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»Was mag hier geschehen sein?« flüsterte er schaudernd. Priwinn blickte ihn nur betroffen an, und auch Gorg schwieg, aber plötzlich schob sich ein Teil eines rot-orange-farbenen Gesichtchens unter Kims Hemd hervor, und Bröckchen meldete sich angewidert: »Das waren sie.«

»Sie?«

»Zweibeiner.«

»Du meinst -«, begann Priwinn.

»Wer denn sonst?« Es war nicht Bröckchen, der ihn unterbrach, sondern Sheera. Der Kater, der unter Gorgs Hemd reiste, kletterte jetzt auf die Schulter des Riesen hinauf, wobei er rücksichtslos seine Krallen zu Hilfe nahm. Gorg schien es nicht einmal zu spüren. »Sie waren hier. Ist noch nicht lange her. Ich kann sie noch riechen.«

»Das ... glaube ich nicht«, widersprach Kim unsicher. »Wer wollte in einer Landschaft wie dieser leben?«

»Keiner«, sagte Bröckchen nun wieder. »Na und? Dann ändern sie sie eben. Das alles hier war einmal Eis. Jetzt ist es Schlamm. Bald wird es trocken und warm sein, und sie werden sich ausbreiten wie eine Krankheit, bis sie auch dieses Stück Welt zerstört haben.«

Der Zorn, den Kim in Bröckchens Stimme hörte, erstaunte ihn. Dergleichen hatte er von ihm noch nicht gehört. »Vielleicht ... gibt es ja noch eine andere Erklärung«, meinte Kim stockend. Er hoffte es jedenfalls.

»Die Bauern brauchen Land, um zu leben«, sprang Gorg ihm bei. Aber es klang nicht sehr überzeugend.

»Sie haben kein Recht dazu!« ereiferte sich jetzt Sheera. »Wieso regt ihr beide euch eigentlich so auf?« wollte Priwinn wissen. »Ich meine - wem wird geschadet, wenn ein paar Berge fruchtbar gemacht werden? Vielleicht werden hier bald Blumen und Bäume wachsen -«

»Weil es euch so gefällt?« unterbrach ihn der Kater. Seine Augen wurden zu schmalen, gelben Schlitzen. »Oh, und ich Narr dachte, du wärst anders als der Rest. Aber du bist genauso blind. Wieso muß die ganze Welt so aussehen, wie sie euch gefällt? Glaubt ihr, das alles hier hätte keinen Sinn? Denkt ihr, nur was euch nützlich scheint, dürfte existieren? Da irrst du, Prinz. Wüsten und Meere, unfruchtbare Berge und Eisböden, das alles wurde nicht ohne Zweck erschaffen. Was, wenn eines Tages ein Volk erscheint, das sich nur in trockener Wüste wohl fühlt. Was würdet ihr wohl sagen, wenn sie anfingen, eure Wälder zu roden?«

»Das ist ein Unterschied!« widersprach Priwinn. »Hier lebte schließlich niemand.«

»Und?« schnappte Sheera. »Glaubst du, daß Leben allein zählt? Was hältst du von dem Wort Schöpfung, Zweibeiner? Und vielleicht so etwas wie Respekt davor?«

»Hör auf«, knurrte Gorg. »Rangarig kommt zurück.« Er deutete schräg in den Himmel hinauf, wo ein winziges Funkeln aufgetaucht war.

Priwinn runzelte die Stirn. »Das ging aber schnell. Ich hätte nicht gedacht, daß er so bald wieder zurückkommt.«

»Ja«, fügte Kim hinzu, im gleichen, nachdenklichen Tonfall. »Und außerdem kommt er aus der falschen Richtung«, stellte er erstaunt fest.

»Das ist kein Wunder«, bemerkte Bröckchen trocken. »Weil es nämlich nicht Rangarig ist - RENNT!!!«

Das letzte Wort hatte es so laut gebrüllt, daß Kims Ohren klingelten. Mit einem gewaltigen Satz befreite sich Bröckchen aus seinem Hemd, sprang in den Morast hinab und versank sofort in der braunen Brühe. Sheera stieß ein erschrockenes Fauchen aus und sprang mit einem Satz hinter ihm her.

Aus dem Funkeln am Himmel wurde ein riesiger, grausilberner Umriß, der rasend schnell näher kam. Nein, das war nicht Rangarig.

Aber es war ein Drache!

