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»Ich danke Euch, Herr«, sagte Priwinn. Er packte Kim am Arm und zerrte ihn fast gewaltsam hinter sich her. Kim widerstand der Versuchung, sich zu den Männern am Tor umzudrehen, aber er glaubte, ihre Blicke wie die Berührung unangenehmer, warmer Hände im Rücken zu spüren, während sie den großen Platz hinter dem Tor überquerten und in die Straße hineingingen, die der Mann ihnen bedeutet hatte.

»Bist du wahnsinnig?« flüsterte Priwinn, als sie außer Hörweite des Mannes waren, jedoch ohne stehenzubleiben. »Willst du, daß man uns verhaftet und in den Turm wirft?«

»Was?« Kim war aufgebracht. »Wir haben doch nichts getan!«

»Pst«, machte Priwinn. »Und merk dir eins - das Hineinkommen ist hier leichter und billiger, als wieder herauszukommen. Und jetzt halt den Mund, ehe wir noch mehr Aufsehen erregen.«

Tatsächlich hatten sich bereits einige Leute neugierig zu ihnen herumgedreht. Kim wich ihren Blicken aus, aber es war wie am Tor - er konnte sehen, daß man hinter ihnen herstarrte. Und es waren keine angenehmen Blicke, die er fühlte.

Mit Schrecken entdeckte er auch einige Zwerge unter den Passanten, aber Priwinn raunte ihm zu, sich bloß zu beherrschen, und Kim tat sein Bestes. Zumindest trafen sie auf keine Eisenmänner, während sie weitergingen. Aber das bedeutete nichts - von Priwinn wußte er, daß es sie hier gab, wenn auch vielleicht noch nicht in so großer Zahl wie anderenorts.

Sie passierten das Goldene Kalb, von dem der Mann am Tor gesprochen hatte, traten jedoch nicht ein - worüber Kim mehr als froh war. Aus der offenstehenden Tür drang Geschrei und johlendes Gelächter, allerdings von der Art, die wenig angenehm war. Er schauderte sichtbar.

»Lustig, nicht?« bemerkte Priwinn bitter. »Schade, daß wir nicht mehr Zeit haben. Sonst würde ich dir noch eine Menge anderer lustiger Dinge zeigen. Gorywynn hat sich wirklich verändert.«

»Das ist... furchtbar«, flüsterte Kim.

»Und das ist noch lange nicht alles«, sagte Priwinn. »Sieh dort hinauf.«

Kim gehorchte. Im ersten Moment entdeckte er nichts Besonderes/ als sein Blick in die Richtung ging, in die Priwinns Hand deutete. Aber dann sah er es: zwischen den gläsernen Zitadellen der Stadt erhob sich ein wuchtiger, stumpfer Turm, dessen Wände das milde Licht der Kristallstadt aufzusaugen schienen. Kim mußte nicht fragen, um zu wissen, daß er aus Eisen bestand.

»Wohin gehen wir?« murmelte er, nachdem er eine geraume Weile stumm neben Priwinn hergegangen war. »Zum Palast«, antwortete Priwinn. »Wir müssen herausfinden, wo sich Themistokles aufhält. Vielleicht halten sie ihn gefangen. Aber wir müssen uns beeilen. Es würde mich nicht wundern, wenn der Bursche vom Tor uns folgt, um sich zu überzeugen, ob wir tatsächlich im Goldenen Kalb absteigen. Sie sind mißtrauisch allen Fremden gegenüber.« Sie sprachen nicht miteinander, während sie sich dem Burgschloß von Gorywynn näherten, aber Kim entdeckte auf jeden Schritt neue Schrecknisse - manche Straßen waren schon mit Eisen gepflastert, und die Türen nur zu vieler Häuser bestanden nicht mehr länger aus Glas, sondern ebenfalls aus schwarzem, lichtschluckendem Metall. Hier und da begegneten ihnen auch Zwerge, und es fiel Kim immer schwerer, sich bei ihrem Anblick zu beherrschen. Die furchtbare Veränderung, die mit Gorywynn vonstatten gegangen war, trieb ihm die Tränen in die Augen. Und sie machte ihn wütend.

Priwinn begann seine Schritte zu verlangsamen, als sie sich dem Palast näherten. Der gewaltige, vielfach unterteilte Turmbau erhob sich noch immer als höchstes Gebäude über die Zinnen der Stadt, und bis hierhin war das allgegenwärtige Eisen noch nicht vorgedrungen, wie Kim erleichtert feststellte. Und trotzdem schien es, als wäre der milde Glanz, den die gläsernen Wände ausstrahlten, blasser geworden. Ihr Licht schien einen Teil seiner Wärme eingebüßt zu haben. Es war nicht weniger hell. Aber es war ... kalt.

»Wie kommen wir bloß hinein?« fragte Kim.

