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»Was ist mit dem Fisch, den du mir versprochen hast?« drang Bröckchens Stimme in Kims Gedanken. Kim drehte im Gehen den Kopf und sah etwas Orange-Rotes, Flauschiges neben sich durch das wadenhohe Gras wuseln. »Es wird bald dunkel. Und so blind wie du bist, fängst du nachts ganz bestimmt nichts.«

Kim kramte einen Moment in seiner Erinnerung, dann besann er sich, aus der Höhe auch einen Bach gesehen zu haben, der sich unweit der Felswand durch das Gras schlängelte. Er war nicht sehr weit entfernt gewesen, nicht einmal auf halbem Wege zu dem Hof, auf den er jetzt zuging.

»Gleich«, sagte Kim. »Da sollte irgendwo ein Bach sein. Wir müssen einfach nur geradeaus gehen.« Ohne anzuhalten, griff er in die Tasche, zog seine Angelschnur und den improvisierten Haken heraus und wickelte alles vorsichtig auseinander.

Tatsächlich erreichten sie wenig später den Bach, und wie am Morgen begann die Leine in den Händen zu zucken, kaum daß Kim ihr Ende ins Wasser geworfen hatte. Der Fisch, den er diesmal herauszog, war noch größer als der erste, und der Federwusch stürzte sich mit einem begeisterten Schnauben darauf, kaum daß Kim seinen Fang vom Haken gelöst hatte. Zwar schien Bröckchen bei Tage weitaus bessere Tischmanieren zu haben als bei Dunkelheit - aber sein Appetit war um keinen Deut geringer. Unter Kims verblüfften Blicken vertilgte er den Fisch, der sein eigenes Körpergewicht um ein Mehrfaches übertreffen mußte, binnen kurzem. Erst als er fast bei der Schwanzspitze angekommen war, hielt er inne, sah auf und blinzelte Kim schuldbewußt an. »Oh«, murmelte er. »Jetzt habe ich dir gar nichts übriggelassen. Ich ... ich hatte ganz vergessen, daß du auch etwas davon haben wolltest. Entschuldige bitte.«

Kim winkte großzügig ab. Der Anblick des weißen Fischfleisches hatte ihn daran erinnert, daß er seit zwei Tagen nichts gegessen hatte. Sein Magen knurrte mittlerweile so laut, daß er durchaus bereit gewesen wäre, auch rohen Fisch zu essen. Aber es war nicht mehr weit bis zu dem Haus, das er gesehen hatte. Dort würde er sicher etwas zu essen bekommen.

»Das macht nichts«, sagte er. »Iß dich ruhig satt. Ich ... bin nicht so hungrig.«

»Du bist wirklich ein schwacher Esser«, murmelte Bröckchen und verschlang auch noch die Schwanzspitze und die Gräten des Fisches. Dann rülpste er. Aber etwas zurückhaltender als letzte Nacht. Eigentlich war es nur ein kleines Bäuerchen. »Gehen wir weiter?« fragte er, während er sich genüßlich mit der Zunge über die Lippen leckte.

Kim stand auf, zögerte aber, den Bach zu durchwaten, obwohl er kaum zwei Meter breit und allerhöchstens einen halben tief war. »Ich glaube, ich finde den Weg von hier aus allein«, sagte er. »Du mußt nicht weiter mitkommen - wenn du nicht willst«, fügte er etwas hastig hinzu.

Bröckchen blickte ihn fast vorwurfsvoll an, dann drehte er sich um und sah zur Felswand zurück. Sie war bereits in Dunkelheit gehüllt und nur noch als gewaltiger Schatten zu erkennen, hinter dem die Welt einfach aufzuhören schien. »Die Treppe wieder hoch?« murmelte er schaudernd. »Und noch dazu bei Nacht?« Er schüttelte sich. »Ich glaube, ich bleibe noch eine Weile. Eigentlich ist es ganz nett hier.«

»Vielleicht findest du ja später einen leichteren Weg zurück nach Hause«, meinte Kim. Er fühlte sich ... sonderbar. Ja, er hatte angefangen, Sympathie für dies seltsame Wesen zu empfinden. Und es war ihm im Grunde gleichgültig, in welcher Gestalt es vor ihm saß.

»Vielleicht«, sagte Bröckchen. »Ich könnte dich ja noch ein Stück begleiten. Ich meine, nur um sicherzugehen, daß du auch wirklich an dein Ziel kommst.« Plötzlich kicherte er. »Vielleicht fängst du mir noch einen Fisch? Später, meine ich?«

Kim lachte. »Einverstanden. Und meine Angel schenke ich dir noch dazu. Vielleicht lernst du, damit umzugehen.« So brachen sie auf. Das Gelände, durch das sie marschierten, veränderte sich beständig - mal überquerten sie Wiesen voller bunter Wildblumen, mal kämpften sie sich mühsam ihren Weg durch stacheliges Unterholz oder tasteten sich halbblind durch kleine Waldstücke, in denen die Nacht bereits Einzug gehalten hatte. Dann wurde es endgültig dunkel, und als Kim sich das nächste Mal zu seinem Begleiter herumdrehte, da sah er statt eines orange-roten Federballes ein stacheliges Etwas hinter sich durch das Gras kriechen.

