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»So wie Harkran, dein Vater, und der Tümpelkönig?« fragte Kim.

Priwinn fuhr zusammen wie unter einem Schlag. Seine Lippen wurden schmal, und Kim bedauerte seine ungeschickten Worte sofort wieder.

»Entschuldige.«

Priwinn winkte ab. »Du hast recht«, sagte er niedergeschlagen. »Man hat dir also davon erzählt.«

»Ja, aber ich konnte es nicht glauben«, antwortete Kim. »Nun«, erwiderte der Steppenprinz, »es ist wahr. Wie vieles andere auch, das ebenso schlimm ist.«

»Was ist bloß geschehen?« fragte Kim verzweifelt. »Ist Morgen wieder auferstanden?«

»Nein. So einfach ist es nicht. Es ist kein Feind, der uns von außen bedroht, Kim. Es ist viel schlimmer.« Er seufzte tief und schwieg eine Weile. »Es ist, als... als würden wir zu eigenen Feinden«, sagte er schließlich.

Ein unbehagliches Schweigen kehrte ein, und es hätte wohl noch eine Weile gedauert, wäre nicht plötzlich ein schwarzer buckliger Schatten aus der Dämmerung aufgetaucht, der aus gelbleuchtenden Augen zu Kim hinaufsah. Genauer gesagt, zu dem orange-roten Federbüschel, das noch immer auf seiner Schulter saß.

»He, Angeber!« knurrte Sheera. »Hast wohl gedacht, du könntest dich aus dem Staub machen, wie?«

Bröckchen blickte den schwarzen Kater verblüfft an - auch Kim schüttelte überrascht den Kopf. Er hatte gar nicht gemerkt, daß Sheera sich ebenfalls auf Rangarigs Rücken geschwungen hatte.

»Nun ja ...«, begann Bröckchen, wurde aber sofort wieder von Sheera unterbrochen: »So leicht ist das nicht. Wir haben eine Verabredung - schon wieder vergessen?«

»Ich dachte, du legst keinen Wert darauf!« Bröckchen hatte jetzt zu seiner gewohnten, patzigen Art zurückgefunden.

Sheera keuchte vor Verblüffung und machte einen Buckel. »Bursche!« grollte er. »Komm da runter! Jetzt reicht's!«

»Warte«, erwiderte Bröckchen gelassen. »Nach Sonnenuntergang war ausgemacht.« Er sprang mit einem Satz von Kims Schulter, sah sich rasch um und deutete dann mit der Pfote auf einen der wenigen Büsche, die auf dem kahlen Plateau wuchsen. »Ich erwarte dich dort, sobald es dunkel geworden ist. Wenn du Verstärkung mitbringen willst, dann frag doch den Drachen, ob er dir hilft.«

Sheera sperrte über diese neuerliche Unverschämtheit Maul und Augen auf und beherrschte sich sichtlich nur noch mit Mühe.

Bröckchen trippelte wortlos davon.

Während Sheera mit gesträubtem Buckel ungeduldig darauf wartete, daß die Sonne endgültig hinter dem Horizont versank, setzte sich Kim mit untergeschlagenen Beinen auf den harten Boden, und nach einigen Augenblicken tat es ihm Priwinn gleich. Kurz darauf gesellte sich auch Gorg zu ihnen, der bisher in der Nähe des Drachen gewartet hatte. Priwinn warf ihm einen fragenden Blick zu.

»Er schläft«, antwortete der Riese. »Ich glaube, heute ist es nicht so schlimm.«

Der letzte rote Streifen Sonnenlicht erlosch, und im gleichen Moment schoß Sheera los und krachte wie ein schwarzer Blitz in den Busch hinein, hinter dem Bröckchen verschwunden war. Man hörte nur das Krachen und Bersten zerbrechender Zweige, und dann erscholl ein schrilles, entsetztes Kreischen. Priwinn sah fragend auf, und Gorg runzelte die breite Stirn.

»Er hat Bröckchen gefunden«, sagte Kim beiläufig.

Auch Priwinn schien jetzt zu der Auffassung zu gelangen, daß die beiden Kampfhähne keinerlei Unterstützung brauchten, denn er nahm übergangslos das Gespräch wieder auf.

»Der Junge im Krankenhaus, von dem du mir erzählt hast«, begann er. »Kannst du ihn beschreiben? Wie sah er aus?«

Kim überlegte angestrengt. Er glaubte, das Gesicht des Jungen vor sich zu sehen - aber wie sollte er ihn beschreiben? »Wie ein Junge eben«, sagte er hilflos.

Hinter dem Busch hob ein wütendes Schreien und Keifen an, und die Äste begannen zu zittern.

