Kim schwieg. Brobings Worte hatten nicht unbedingt dazu beigetragen, das Unbehagen zu vertreiben, mit dem ihn die Gegenwart des Eisenmannes erfüllte. Im Gegenteil. »Warum tut er das?« fragte er. »Ich meine - was verlangt er als Gegenleistung?«
»Als Gegenleistung?« Eine Sekunde lang blickte ihn Brobing höchst verwirrt an, dann erst schien er zu begreifen, was Kim überhaupt mit seinen Worten meinte, und fing schallend zu lachen an.
»Nichts«, sagte er. »Ich sehe schon - Ihr versteht immer noch nicht. Brokk ist nicht mein Knecht. Er gehört mir. Ich habe ihn gekauft, vor drei Sommern.«
»Gekauft?« wiederholte Kim verständnislos - und erst dann begriff er. »Ihr meint, Brokk ist eine ... Maschine?«
»Ich weiß nicht, was eine Maschine ist«, antwortete Brobing, noch immer lächelnd. »Er ist kein Lebewesen, wenn Ihr das meint. Er besteht nur aus Eisen. Die Zwerge in den östlichen Bergen stellen die Eisenmänner her. Sie sind teuer, aber die Anschaffung lohnt sich - wie Ihr seht. Noch zwei Jahre, und ich habe diesen da abbezahlt und kann einen zweiten, vielleicht sogar einen dritten dazunehmen. Ihr werdet staunen, wenn Ihr seht, was ich dann aus diesem Hof mache.«
»Aber wozu?« fragte Kim.
Brobing schien verwirrt. »Wie meint Ihr das?«
»Dir habt es selbst gesagt«, antwortete Kim. »Ihr seid bereits ein reicher Mann. Genügt Euch das nicht? Warum wollt Ihr noch mehr haben?«
»Warum nicht?« fragte Brobing entgeistert. »Ich nehme niemandem etwas weg, oder? Das Land ist groß genug. Jeder könnte einen Hof wie diesen haben, und es wäre noch immer genug Platz für alle da. Ich verstehe Eure Frage nicht.«
Kim antwortete nicht mehr darauf, denn da bemerkte er etwas, das ihn stark an das erinnerte, womit er sich vor gar nicht langer Zeit in der Schule beschäftigt hatte. Der Biologielehrer war sogar mit ihrer Klasse aufs Land gefahren, damit sie verstehen konnten, was er meinte. Kim machte ein paar Schritte, um sich auf dem frisch umgepflügten Feld in die Hocke sinken zu lassen. Nachdenklich hob er eine Handvoll der gerade umgeworfenen Erde auf und ließ sie durch die Finger rieseln. Der leichte Wind, der über dem Feld wehte, trug das meiste davon als grauen Staub mit sich fort.
»Der Boden ist völlig ausgelaugt«, stellte er fest. »Ihr grabt zu tief um. Es ist Lehm mit im Mutterboden, seht Ihr?« Brobing nickte. »Wir bringen jetzt drei Ernten im Jahr ein«, sagte er. »Das verlangt viel von der Erde. Noch ein Jahr oder zwei, und wir werden das Feld aufgeben müssen.«
»Und dann?« fragte Kim ernst.
Brobing zuckte mit den Achseln. »Wir pflügen ein neues Stück Boden um«, meinte er. »Es ist genug da.«
»Irgendwann wird alles aufgebraucht sein«, gab Kim zu bedenken.
»Kaum.« Brobing lachte. »Und wenn, so gehen wir fort und bauen woanders einen neuen Hof auf. Glaubt mir, das ist kein Problem. Brokk baut mir in einer Nacht ein neues Haus, wenn ich es ihm befehle.«
Kim schauderte. Langsam stand er auf und betrachtete den gewaltigen Eisenmann, der mit weit ausgreifenden Schritten näher kam, wobei er den zentnerschweren Pflug vor sich herschob wie ein Kind einen Puppenwagen. »Irgendwann wird es kein Land mehr geben, wohin Ihr ziehen könnt, Brobing«, sagte Kim.
»Unsinn«, widersprach der Bauer. »Märchenmond ist groß, junger Herr. Viel größer, als wir es uns vorstellen können. Und außerdem - es gibt nicht nur dieses Land.«
»Könnt Ihr denn neues bauen?« fragte Kim.
Die Worte sollten spöttisch klingen, aber sie taten es nicht, und Brobing nickte auch mit großem Ernst.
