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»Du hast hier nichts zu verlangen, Zwerg«, donnerte Themistokles. Seine Augen schienen Funken zu sprühen, und der Zwerg wich abermals einen halben Schritt zurück. »Diese beiden sind meine Gäste! Dich habe ich nicht eingeladen, wenn ich mich recht entsinne. Also beherrsche dich!« Etwas ruhiger, aber noch immer in scharfem Ton, wandte er sich an einen der beiden Soldaten. »Was hat das zu bedeuten, Hauptmann?«

Der Hauptmann steckte hastig sein Schwert weg und begann mit den Füßen zu scharren.

»Verzeiht, Herr«, begann er unsicher. »Aber ... aber dieser Zwerg da richtet schwere Vorwürfe gegen Eure beiden Gäste.«

»Welcher Art?« fragte Themistokles.

»Der da -« Der Zwerg deutete mit einem schmuddeligen Zeigefinger wie mit einem Dolch auf Kim. »- hat mich und meine Freunde überfallen. Zusammen mit einem Riesen ist er über uns hergefallen. Sie haben viele unserer Eisenmänner zerstört und hätten auch uns andere unweigerlich umgebracht, wären wir nicht geflohen. Wir gingen unserem Tagewerk nach, als sie auftauchten und einfach auf uns einzuschlagen begannen. Völlig grundlos!«

»Dieser Junge - gegen zwölf von Euren Eisenmännern?« Themistokles lachte leise. »Du scherzt, Zwerg.«

»Sein Begleiter war ein Riese, wie ich schon sagte!« protestierte der Zwerg. »Und ein geflügelter Drache war auch noch dabei.«

»Sicher«, sagte Themistokles ruhig. »Ich kenne sie.« Der Zwerg funkelte ihn an. »Ich verlange mein Recht. Diese beiden sollen für den Schaden aufkommen, den sie angerichtet haben.«

»Wenn das alles ist...«, Themistokles lächelte, machte einige Zeichen mit der linken Hand - und wie aus dem Nichts erschien ein faustgroßer Goldklumpen vor dem Zwerg in der Luft.

»Das dürfte Euren Schaden mehr als ausgleichen, Herr« meinte Themistokles.

Rasch bückte sich der Zwerg, hob den Goldklumpen auf und steckte ihn in die Tasche - aber der Stoff zerriß, und der Goldklumpen fiel krachend auf die Zehen des Zwerges herab, der kreischend auf einem Bein herumzuhüpfen begann. Kim unterdrückte ein Grinsen, und auch in den Gesichtern der beiden Soldaten zuckte es verdächtig.

Nur Themistokles blieb vollkommen ernst. »Ist dein Anliegen damit erledigt?« fragte er.

»Nein«, grollte der Zwerg, nachdem er sich wieder beruhigt und den Goldklumpen wieder aufgehoben hatte. Er deutete abermals anklagend auf Kim. »Ihr gebt also zu, daß dieser Bursche da schuldig ist. Ich verlange seine Auslieferung. Und die des anderen auch. Ich weiß, daß er zu den Rebellen gehört, die in den Wäldern leben und unsere Schmieden überfallen.«

»Stimmt das?« wandte sich Themistokles an Prinz Priwinn.

»Blödsinn«, antwortete Priwinn. »Wir leben nicht in den Wäldern.«

»Da hörst du es«, sagte Themistokles. »Blödsinn.« Er lachte, aber es hörte sich mehr wie ein Kichern an. Kim warf ihm einen erstaunten Blick zu. Das war gar nicht Themistokles' Art, so herumzualbern...

Der Zwerg ächzte vor Wut. Dann wandte er sich mit einer herausfordernden Geste an die beiden Wachen. »Ich verlange mein Recht, Hauptmann!« keifte er. »Die beiden haben uns heimtückisch überfallen. Sind wir Zwerge weniger wert als ihr, daß man ungestraft so mit uns umspringen kann?«

Dem Hauptmann war anzusehen, daß er sich von Sekunde zu Sekunde weniger wohl in seiner Haut fühlte. Er sah Themistokles nicht an, als er sich an ihn wandte. »Verzeiht, Herr, aber ... aber wenn der Zwerg die Wahrheit sagt, dann ... dann müßt Ihr uns beide übergeben. Sie haben ein Verbrechen begangen.«

»Das haben wir nicht!« rief Kim. »Dieser Zwerg hat uns angegriffen. Wir haben uns nur gewehrt!«

»Da hört ihr es!« keifte der Zwerg. »Er gibt es selbst zu!« Themistokles antwortete nicht gleich. Und als Kim sich nach ein paar Sekunden herumdrehte und in sein Gesicht sah, erschrak er zutiefst. In Themistokles' Augen flackerte es. Es schien ihm immer mehr Mühe zu bereiten, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Aber dann strengte er sich noch einmal an und fand zu seinem früheren Selbst zurück.

