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XIII

Sie flogen auch dieses Mal nur ein kurzes Stück auf Rangarigs Rücken, aber jeder Verfolger zu Pferde oder gar zu Fuß hätte lange gebraucht, um sie einzuholen; vorausgesetzt er hätte gewußt, wo er sie zu suchen hatte.

Kim zitterte vor Ungeduld. Schon während des Fluges versuchte er, mit Priwinn und Gorg zu reden, aber der pfeifende Wind auf Rangarigs rasendem Flug machte eine Verständigung unmöglich. Kaum aber glitten sie vom breiten Rücken des Drachen herunter, fiel er über Priwinn her. Aber Priwinn antwortete nicht sofort auf die vielen Fragen, die Kim nahezu gleichzeitig hervorsprudelte. Hastig zog er Kim ein Stück von Rangarig fort. Der Drache war unruhig. Seine Krallen zerrissen den Boden, und sein zuckender Schweif entwurzelte Büsche und kleinere Bäume. Sein Kopf war erhoben und bewegte sich unablässig hin und her, als suche er den Himmel ab.

Als Priwinn endlich stehenblieb, fragte Kim: »Was hat Themistokles damit gemeint - er könne euch nicht länger schützen? Und was bedeuten die Worte des Zwerges: die Aufständischen, die in den Wäldern leben.«

»Alles Unsinn«, gab Priwinn zurück. »Ich habe doch schon gesagt - wir leben nicht in den Wäldern.«

Kim mußte sich mit aller Macht beherrschen, um nicht loszubrüllen. »Du weißt ganz genau, was ich meine«, sagte er gepreßt. »Also?«

Priwinn musterte ihn fast feindselig, und wieder war es der gutmütige Riese Gorg, der einlenkte.

»So ein großes Geheimnis ist es nicht«, sagte Gorg. »Es gibt schon viele, die wie wir nicht mit dem einverstanden sind, was hier vorgeht.«

»Ich verstehe«, murmelte Kim. »Und ihr wollt sogar mit Gewalt losschlagen, um die Eisenmänner und damit die Macht der Zwerge zu vernichten.«

»Wenn es sein muß.« Plötzlich wurde Priwinns Stimme fast flehend. »Du hast gesehen, was in Gorywynn vorgeht. Du hast Themistokles gesehen - reicht das denn immer noch nicht?«

»Doch«, antwortete Kim. »Aber ich habe auch gehört, was er erzählt hat. Die Zwerge -«

»Er weiß nicht mehr, was er sagt!« fiel ihm Priwinn ins Wort. »Kim, du hast es selbst erlebt! Er ist ein alter, schwacher Mann geworden. Jedes Kind könnte ihn täuschen. Hast du nicht selbst gesagt, daß die Zwerge etwas mit den Veränderungen in Märchenmond zu tun haben?«

Kim fühlte sich plötzlich hilflos. Er vertraute Priwinn und Gorg nach allem, was er gesehen hatte. Aber er vertraute auch Themistokles. War es denn möglich, daß es zwei Wahrheiten gab? Und daß beide Seiten recht hatten, jede auf ihre Art? Es war verwirrend. Man bekam Kopfschmerzen, wenn man zu lange über diese Frage nachdachte. »Ihr plant also so eine Art Rebellion«, vermutete Kim. Priwinn sah ihn unwirsch an.

»Nun, ja«, meinte Gorg.

Der Prinz schenkte ihm einen giftigen Blick. »Nun, ja«, wiederholte Gorg unbeirrt, »jetzt, wo du da bist...«

»Ich?« wunderte sich Kim.

»Natürlich du!« sagte jetzt Priwinn. Er schlug seinen Umhang zurück und legte die flache Hand auf den Brustharnisch der schwarzen Rüstung, die er darunter trug. »Die Leute hier haben nicht vergessen, was du für sie getan hast, Kim. Du hast unsere Welt schon einmal gerettet. Ich bin sicher, sie würden dir folgen, wenn du sie rufst. Zieh diese schwarze Rüstung an, stell dich an unsere Spitze, und wir jagen das Zwergenvolk dorthin, wo es hergekommen ist.«

»Ganz gleich, ob es schuldig ist oder nicht, wie?« gab Kim zurück.

Rangarig bewegte sich unruhig. »Wir sollten nicht zu lange hierbleiben«, knurrte er. »Ich glaube, jemand ... etwas kommt.«

»Nur einen Moment noch, Rangarig« rief Priwinn, ohne den Drachen auch nur anzusehen. »Das hier ist wichtig.« Er schaute Kim durchdringend an. »Also - wie entscheidest du dich?«

Kim schwieg. Er fühlte sich ratloser denn je. Und er empfand Priwinns Frage als unfair. Er konnte einen solchen Entschluß nicht innerhalb von Sekunden treffen.

