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»Komm sofort da runter!« befahl Kim scharf.

Bröckchen folgte - aber so, daß es einfach seinen Halt losließ. Es wäre Kim geradewegs ins Gesicht gefallen, hätte dieser sich nicht im letzten Moment zur Seite geworfen. »Was ist?« fragte Bröckchen, noch bevor sich Kim schimpfend und fluchend wieder in die Höhe gearbeitet hatte. Kim funkelte es an und setzte zu einer geharnischten Entgegnung an, besann sich aber dann eines Besseren und beließ es bei einem ärgerlichen Blick. Wortlos streckte er die Hand nach dem Sattelknauf aus, nahm sie jedoch wieder zurück und zog erst einmal alle Riemen und Schnallen des Sattels fester.

»Komm schon«, sagte er nur.

Bröckchen sprang mit einem Satz in Sternenstaubs Nacken, wo es sich wie zuvor im Stall in seine Mähne krallte. Kim zögerte. Vielleicht hatte sich Jarrn aufgerappelt und war schon hinter ihnen her. - Aber Kim wollte sich jetzt keine weiteren Sorgen mehr machen. Er würde mit diesem Knirps fertig werden. Und Brokk konnte zum Glück nicht schnell genug laufen, um sie einzuholen, selbst wenn Sternenstaub nun langsamer ritt. Vielleicht sollten sie doch in die Stadt, um sich dort mit Proviant und allem Nötigen einzudecken - und vor allem den Weg nach Gorywynn zu erfragen?

Doch als Kim losreiten wollte, meinte Bröckchen: »Die Richtung würde ich dir nicht empfehlen.«

»Und wieso nicht?« fragte Kim mißtrauisch.

»Weil du dann geradewegs in die Höhle des Bären reiten würdest.«

Kim blickte Bröckchen erschrocken an. »Kelhims Höhle? Sie ist hier?«

»Nicht hier«, verbesserte ihn Bröckchen. »Aber in dieser Richtung. Siehst du den Wald da vorne? Reite nur hinein, und in einer Stunde lädt dich dein alter Freund zum Essen ein. Als Hauptmahlzeit.«

»Du warst da?« vergewisserte sich Kim. »Du weißt, wo Kelhims Höhle ist?«

»Der Gestank ist nun wirklich nicht zu überriechen.« Bröckchen schüttelte sich.

Kim überlegte einen Moment. Dann fragte er noch einmaclass="underline" »Bist du ganz sicher, daß du die Höhle findest?«

»Bin ich«, antwortete Bröckchen. Mißtrauisch fügte es hinzu: »Aber du willst doch nicht etwa dorthin?«

»Kelhim und ich sind alte Freunde«, meinte Kim nachdenklich.

»Das habe ich gesehen! Er hätte dich um ein Haar aufgefressen.«

»Ich weiß«, seufzte Kim. »Trotzdem. Ich... ich bin sicher, er ... er hat mich nur nicht erkannt. Er würde mir nie etwas tun.«

»Ha!« keifte Bröckchen. »Vielleicht würde er dich in einem Stück fressen, das stimmt.«

»Er hat mich nur nicht erkannt«, beharrte Kim. »Ich bin sicher, er ... er wird sich erinnern.«

»So - sicher bist du«, spöttelte Bröckchen. »Sicher genug, um dein Leben darauf zu verwetten?«

Kim blickte seinen kleinen Reisegefährten an. Er antwortete nicht. Aber nach einer Welle drehte er Sternenstaub herum und ritt los - haargenau in die Richtung, vor der ihn sein stacheliger Führer gewarnt hatte ...

Sie brauchten sehr viel länger, als Bröckchen vorausgesagt hatte, was sicherlich daran lag, daß Sternenstaub in dem dichten Unterholz nicht halb so rasch voran kam, wie es dem kleinen Stacheltier möglich gewesen war. Bröckchen lamentierte und keifte ununterbrochen und versuchte, Kim von seinem Vorhaben abzubringen. Aber schließlich schien es zu begreifen, daß Kims Entschluß unverrückbar feststand, und verfiel in beleidigtes Schmollen.

Als sie die Behausung des Bären schließlich fanden, da war es im Wald ringsum fast so dunkel wie unter der Erde. Die Höhle befand sich auf einer Lichtung, die tief im Herzen des Waldes lag, und so versteckt, daß Kim geradewegs daran vorbeigeritten wäre, hätte Bröckchen ihm nicht widerwillig den Weg gewiesen. Die Kronen der uralten Bäume vereinigten sich über ihren Köpfen zu einem undurchdringlichen Blätterdach, durch das kaum ein Mondstrahl fiel. Kim sah nichts als schwarze Schatten um sich. Und viel mehr war auch die Höhle nicht. Es war keine Felsenhöhle wie jene, in der Kim den Bären Kelhim das erste Mal getroffen hatte, sondern einfach nur ein Loch, das schräg in die Erde hineinführte.