»Wenn es so ist, Hauptmann«, sagte er, »so werde ich selbst über sie richten. Oder zweifelt Ihr mein Urteilsvermögen an?«

»Natürlich nicht, Herr«, entgegnete der Hauptmann hastig. »Bitte verzeiht.«

»Schon gut«, sagte Themistokles. Er zitterte. »Geht jetzt. Ich werde diese beiden anhören und dann entscheiden, was mit ihnen zu geschehen hat. Geht - und nehmt diese häßliche Kreatur mit, ehe ich sie in eine Kröte verwandle!« Die Augen des Hauptmannes wurden groß, und auch der Zwerg sperrte vor Unglauben Mund und Augen auf. Aber bevor er ging, wandte er sich noch einmal mit einem haßerfüllten Blick an Kim. »Wir werden uns wiedersehen«, versicherte er. »Glaub bloß nicht, daß ich lockerlasse.« Der Zwerg und die beiden Soldaten gingen, und sowohl Kim als auch Priwinn fuhren zu Themistokles herum, kamen aber nicht dazu, irgend etwas zu sagen. Der alte Zauberer wankte immer heftiger und hatte plötzlich nicht mehr die Kraft, auf eigenen Beinen zu stehen. Mit einem erschöpften Seufzen, das fast wie ein Schrei klang, ließ er sich in seinen Sessel sinken.

»Themistokles!« rief Kim erschrocken. »Was hast du?«

»Schwach ...«, hauchte Themistokles, »ich ... fühle mich so schwach. Es ist als ... sauge mir etwas die Kraft aus.«

»Der Zwerg!« rief Priwinn haßerfüllt. »Ich werde diesen Burschen -«

»Du wirst gar nichts«, unterbrach ihn Themistokles matt. »Ihr müßt... fliehen. Ich weiß nicht, wie lange ich euch noch beschützen kann. Er wird wiederkommen. Geht, solange ich noch ... Herr meiner Sinne bin. Geht auf demselben Weg, auf dem ihr gekommen seid. Und gebt acht. Sie werden versuchen, euch aufzulauern.«

»Wir können dich doch nicht allein lassen!« rief Kim, aber Themistokles schüttelte abermals den Kopf. Müde streckte er die zitternde Hand aus und berührte ganz flüchtig Kims Wange.

»Du bist tapfer«, murmelte er. »Aber dein Mut wäre verschwendet. Hab keine Sorge - noch bin ich Herr von Gorywynn, und sie werden es nicht wagen, die Hand gegen mich zu erheben.« Er lachte leise und ohne die mindeste Spur von Humor. »Es ist ja auch gar nicht nötig. Nicht mehr lange, und ich werde nichts weiter sein als ein vergeßlicher alter Mann, der in seiner Turmkammer sitzt und die wenigen Sterne zählt, die seine kurzsichtigen Augen noch sehen. Vielleicht ist es gut so. Ich bin so müde. So unendlich müde ...« Und damit schlief er tatsächlich mitten im Wort ein.

Kim starrte ihn fassungslos an, dann schrie er auf und begann, an seiner Schulter zu rütteln, bis Priwinn ihn mit Gewalt von Themistokles fortzerrte. Kim schlug seine Hand beiseite.

»Laß mich!« schrie er.

»Wir können nichts für ihn tun«, meinte Priwinn ernst. »Themistokles hat recht - wir müssen unser Leben retten.«

»Ich lasse ihn nicht hier zurück!«

Der Steppenreiter schüttelte traurig den Kopf. »Sie werden ihm nichts tun«, sagte er. »Sieh ihn doch an. Er ist keine Gefahr mehr für sie. Ich glaube, diese Unterhaltung mit uns hat alles aufgezehrt, was noch an Kraft in ihm war. Komm.«

Es verging noch eine geraume Weile, in der Kim einfach dastand und den schlafenden alten Mann auf dem Stuhl vor sich anblickte. Wieder füllten sich seine Augen mit Tränen. Der Anblick brach ihm schier das Herz.

Aber schließlich sah er ein, daß Priwinn recht hatte - sie konnten rein gar nichts für Themistokles tun. Und sie selbst waren noch lange nicht außer Gefahr.

Er wischte die Tränen fort, straffte die Schultern und wollte zu der verborgenen Türe zurückgehen, durch die sie den Raum betreten hatten, als ihm auffiel, wie Priwinn an einem der Fenster stand und diesen trällernden Laut hören ließ. Und wie schon einmal, vergingen nur wenige Augenblicke, bis das Rauschen gewaltiger Schwingen die Stille der Nacht unterbrach und Rangarig kam, um sie abzuholen.