»Ich kann das nicht entscheiden«, sagte er daher. »Nicht sofort.«

»Wann denn?« fragte Priwinn aufgebracht. »Wenn es zu spät ist?«

»Ich verstehe euch ja«, murmelte Kim. »Ihr ... ihr seid zornig. Ihr habt Angst, daß eure Welt zugrunde geht, und ihr stürzt euch auf den erstbesten, den ihr findet, und gebt ihm die Schuld.«

»Du hörst dich schon an wie Themistokles!« meinte Priwinn giftig.

»Was nicht unbedingt das schlechteste ist«, bemerkte Gorg. Der Steppenprinz fuhr herum, als wolle er seinen Zorn nun auf den Riesen entladen, aber genau in diesem Moment knurrte Rangarig abermals tief und fast wütend: »Jemand kommt. Macht schnell!«

Sie zögerten nicht mehr länger. Ganz gleich, wie wichtig ihr Gespräch war - wenn sich Rangarig so benahm, dann taten sie besser, was er sagte.

Schon wollten sie zu dem Drachen hinübergehen, als sich Rangarig plötzlich mit einem markerschütternden Brüllen aufrichtete, die Flügel ausbreitete und mit einem gewaltigen Satz in die Höhe sprang. Wie ein goldener Blitz schoß er in den Himmel hinauf, und die Sturmwoge seiner peitschenden Schwingen riß nicht nur Kim und Priwinn, sondern selbst den Riesen von den Füßen und ließ sie alle meterweit davonkollern.

Kim zog den Kopf ein, als dem Sturmwind ein Hagel aus Erde, Steinen und zerfetztem Blattwerk und Ästen folgte. Erst nach einigen Sekunden wagte er es, die Hände herunterzunehmen und in den Himmel hinaufzublicken.

Rangarig kreiste über dem Wald, so hoch, daß er nur noch als goldfarbenes Funkeln sichtbar war. Und er war nicht allein.

Ein zweiter Schatten, riesig und mißgestaltet und ebenfalls nur als Schemen zu erkennen, näherte sich ihm. Seine Bewegungen waren sonderbar eckig und muteten schwerfällig an, aber sie wirkten nur so: Rangarig und der zweite Schatten umkreisten einander wie zwei gigantische Raubvögel, und keiner schien dabei merklich schneller als der andere zu sein.

»Was ist das?« flüsterte Kim entsetzt.

»Ich weiß es nicht«, gab Priwinn in der gleichen Tonlage zurück. »Aber wenn es etwas ist, das selbst Rangarig angst macht, dann...«

Der Rest seiner Worte ging in einem ungeheuerlichen Dröhnen und Krachen unter, als die beiden Schemen hoch über ihnen am Himmel zusammenstießen. Für Augenblicke schienen sie zu einem einzigen gigantischen Schatten aus peitschenden Schwingen und hackenden Krallen und wogender Schwärze zu verschmelzen. Sie konnten hören, wie Rangarigs Krallen auf Widerstand stießen und etwas den Drachen selbst traf. Funken stoben auf. Dann lösten sich die beiden formlosen Giganten wieder voneinander und fuhren fort, einander zu umkreisen.

»Ein Drache?« murmelte Kim fassungslos. »Ist das ... ein Drache?«

»Nein«, sagte Gorg überzeugt. »Es gibt nur Rangarig. Das muß etwas anderes sein.«

Aber was? Kim strengte seine Augen an, aber der fremde Schatten blieb riesig und fast körperlos, auch als Rangarigmit ihm ein zweites und drittes Mal zusammenprallte, daß das ganze Himmelsgewölbe zu erzittern schien. Rangarig brüllte vor Wut und Schmerz, und als sie sich das vierte Mal voneinander lösten, da sah Kim deutlich, daß die Bewegungen des Golddrachen viel an Eleganz und Kraft eingebüßt hatten. Aber auch sein Gegner war angeschlagen. Er torkelte nur noch über den Himmel - und plötzlich schwang sich Rangarig herum, gelangte mit einem einzigen, kraftvollen Flügelschlag über ihn - und stürzte wie ein herabstoßender Falke direkt auf den anderen herab. Wieder stoben Funken auf, und plötzlich löste sich etwas von den beiden ineinandergekrallten Gestalten und stürzte wie ein funkensprühender Meteor vom Himmel. Es schlug nur wenige Dutzend Schritte neben Kim und den anderen auf; so wuchtig, daß die Erde bebte.

Kim sprang auf und lief hin, während sich hoch über ihren Köpfen die beiden Gegner wieder voneinander lösten. Der Schatten ergriff die Flucht, aber Rangarig verfolgte ihn, wobei er immer wieder mit Krallen und Zähnen auf ihn einschlug. Der goldene Drachen hatte den Kampf gewonnen. Aber aus irgendeinem Grund war Kim nicht sicher, ob er sich darüber freuen sollte.