Priwinn zuckte mit den Schultern und zog nachdenklich die Unterlippe zwischen die Zähne. »Leicht wird es jedenfalls nicht«, meinte er. »Du hast vorhin die Wachen am Stadttor gesehen. Der Palast aber wird noch viel schärfer bewacht. Nicht einmal die Bewohner der Stadt dürfen ihn ohne Erlaubnis betreten.«

Kim war entsetzt. Als er damals hier gewesen war, da hatte es nirgendwo verschlossene Türen gegeben, die Burg und ihre Stadt waren eins gewesen. Und jedermann war willkommen. Diesmal jedoch mußte Kim sich vergeblich den Kopf über die Frage zerbrechen, wie man wohl ungesehen in dieses Gebäude eindringen konnte, das ganz aus Glas erbaut war.

Da kam ihnen der Zufall zu Hilfe. Priwinn ergriff Kim plötzlich am Arm und zog ihn hastig in eine Nische zwischen zwei Häusern, und gleich darauf rumpelte ein vollbeladener Wagen an ihnen vorüber, gezogen von zwei Mauleseln, die von einem Zwerg mit einer knallenden Peitsche angetrieben wurden. Kim wußte gar nicht recht, wie ihm geschah, da zerrte ihn sein Gefährte schon mit mehr als sanfter Gewalt mit sich und sprang mit ihm unter die Plane des Wagens.

»Woher weißt du, daß er ins Schloß fährt?« flüsterte Kim. Er konnte Priwinns Gesicht unter der Plane nicht sehen, aber er hörte ihn heftig in der Dunkelheit gestikulieren, daß Kim den Mund halten sollte. Trotzdem wisperte der Steppenprinz: »Ich weiß es gar nicht. Aber schließlich kann man ja auch mal Glück haben, oder?«

Nun ja ... dachte Kim, vielleicht hatten sie Glück. Und tatsächlich rollte der Wagen nur noch einige Augenblicke dahin, dann kam er zum Stehen, und die beiden konnten hören, wie ein mächtiges Tor geöffnet wurde. Wenig später rumpelte der Karren weiter, und nach einigem Geruckel und Geschaukel schien er am Ziel angekommen zu sein.

Hinterher wußte Kim natürlich, daß sie nur kurze Zeit auf dem Wagen gewesen waren - aber während sie in der Dunkelheit lagen und mit angehaltenem Atem davor zitterten, daß die Plane fortgezogen und man sie beide entdecken würde, schien sie endlos zu sein. Doch schließlich wurden die Stimmen neben ihnen leiser. Und nach einigen weiteren Atemzügen wagte es Priwinn, behutsam einen Zipfel der Plane anzuheben und ins Freie zu blinzeln.

»Jetzt - schnell«, befahl er.

Rasch krochen sie unter der Plane heraus und huschten über den Innenhof des Palastes. Hier hatte sich nichts verändert, und es fiel Kim nicht schwer, Priwinn zu folgen. Sie betraten das Hauptgebäude durch eine schmale Nebentür, die - wie Kim sich erinnerte - in die Küche und zu den Vorratsräumen hinabführte, blieben einen Moment stehen, um zu lauschen, und huschten hinein.

Der große Raum mit den zahlreichen Kochstellen, mit Schränken und Regalen voller Töpfe und Tiegel war vollkommen leer. In der Luft hing ein unangenehmer Geruch wie nach verdorbenen Lebensrnitteln und abgestandenem Wasser. Und während Kim eilig hinter Priwinn herlief, fiel ihm im Vorbeigehen auf, daß eine dünne Staubschicht auf dem Boden und den Möbeln lag. Alles war schon seit langer Zeit nicht mehr benutzt worden.

»Und jetzt?« fragte er, nachdem sie den Raum durchquert und einen schmalen Treppenschacht erreicht hatten. Priwinn überlegte einen Moment. Dann deutete er nach oben. »Ich glaube, das ist die Treppe für das Gesinde«, sagte er. »Sie führt direkt nach oben, damit die Diener mit ihren Speisen nicht ständig durch die Haupthalle laufen müssen. Wenn wir Glück haben, finden wir die Tür zu Themistokles' Gemach.«

Aber das war leichter gesagt als getan. Wie sich herausstellte, war es beileibe nicht nur eine Treppe. Priwinn hatte zwar recht gehabt mit seiner Vermutung, jedoch zeigte sich bald, daß es abseits der breiten Treppen und Gänge des Palastes ein ganzes Labyrinth von geheimen Wegen zu geben schien, die für die Bediensteten vorgesehen waren. Sie öffneten ein Dutzend Türen, nur um verstaubte, verlassene Räume zu finden.

Davon allerdings mehr als genug. Der Anblick der Küche wiederholte sich - alles war verwaist, und die Luft roch schlecht und abgestanden. Kim kam sich mehr und mehr vor, als irrte er durch ein Haus, das schon vor Jahrzehnten von seinen Bewohnern verlassen worden war. Er sprach Priwinn darauf an, aber der Steppenprinz zuckte nur mit den Schultern.