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»Kelhim ...«, stöhnte Kim. »Das war ... Kelhim.«

»Natürlich war das Kelhim«, sagte der Bärtige kopfschüttelnd. »Jeder hier weiß das. Allerdings sehen ihn die wenigsten von so nahe wie du und haben hinterher noch Gelegenheit, davon zu erzählen.«

»Aber wieso ... hat er mich angegriffen?« stöhnte Kim. Der Mann riß ungläubig die Augen auf. »Wieso er dich angegriffen hat, du törichter Kerl?« schnaufte er. »Jedermann weiß, daß Kelhim das schlimmste und gefährlichste Raubtier diesseits der Berge ist, und da fragst du, wieso er dich angegriffen hat? Woher kommst du? Vom -«

Und plötzlich brach er ab. Seine Augen quollen vor Unglauben schier aus den Höhlen, und sein Unterkiefer klappte herunter. »Kim?« flüsterte er. »Bist du ...« Er keuchte, starrte Kim eine weitere Sekunde lang fassungslos an - und fiel dann mit einer plötzlichen Bewegung vor ihm auf die Knie.

»Ihr seid Kim!« rief er aus. »Ihr seid es. Der Retter von Märchenmond.«

Und im gleichen Moment erkannte auch Kim ihn. »Brobing?« murmelte er. »Seid Ihr ... Brobing?«

Es war ihm unangenehm, daß der Mann vor ihm auf den Knien lag, und so streckte Kim trotz der großen Schmerzen den Arm aus und zupfte Brobing an der Schulter, damit er aufstand. Der Mann hob den Kopf, erhob sich aber nicht ganz.

»Ihr seid es!« stammelte er freudestrahlend. »Ihr seid zurückgekommen!«

Jetzt konnte auch Kim sich erinnern. Brobing war der Bauer, den er bei seinem ersten Besuch in Märchenmond zusammen mit Gorg, Rangarig, Prinz Priwinn - und Kelhim! - das Leben gerettet hatte. Damals, als Brobings Hof von einer Abteilung schwarzer Reiter angegriffen wurde. Daß Kim nun gerade auf ihn gestoßen war, mußte doch mehr als ein Zufall sein.

»Ihr seid zurückgekommen«, sagte Brobing noch einmal. »Oh, Ihr seid wieder da. Jetzt wird alles gut. Ich wußte, daß Ihr eines Tages erscheinen würdet. Wir alle wußten es!« Er machte Anstalten, sich schon wieder vor dem Jungen niederzuwerfen, aber diesmal hielt Kim ihn mit einer Handbewegung zurück.

»Ich verstehe überhaupt nichts«, sagte er. »Was ... was geht hier vor? Was tut Ihr hier, und wieso ... wieso hat Kelhim mich angegriffen?«

Brobings Gesicht verdüsterte sich. »Er ist ein wildes Tier geworden, Herr«, sagte er. »Und das ist nicht alles, was geschehen ist. Schlimme Dinge gehen in Märchenmond vor.« Er schien noch mehr sagen zu wollen, besann sich dann aber eines anderen und gab sich einen sichtbaren Ruck. »Aber das erzähle ich Euch alles später. Jetzt bringe ich Euch erst einmal ins Haus, damit wir uns um Euren Arm kümmern können. Versucht nicht, aufzustehen. Brokk kann Euch tragen.« Er wandte den Kopf und rief in die Dunkelheit hinein. »Brokk!«

Eine Gestalt trat aus der Nacht auf sie zu, und Kim fuhr mit einem erschrockenen Laut hoch.

Es war der riesige Schatten, der gegen Kelhim gekämpft und ihn schließlich besiegt hatte. Er war mehr als zwei Meter groß und so breitschultrig, daß er fast mißgestaltet wirkte. Sein Gesicht war eine flache, ausdruckslose Maske mit einem dünnen Schlitz als Auge, hinter dem ein unheimliches grünes Licht loderte, und sein Körper bestand ganz aus Eisen. Seine rechte Hand war wie die eines Menschen geformt, nur größer, während die linke eher einer Baggerschaufel ähnelte.

Vor ihnen stand einer der eisernen Riesen, wie Kim und Bröckchen sie am Fuße der Treppe gefunden hatten. »Brobing!« keuchte Kim entsetzt. »Paß auf!«

Brobing wandte den Blick, sah zuerst den Eisenmann und dann mit leichtem Staunen Kim an.

