Aber der Ritter ließ auch die eckigen Kolosse an seinem Versteck vorüberstampfen, ohne sich zu rühren. Nur seine Hand kroch zum Gürtel und schmiegte sich um den Griff des gewaltigen Schwertes, das darin steckte.
Und eben als der erste Eisenmann um die Ecke des Baumfelsens auf der anderen Seite des Weges laufen wollte, geschah etwas Erstaunliches: Hinter der Kante des großen Holzbrockens wuchs plötzlich ein zweiter Baum hervor - aber auf sehr ungewöhnliche Weise, fand Kim. Er wuchs erstaunlich rasch, ja er schnellte vielmehr plötzlich heraus und stand waagrecht hinter dem Brocken hervor und noch dazu verkehrt herum, mit der abgestorbenen Wurzel zuoberst.
Der Eisenmann, von seinem eigenen Schwung vorwärts gerissen, krachte in vollem Lauf vor das so plötzlich aufgetauchte Hindernis. Ein ungeheures Dröhnen zerriß die Stille des Waldes, und plötzlich flog der eiserne Schädel in hohem Bogen davon, während der Torso noch ein Stück weitertorkelte, ehe er haltlos zu Boden krachte.
Kim blickte mit aufgesperrtem Mund und Augen auf das unglaubliche Bild. Der seltsame Baum beschrieb einen Halbkreis und krachte mit fürchterlicher Gewalt auf den Schädel eines zweiten Eisenmannes herab, um ihn wie eine leere Konservendose zu zerstampfen, und plötzlich hielten drei der verbliebenen vier Eisenmänner im Laufen inne, blieben scheinbar hilflos stehen - und warfen sich dann wie ein Mann vor, um hinter der Ecke des Baumfelsen zu verschwinden. Kim hörte ein zorniges Brüllen, und dann hob ein Getöse an, als hätte jemand einen ganzen Lastwagen voller Eisenschrott umgeworfen und trampelte darauf herum.
Auch der sechste und letzte Eisenmann wollte seinen Kameraden folgen, aber in diesem Moment erhob sich der Schwarze in einer fließenden Bewegung aus seiner Deckung und trat auf den Weg hinaus. Und obwohl er dabei ganz leise war, hatte ihn der Eisenmann wohl irgendwie gehört, denn er fuhr mitten in der Bewegung herum und hob die Arme in die Höhe.
Der Ritter zog sein Schwert, machte einen Ausfall und schlug zu. Kim beobachtete fassungslos, wie die Klinge auf die schmale rechte Hand des Eisenmannes traf und das Metall zerteilte, als schneide sie Papier.
Der Eisenmann prallte zurück, hob seinen Armstumpf und betrachtete ihn eine Sekunde lang aus seinem unheimlichen grünen Auge, als könne er nicht fassen, was er sah. Dann wandte er sich wieder seinem Gegner zu, der neben ihm wie eine halbe Portion wirkte, und drosch warnungslos mit der kräftigen, linken Hand auf ihn ein.
Der Schwarze wich mit einer blitzartigen Bewegung aus, tauchte unter der niedersausenden Klaue hindurch und brachte einen geraden Stich an, der das Schwert mehr als zur Hälfte in die Brust des Eisenmannes verschwinden ließ, diesen aber nicht weiter zu beeindrucken schien, denn seine Baggerschaufelhand schnappte im gleichen Moment zu. Sie traf den Ritter nicht, aber sie streifte seine Schulter, und schon diese flüchtige Bewegung reichte aus, ihm das Schwert aus der Hand zu prellen. Die Waffe sauste durch die Luft und bohrte sich so exakt vor Kims Füßen in den Boden, als wäre sie absichtlich dorthin geflogen.
Der Ritter taumelte. Es gelang ihm, einem weiteren Hieb der Baggerhand auszuweichen, aber er verlor dadurch vollends das Gleichgewicht und stürzte schwer nach hinten. Mit einem einzigen Schritt setzte ihm der Eisenmann nach und beugte sich über ihn.
Und Kim erwachte endlich aus seiner Erstarrung.
Fast ohne sein Zutun bewegte sich seine Hand, packte den Griff und zog das Schwert aus dem Boden. Und im gleichen Moment, in dem er es berührte, geschah etwas Seltsames: Es war, als fließe eine unsichtbare Kraft aus dem schwarzen Metall der Klinge in Kims Körper. Das Schwert war schwer, sicherlich einen halben Zentner, und normalerweise hätte Kim zwei Hände gebraucht, um es überhaupt zu heben. Jetzt spürte er das Gewicht kaum. Ja, mehr noch - das Schwert paßte sich so seiner Hand an, als wäre es keine Waffe, sondern eine natürliche Verlängerung seines Armes. Und es war auch eigentlich nicht Kim selbst, der das Schwert in die Höhe hob und sich mit einem Schrei auf den Eisenmann warf, sondern vielmehr die Waffe, die Kim mit sich zog.