»Ihr habt die Stellwand gesehen, die die Sümpfe begrenzt.« Der Bauer deutete in die Richtung, aus der Kim gekommen war. »Alles Land von dort bis hierher bestand bis vor wenigen Jahren aus unfruchtbarem Fels und Gebirge. Die Eisenmänner haben sie abgetragen und neues, fruchtbares Land geschaffen. Ihr seht also, sie können Berge versetzen, wenn es nötig ist. Und sie können die Sümpfe trockenlegen und neuen Lebensraum schaffen.«
»Die Sümpfe?« Kim dachte an Lizard. »Das meint Ihr nicht ernst, Brobing. Dieses Land dort gehört Euch nicht.«
»Es gehört keinem«, entgegnete der Bauer. »Was lebt schon dort, außer ein paar Schlangen und Eidechsen? Aber es wird nicht nötig sein, glaubt mir.« Er lächelte wieder. »Ihr seid nicht der einzige, der so denkt. Es gibt manche, die sagen, daß die Eisenmänner nicht gut für uns sind. Aber sie irren sich. Seht Euch um! Als wir uns das erste Mal sahen, da war ich ein armer Mann!«
»Das mag sein.«
»Und heute«, fuhr Brobing fort, »fehlt es mir und meiner Familie an nichts. Ich muß mir keine Sorgen um die nächste Ernte machen, oder einen Sturm. Alles nimmt Brokk mir ab. Glaubt mir - wir sind glücklich.«
Kim sparte es sich, darauf zu antworten. Aber er dachte plötzlich wieder an den Ausdruck von Schmerz in Jaras Augen, als sie über ihren verschwundenen Sohn geredet hatte, und da wußte er, daß Brobing unrecht hatte.
Als sie sich auf den Rückweg zum Haus machten, blieb Brobing plötzlich stehen und blickte nach Westen. Auch Kim blinzelte gegen das Licht der sinkenden Sonne und erkannte eine winzige Gestalt, die sich dem Hof näherte. »Erwartet Ihr Besuch?« fragte er - seltsam beunruhigt, ohne zu wissen, warum.
Brobing schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht«, sagte er langsam. »Aber manchmal kommen ...« Er brach wieder ab und blickte angestrengt auf den näher kommenden Reiter, dann rief er überrascht aus: »Das ist Jarrn!«
Eine Sekunde lang zögerte er noch. Dann wandte er sich um, lief ins Haus zurück und ließ Kim einfach stehen, als hätte er ihn glatt vergessen.
Kim sah dem näherkommenden Reiter mißtrauisch entgegen. Brobings Verhalten zeigte sehr deutlich, daß ihm der unangemeldete Besuch wenig willkommen war - und auch Kim erfüllte ein merkwürdiges Unbehagen. Dabei sah der Reiter, als er näher kam, eigentlich kaum bedrohlich aus. Eher komisch, fand Kim.
Als der Fremde sein Pferd - das nicht größer als ein Pony war - auf den Hof lenkte und absaß, dachte Kim im ersten Augenblick, es wäre ein Kind. Der Bursche reichte ihm allerhöchstens bis unter das Kinn, und auch das nur, wenn er sich auf die Zehenspitzen gestellt hätte. Er war ganz in Schwarz gekleidet: schwarze Stiefel, schwarze Hosen und Hemd und einen schwarzen, bis auf die Knöchel fallenden Umhang, der nur so um seine rasseldürre Gestalt schlotterte. Sein Gesicht erinnerte an das eines halbverhungerten Geiers. Auch sein Haar, das sich zum Großteil unter der spitzen Kapuze seines Umhanges verbarg, war schwarz. Seine Fingernägel übrigens auch.
»Wer bist du?« fragte der Kleine unfreundlich, nachdem er auf Kim zugestapft war und sich herausfordernd vor ihm aufgebaut hatte.
»Eine gute Frage«, antwortete Kim. Der herrische Ton des Zwerges ärgerte ihn. »Vielleicht sollte ich sie dir stellen.«
In den Augen des Zwerges blitzte es zornig auf. »Ich bin Jarrn«, schnappte er. »Ich komme jedes Jahr zweimal hierher. Aber dich habe ich hier noch nie gesehen. Gehörst du zu dem Bauernpack?«
Kim beherrschte sich mühsam, um nicht das zu tun, wonach ihm plötzlich war: nämlich den Zwerg zu packen und so lange zu schütteln, bis er aus seinen albernen Dracula-Klamotten herausrutschte. »Das Bauernpack, wie du es nennst, Knirps«, sagte er - wobei er voller Schadenfreude bemerkte, wie der Zwerg bei dem Wort Knirps unter dem Staub auf seinem Gesicht erbleichte, »sind meine Freunde. Ich bin hier zu Gast.«
»Nun, ich auch«, giftete Jarrn. »Also gib den Weg frei, damit ich mir holen kann, was mir zusteht.« Er hob die Hand, um Kim beiseite zu schieben, aber der rührte sich nicht. »Geh aus dem Weg, Bursche«, sagte Jarrn drohend. »Oder -«