»Na?« knurrte Bröckchen. »Zufrieden?«

Kim lauschte. Er hörte nichts außer dem leisen Rauschen des Waldes und seinen eigenen, hämmernden Herzschlägen. Es war unheimlich still.

»Er scheint nicht da zu sein«, murmelte Kim.

»Oh, das wird sich bald ändern«, antwortete Bröckchen giftig. »Schneller, als dir lieb ist.«

Kim stieg aus dem Sattel, ohne auf Bröckchens Gezeter zu achten, und näherte sich vorsichtig der großen Grube. Als er näher kam, verspürte er einen leichten Aasgeruch, der stärker wurde, je weiter sich Kim der Höhle näherte. Es roch wie in einem Raubtierstall. Was, wenn Kelhim ihn auch diesmal nicht erkannte?

Kim verscheuchte den Gedanken, sah sich noch einmal sichernd nach allen Seiten um und begann dann, vorsichtig in die Tiefe zu klettern.

Auch der letzte Lichtschimmer blieb hinter ihm zurück, während er sich auf allen vieren meterweit in die Tiefe arbeitete. Solange, bis der abschüssige Boden wieder eben wurde. Die Dunkelheit war jetzt vollkommen, und der Gestank wahrhaft atemberaubend.

Bund und mit ausgestreckten Armen tastete Kim sich vorwärts - stolperte prompt und schlug der Länge nach hin. Als er sich fluchend und schimpfend wieder in die Höhe arbeitete, stieß seine Hand gegen ein Stück Holz. Im ersten Moment zog er sie erschrocken zurück, aber dann griff er noch einmal zu und spürte, daß es nichts anderes als eine Pechfackel war, die er da gefunden hatte. Erstaunt - und erleichtert bei der Vorstellung, nicht mehr hilflos herumtappen zu müssen, kramte er in den Taschen der Jacke, die ihm Brobing gegeben hatte, und fand, wonach er suchte: zwei Feuersteine, die man in diesem Land wie selbstverständlich stets bei sich trug.

Wenig später vertrieb der flackernde rote Schein von Flammen die übelriechende Schwärze in der Grube. Und bald fand Kim auch eine Erklärung für seinen Fund. Der Besitzer - oder vielmehr das, was noch von ihm übrig war - lag nicht weit entfernt: ein Skelett, und es war nicht das einzige. Kim schauderte, als er die Fackel hoch über den Kopf hob und sich langsam um seine Achse drehte. Eine Unzahl von Knochen, Schädeln und Skeletten lagen hier herum, und längst nicht alle gehörten Tieren. Der Anschein schien Brobing recht zu geben, als er behauptet hatte, daß Kelhim zu einem mörderischen Raubtier geworden war. Es war Irrsinn, hierher zu kommen.

Aber es war zu spät für solche Reue. Kim hatte seine Gedanken noch nicht einmal zu Ende gedacht, als er ein trippelndes Schleifen hörte und Bröckchen wie ein winziges Stachelschwein im Licht seiner Fackel auftauchte.

»Er kommt!« kreischte es. »Der Bär! Rette dich! Versteck dich irgendwo, du Narr!«

Verstecken? Kim überlegte verzweifelt. Wo denn? Die Höhle war zwar groß, aber bis auf die abgenagten Knochen vollkommen leer. Einen Moment lang erwog er ernsthaft, sich unter einem dieser Knochenhaufen zu verbergen, besann sich aber sofort wieder. Kelhim würde ihn augenblicklich wittern, das war sicher.

Und außerdem war er nicht hierher gekommen, um sich zu verstecken, sondern um mit Kelhim zu reden.

Tapfer wandte sich Kim um und hob die Fackel etwas höher, während er den Höhleneingang im Auge behielt. Er mußte nicht lange waren. Trotz seiner enormen Körpergröße bewegte sich Kelhim lautlos wie eine Katze. Sein Schatten erfüllte das helle Rund des Eingangs, lange, bevor der Bär selbst darin erschien. Kim konnte ihn tatsächlich riechen.

Abermals schauderte er. Ihm war niemals aufgefallen, daß Kelhim unangenehm roch - aber das riesige, zottige Etwas, das plötzlich im Höhleneingang erschien, stank ganz eindeutig nach Wildnis - und Tod.

Für Sekunden, die Kim wie Ewigkeiten vorkamen, stand der Bär einfach da und starrte ihn aus seinem böse funkelnden Auge an, mißtrauisch, vielleicht auch verblüfft über den winzigen Menschen, der es gewagt hatte, in sein Reich einzudringen. Auch Kim stand da und blickte ihn an. Und das schreckliche Wissen, einen tödlichen Fehler begangen zu haben, wuchs in ihm. Er war jetzt verrückt vor Angst. Aber er rührte sich nicht.