»Er war etwas größer als du - aber jünger, glaube ich. Er war sehr blaß und hatte dunkles Haar.« Priwinn war sichtlich enttäuscht. Die Schreie hinter dem Busch wurden lauter, und er warf einen besorgten Blick dorthin, ehe er antwortete: »Das nützt nicht viel, Kim. Die meisten Steppenreiter haben dunkles Haar.«

»Meinst du jemanden Bestimmten?« fragte Kim. Priwinn nickte, und Kim fügte mitfühlend hinzu: »Ein Freund?«

»Ja«, antwortete der Prinz nach einer kurzen Pause. »Ein Freund.«

Kim dachte an Jara und Brobing, auch sie hatten einen schmerzlichen Verlust zu verkraften.

Plötzlich fiel ihm etwas auf, an das er noch gar nicht gedacht hatte. Verblüfft sah er Priwinn an. »Als ich das letzte Mal hier war, da war Jaras Kind noch so klein«, sagte er stirnrunzelnd.

»Und jetzt war Torum beinahe in meinem Alter. Wie kann das angehen?«

»Du weißt doch, daß die Zeit hier in Märchenmond anderen Gesetzen gehorcht als bei euch?« erinnerte ihn Priwinn.

»Aber du, Priwinn, bist keinen Tag älter geworden!«

Priwinn lächelte milde. »Natürlich nicht«, erklärte er. »Schon vergessen? Ich werde nicht älter, solange mein Vater Harkran lebt und über Caivallon herrscht. Erst wenn der alte König stirbt, wächst der Prinz zum Mann heran, um seinen Platz auf dem Thron einzunehmen.«

»Und auch du weißt nicht mehr über die verschwundenen Kinder als Brobing und Jara?« Es fiel Kim schwer, das zu glauben.

»Nein«, sagte Gorg an Priwinns Stelle.

»Aber in drei Tagen sind wir in Gorywynn. Dann wird uns Themistokles Rede und Antwort stehen.«

Schon die ganze Zeit über hatte der Busch gezittert, als rissen unsichtbare Fäuste an seinen Wurzeln, und manchmal stoben schwarze Fellbüschel hinter ihm in die Höhe, es regnete abgebrochene Stacheln und etwas, das an schmierige rote Federn erinnerte.

Jetzt hörte der Lärm urplötzlich auf, und alle Blicke wandten sich besorgt dem dornigen Gestrüpp zu. Einige Sekunden vergingen, dann teilten sich die Äste, und zwei reichlich zerrupfte Gestalten traten hervor.

Bröckchen in seiner Nachtgestalt humpelte sichtbar.

Zahlreiche seiner Stacheln waren geknickt, und der Rest war durcheinandergewirbelt, als wäre der Sturm hineingefahren. Eines seiner ohnehin quellenden Augen war dick angeschwollen und begann sich zu schließen.

Sheera sah nicht viel besser aus. Auch der Kater humpelte. Sein ehemals glänzendes glattes Fell war völlig zerzaust, und seine Schnauze sah aus, als hätte er versucht, einen Kaktus zu küssen.

»Was ist denn das?!« stöhnte Priwinn und deutete auf das häßliche Etwas, das neben dem Kater dahergetorkelt kam.

»Bröckchen«, sagte Kim ganz harmlos. »Ich gebe zu, sein Nachthemd gefällt mir auch nicht. Aber wie du siehst, war es ihm recht nützlich.«

»Ein ... ein Wertier?« staunte Gorg. »Es verwandelt sich. Warum hast du das nicht gesagt?«

Bröckchen schwieg eine Welle genüßlich. »Dann wäre mir eine prachtvolle Prügelei entgangen«, meinte es dann. »Und mir auch«, fügte Sheera hinzu, der sichtlich Mühe hatte, sich noch auf den Beinen zu halten. »Aber warte nur bis zum nächstenmal...«

Und plötzlich begannen die beiden herzhaft und schallend zu lachen, während die anderen nur noch verblüfft dreinschauten. Dann fielen sich die zwei gegenseitig in die Arme - was aber Sheera nicht sehr gut bekam, denn er zog sich mit einem erschrockenen Quietschen wieder zurück und schielte auf den weiteren Stachel, der in seiner Schnauze steckte. Nur, daß es auf einen mehr nicht ankam ... Bröckchen kicherte und gähnte herzhaft. »Und jetzt eine Kleinigkeit zur Stärkung.« Es sah sich suchend um. Schließlich blieb sein Blick auf Rangarigs zusammengerollter Gestalt hängen.

»Nein«, sagte Kim streng, als Bröckchen sich mit der Zunge über die pickeligen Lippen fuhr und vor lauter Gier zu sabbern begann.