»Ihr müßt nicht erschrecken, Herr«, lächelte er. »Das ist nur Brokk. Ein guter Freund.«

Der Weg zum Haus des Bauern war weiter, als es nach Brobings Worten geklungen hatte. Tapfer hatte Kim versucht, aufzustehen und aus eigener Kraft zu gehen, aber dieser Versuch war kläglich gescheitert: nicht wegen der Schmerzen, sondern weil seine ganze linke Körperhälfte einfach taub war, und sowohl der Arm als auch das Bein versagten Kim den Dienst. So hatte er es zugelassen, daß Brokk ihn trug, obwohl ihm schon die bloße Berührung des Eisenmannes unangenehm war. Brobing schien das zu spüren, denn obwohl Kim keinerlei Bemerkung gemacht hatte, versuchte der Bauer selbst zuerst, Kim zu tragen. Aber es wurde ihm bald beschwerlich; Brobing war gewiß kein Schwächling, aber Kim war ein für sein Alter hochgewachsener Junge, und der Weg war weit. Brokk hingegen schien Kims Gewicht nicht einmal zu spüren. Und er trug ihn angesichts seines kantigen harten Äußeren mit erstaunlicher Behutsamkeit. Nur sein ruckhafter, abgehackter Gang führte bald dazu, daß Kim auch noch übel wurde. Gottlob erreichten sie Brobings Hof, ehe es wirklich schlimm wurde.

Es war ein einfaches, aber weitläufiges, weißes Gebäude mit zwei Stockwerken und einem fast bis auf die Erde reichenden, strohgedeckten Dach. Dahinter, in der Nacht nur undeutlich zu erkennen, erhoben sich die Stallungen und Scheunen, und über den klirrenden Schritten des Eisenmannes hörte Kim die Geräusche von Kühen und Schweinen, dann das Gekläff eines Hundes, der ihnen knurrend entgegengesprungen kam. Als er die Ankömmlinge erkannte, wandelte sich sein Bellen in ein erfreutes Winseln und Schwanzwedeln. Offensichtlich hatte Brobing, der damals Haus und Hof verloren hatte, sich ein neues, schönes Zuhause geschaffen. Und ein sehr viel größeres dazu. Als Kim ihn darauf ansprach, nickte der Bauer stolz: »Es hat sich viel geändert, seit Ihr fortgegangen seid, junger Herr. Es geht uns jetzt sehr viel besser - wenigstens in mancher Beziehung.«

Kim kam nicht dazu, den Bauern zu fragen, was er mit diesen rätselhaften Worten meinte, denn auf das Gebell des Hundes hin war im Haus eine Tür aufgegangen, und plötzlich hörte er einen spitzen Schrei. Eine Gestalt, die er nach wenigen Augenblicken als Brobings Frau wiedererkannte, rannte mit wehenden Haaren auf sie zu. »Torum!« rief sie. »Hast du -«

Jäh blieb sie stehen, blickte zuerst Kim, dann ihren Mann und dann wieder Kim an, der noch immer hilflos in den Armen des Eisenmannes lag, und etwas in ihrem Gesicht veränderte sich. Kim hatte eine wilde, fast verzweifelte Hoffnung in ihren Augen gesehen, als sie herangestürmt gekommen war. Jetzt erlosch diese Hoffnung und machte einem Ausdruck tiefer Enttäuschung und Trauer Platz. »Jara!« rief Brobing. »Schau, wen wir gefunden haben! Erinnerst du dich nicht?«

Die Frau sah erneut Kim an, und er las in ihrem Blick, daß sie ihn sehr wohl erkannt hatte, sogar schneller als ihr Mann vorhin. Aber Kim las keine Wiedersehensfreude in ihren Augen. Nur diese tiefe, qualvolle Enttäuschung, die er sich nicht erklären konnte.

»Das ist Kim!« sagte Brobing aufgeregt. »Brokk hatte recht, als er glaubte, den Bären zu hören! Wir kamen gerade noch zurecht, um Kim vor Kelhim zu retten. Der Bär hätte ihn getötet. Aber so ist er mit dem Schrecken davongekommen.«

»Das ... ist gut.« Jara versuchte, Kim anzulächeln, aber er sah dabei Tränen in ihren Augen schimmern. »Seid Ihr verletzt, Herr?«

»Nur ein Kratzer«, meinte Kim.

»Er hat einen ziemlichen Hieb abbekommen«, stellte Brobing die Dinge richtig. »Geh ins Haus und bereite Wasser und frische Tücher vor, damit wir seine Schulter kühlen können. Und sei ein wenig freundlicher zu unserem Gast. Du tust ja gerade so, als würdest du dich überhaupt nicht freuen, ihn wiederzusehen.«

»Doch«, erwiderte Jara hastig. »Es ist nur ...« Sie suchte einen Moment nach Worten, und wieder sah Kim, wie schwer es ihr fiel, die Tränen zurückzuhalten. »Als ich dich sah und Brokk, der einen Jungen auf den Armen trug, da dachte ich im ersten Moment, es wäre ...«

Ihre Kräfte versagten endgültig. Sie brach mit einem kleinen, schluchzenden Laut ab, fuhr auf der Stelle herum und rannte fast so schnell ins Haus zurück, wie sie herausgekommen war.

Brobing blickte ihr einen Moment lang kopfschüttelnd nach, ehe er sich mit einem entschuldigenden Lächeln wieder an Kim wandte. »Ihr müßt verzeihen, Herr«, sagte er. »Aber meine Frau weint um Torum, unseren Sohn. Er ... verschwand vor einem halben Jahr. Sie muß geglaubt haben, daß er es ist, den wir gefunden haben.«