»Hör mal«, sagte er. »Wenn wir zu dem Gehöft kommen, dann wäre es vielleicht besser, wenn... ich meine ... du solltest vielleicht...«

»Ja?« erkundigte sich Bröckchen, als Kim vollends ins Stammeln geriet und schließlich abbrach.

Kim atmete hörbar ein. »Ich meine, es wäre vielleicht besser, wenn man dich nicht sieht«, sagte er. »Falls du verstehst, was ich meine.«

Bröckchen antwortete nicht darauf, aber nach einigen Augenblicken, in denen sie in unbehaglichem Schweigen nebeneinander hergegangen waren, sagte es deutlich hörbar: »Hunger.«

Kim blieb stehen. »Das ist doch nicht möglich«, antwortete er. »Du hast doch gerade erst einen Fisch verputzt, der -«

»Ich rede doch nicht von mir«, unterbrach ihn Bröckchen. »Ich meine den da!«

Die beiden letzten Worte hatte er schon geschrien, und als Kim herumfuhr und in den Wald hinter sich blickte, da schrie auch er vor Schrecken auf und riß unwillkürlich die Hände hoch.

Hinter ihnen erhob sich ein wahrhaft gigantischer Schatten. Zuallererst glaubte Kim, daß einer der Eisenmänner aus seiner Erstarrung erwacht und ihnen gefolgt wäre, aber dann erkannte er, daß der Umriß noch größer und wuchtiger war als diese und außerdem struppig. Das dumpfe Knurren, das eine Sekunde später an sein Ohr drang, wäre gar nicht mehr nötig gewesen, um ihn begreifen zu lassen, was da so plötzlich hinter ihnen aus der Dunkelheit aufgetaucht war.

Es war ein Bär!

Bröckchen kreischte und verschwand wie der Blitz im Unterholz. Darauf machte der Bär einen tolpatschig wirkenden Schritt und erhob sich mit einem wütenden Knurren auf die Hinterläufe. Kim sah, wie sich das Sternenlicht auf einem einzelnen, glitzernden Auge widerspiegelte.

Mit einem Entsetzensschrei prallte Kim zurück, als die gewaltige Bärentatze nach ihm schlug. Der Hieb verfehlte ihn, aber der bloße Luftzug riß ihn schon von den Füßen und ließ ihn ins Gras fallen. Rasch rollte er sich herum, warf schützend die Arme über den Kopf und sprang gleichzeitig wieder auf die Füße. Der Bär knurrte und versetzte ihm einen Stoß vor die Brust, daß Kim alle seine Rippen knacken hörte, und er wäre abermals gestürzt, hätte er sich nicht taumelnd an einen Baum festgeklammert.

Nicht für lange.

Er ließ seinen Halt sehr schnell wieder los, denn schon rissen die fürchterlichen Bärenkrallen fingertiefe Narben in die Baumrinde, und zwar genau dort, wo sich gerade noch Kims Gesicht befunden hatte.

Kim taumelte rückwärts gehend vor dem riesigen Schwarzbären davon, und das Tier folgte ihm, knurrend, mit ausgebreiteten Armen und seltsam wiegenden Schritten, die nicht halb so tolpatschig und langsam waren, wie sie aussahen.

Kims Fuß verfing sich. Er stolperte, kämpfte eine Sekunde lang mit wild rudernden Armen um sein Gleichgewicht und torkelte rücklings zwischen den Bäumen hervor, ehe er der Länge nach hinschlug. Mit einem einzigen, gewaltigen Schritt holte ihn der Bär ein und riß das Maul auf. Fingerlange Zähne blitzten im Mondlicht wie kleine gekrümmte Dolche.

Da schoß plötzlich ein kleiner, stacheliger Ball aus der Dunkelheit heraus, landete im Nacken des Bären und fing an, diesen mit Zähnen, Krallen und Stacheln gleichzeitig zu bearbeiten. »Hunger!« brüllte Bröckchen. »Du bist zwar ein Riesenvieh, aber ich hab' auch einen Riesenhunger!« Der Bär brüllte vor Überraschung und Wut, richtete sich noch weiter auf und versuchte, den winzigen Stachelball in seinem Nacken mit den Pfoten zu erreichen. Es war klar, daß Bröckchen diesem gewaltigen Tier nicht gewachsen war - wahrscheinlich durchdrangen seine Krallen nicht einmal dessen dicken Pelz - aber der unerwartete Angriff hatte den Bären abgelenkt. Vielleicht fand Kim Zeit, davonzulaufen. Hastig sprang er auf die Füße, rannte ein paar Schritte weit und blieb wieder stehen. Der Bär versuchte noch immer, mit beiden Klauen seinen Nacken zu erreichen, wobei er so gewaltig brüllte, daß der ganze Wald zu zittern schien. Zornig trampelte er auf der Stelle herum. Jetzt, als Kim ihn deutlich im Mondlicht erkennen konnte, sah er, daß es wahrlich ein Untier war - größer als ein Grizzly und mindestens eine halbe Tonne schwer. Aber ...