über dem Horizont stand, und die Schatten waren länger geworden. Aber Kim hatte von der Riesentreppe aus aufmerksam die Landschaft unter sich beobachtet und gesehen, daß es ein kleines Gehöft ganz in der Nähe gab. Mit ein wenig Glück konnte er es bis Einbruch der Dunkelheit erreichen; spätestens kurz danach.

Er schritt schnell aus; vielleicht schneller, als nötig gewesen wäre, und es war wohl nicht nur seine Unruhe und die Sehnsucht, endlich Auskunft zu erhalten, die ihn zu dieser Eile trieben. Die Versammlung erstarrter, hohler Eisengestalten und die Anhäufung der rostigen Metallteile hatten ihn erschreckt; und sie verwirrten ihn zutiefst. Sie waren etwas, das einfach nicht in dieses Land paßte; so wenig, wie ein geflügelter Drache in Kims Heimat gepaßt hätte. Und je länger er darüber nachdachte, desto unheimlicher kam ihm auch die gewaltige Treppe an der Felswand vor. Wer in diesem Land sollte eine solche Treppe bauen - und vor allem: warum? Solange und sooft er auch darüber nachdachte, es ergab einfach keinen Sinn. Es wurde wirklich Zeit, daß er Themistokles und seine Freunde wiedersah, um ihnen Fragen zu stellen. Sehr viele Fragen.