Der Eisenmann bemerkte die neue Gefahr erst im letzten Moment, und seine Reaktion kam zu spät. Er hob den Kopf und starrte Kim aus seinem grünbösen Auge an, aber fast im gleichen Sekundenbruchteil traf die Klinge seinen kantigen Schädel und schlug ihn von den Schultern. Kim spürte keinerlei Widerstand, als der Stahl durch die dicken Eisenplatten schnitt.
Der eiserne Koloß erstarrte. Zuerst stand er reglos, in grotesk vorgebeugter Haltung da, dann begann er zu wanken und kippte schließlich krachend nach vorne. Der Ritter konnte sich gerade noch zur Seite werfen, um nicht von dem zusammenbrechenden Roboter erschlagen zu werden.
Kim ließ das Schwert sinken und bückte sich, um zu sehen, wie es um den Fremden stand. Der Ritter rappelte sich mit klirrender Rüstung auf - und entriß Kim das Schwert. Kim fand nicht einmal Zeit, einen Schrei auszustoßen, da war der andere schon hochgesprungen und hetzte mit weit ausgreifenden Schritten in die Richtung, aus der noch immer Kampflärm drang. Kim folgte ihm.
Als er um die Ecke bog, bot sich ihm ein erstaunlicher Anblick: In Stücke gehauen lagen die Überreste von drei Eisenmännern auf dem Boden herum, und eben als sich der schwarze Ritter in den Kampf stürzen wollte, wurde auch der dritte plötzlich von der gewaltigen Baumwurzel, die vorhin so rasch gewachsen war, getroffen und zermalmt. Jetzt erst sah Kim, was es eigentlich war - das Ende eines ausgerissenen Baumes, den irgend jemand als Keule benutzte. Und dieser Jemand hatte, wie sich herausstellte, auch die entsprechende Größe dazu. Vor ihnen, in Schweiß gebadet und noch immer kampflustig mit seinem ungewöhnlichen Knüppel wedelnd, stand ein Riese, gut doppelt so groß wie der Ritter, mit schwarzem Haar und Muskeln, die sich wie knotige Taue unter seiner sonnengebräunten Haut wölbten. Und einem Gesicht, das - »Gorg!« flüsterte Kim fassungslos.
Der Kopf des Riesen ruckte herum. Zwischen seinen Augenbrauen entstand eine ärgerliche Falte - und dann erschien auch auf seinem Gesicht ein fassungsloser Ausdruck. »Kim?« murmelte er. »Du ... das ... das bist wirklich ... du? Aber ...« Plötzlich ließ er seine Keule fallen, war mit einem Satz bei Kim und riß ihn in die Höhe. Es war tatsächlich Gorg; Gorg, der gutmütige Riese, der so gerne den Feigling und Dummkopf spielte (und weder das eine noch das andere war!) und der Kim schon einmal auf einer gefahrvollen Reise durch das Land Märchenmond begleitet hatte. Kim jubelte und lachte laut vor Freude, und Gorg seinerseits hörte nicht auf, ihn wild im Kreis zu wirbeln und dabei immer wieder seinen Namen zu brüllen.
Endlich beruhigte sich Kim und versuchte mit wenig Erfolg, sich aus Gorgs gewaltigen Pranken zu befreien. »Laß mich los, Grobian«, lachte er. »Du zerdrückst mich ja!« Gorg setzte ihn behutsam ab, beruhigte sich aber keineswegs. »Du bist es!« sagte er immer und immer wieder. Er konnte es einfach nicht fassen. »Wir haben alle so gehofft, daß du kommst, aber keiner hat gewagt, daran zu glauben! Nun bist du da. Jetzt wird alles gut.« Er wedelte aufgeregt zu dem schwarzen Ritter hin. »Sieh, wer da ist!« sagte er. »Sieh doch nur!«
Der schwarze Ritter kam mit langsamen Schritten näher. Er hatte sein Schwert wieder eingesteckt und die ganze Zeit über reglos zugesehen, während Gorg und Kim sich ihrer Wiedersehensfreude hingaben. Und obwohl das schwarze Visier des Helmes noch immer heruntergeklappt war, spürte Kim, daß sich dahinter ebenfalls Überraschung verbarg. »Ich weiß«, murmelte der Ritter. »Ich ... ich habe ihn auch schon erkannt. Aber ...«
Diese Stimme! dachte Kim. Sie klang verzerrt aus dem eisernen Helm, aber Kim erkannte sie!