Er war riesig, viel größer als Rangarig, und er sah auf schwer zu beschreibende Weise böser aus, ein Maschinenungeheuer mit stählernen Schwingen und Zähnen aus blitzendem Chrom. Seine Bewegungen wirkten eckig und ungelenk wie die einer Marionette, deren Spieler noch nicht völlig die Kontrolle über sie gefunden hatte. Und wo Rangarigs Flug vom mächtigen Rauschen seiner Schwingen begleitet wurde, da hörte man nun ein unablässiges Knarren und Ächzen und etwas wie das rhythmische Stampfen eines ungeheuerlichen, eisernen Herzens. Aus den Nüstern des Stahldrachens quoll grauer Dampf, und seine Augen, die aus Glas und zehnmal so starr wie die einer Schlange waren, leuchteten in einem unheimlichen, drohenden Grün. Vier oder fünf in schäbige schwarze Umhänge gekleidete Gestalten hockten im metallischen Nacken des Ungeheuers: Zwerge. Selbst über die noch große Entfernung hinweg konnte Kim ihre triumphierenden Schreie hören, als sie ihre wehrlosen Opfer unter sich erblickten.

Endlich erwachten Kim und die anderen aus ihrer Erstarrung. Gorg war der erste, der herumfuhr und mit Riesensätzen davonzustürmen begann. Und er war es auch, der aus Leibeskräften schrie: »Verteilt euch! Jeder in eine andere Richtung, damit er uns nicht alle auf einmal erwischen kann!«

Kim hatte dem Riesen automatisch folgen wollen, wirbelte aber jetzt auf der Stelle herum und rannte in die entgegengesetzte Richtung. Auch Priwinn stob davon, ebenso Bröckchen und der Kater, und kaum eine Sekunde später verdunkelte ein gewaltiger Schatten den Himmel. Kim spürte einen harten Schlag, als ihn der Sturmwind der peitschenden Stahlschwingen traf.

Ihr Manöver hatte den Angreifer aus dem Konzept gebracht. Statt dreier winziger, eng beieinanderstehender Opfer, die er wahrscheinlich mit einem einzigen Krallenhieb hätte vernichten können, sah er plötzlich drei in verschiedene Richtungen und noch dazu im Zickzack auseinanderrennende Gestalten. Sein Angriff ging ins Leere. Kim hörte einen mißtönenden, zornigen Schrei, als die stählernen Klauen des Ungeheuers nichts als Morast ergriffen. Dann rauschte das fliegende Ungeheuer so dicht über ihn hinweg, daß ihn der Windzug glatt von den Füßen riß und meterweit durch den Schlamm kollern ließ.

Der weiche Morast dämpfte den Aufprall, aber Kim bekam mit einemmal keine Luft mehr, und für Sekunden war er blind. Als er sich hustend und würgend wieder aufrichtete und sich den Dreck aus den Augen rieb, da hatte der Drache bereits wieder an Höhe gewonnen und schwenkte zu einem neuen Angriff herum.

Kim war nicht besonders überrascht, als er den Kurs der Stahlbestie in Gedanken verlängerte und begriff, daß die nächste Attacke ihm galt. Hastig sprang er auf die Füße, rannte ein paar Schritte und schlug einen Haken nach rechts, wieder ein paar Schritte, dann nach links, und schließlich drehte er sich auf dem Absatz um und stürmte geradewegs in die Richtung, aus der er gekommen war. Und er hatte noch einmal Glück. Die zupackenden Klauen des Drachen verfehlten ihn bei diesem Angriff nur um einen knappen Meter, aber dicht vorbei war schließlich auch daneben, und diesmal war Kim auf den Faustschlag des Windes vorbereitet und blieb auf den Füßen, als der Drache über ihn hinwegglitt.

Nicht vorbereitet war er aber auf den kaum einen Meter großen Körper, der plötzlich in seinen Nacken stürzte und ihn der Länge nach in den Schlamm fallen ließ.

Instinktiv rollte sich Kim herum, stampfte sein Anhängsel dabei durch sein Gewicht metertief in den Morast und rappelte sich wieder hoch. Hastig fuhr er sich mit den Händen über die Augen, um wenigstens etwas sehen zu können. Eine dürre Hand griff nach seinem Fußgelenk und zerrte daran. Kim riß sich los, aber plötzlich waren zwei weitere Kletten da, die sich auf ihn stürzten, und noch während er versuchte, sich ihrer zu erwehren und dabei sein Gleichgewicht auf dem schlüpfrigen Boden zu halten, tauchten aus dem Schlamm rechts und links von ihm zwei, drei weitere winzige, dürre Gestalten auf: Zwerge, die alle vom Rücken des Drachen heruntergesprungen waren.

Und ein halbes Dutzend davon war selbst für Kim zuviel. Er packte zwei, drei von ihnen und schleuderte sie von sich, aber sie kamen mit phantastischer Schnelligkeit wieder auf die Füße, und sie kämpften wie die Besessenen. Kim duckte sich unter einem wahren Hagel von Hieben und Tritten, und sein Gesicht war bald von Blut besudelt. Es fiel Kim immer schwerer, den wütenden Schlägen auszuweichen, und er spürte, wie seine Kräfte nachließen. Sein Versuch, das Land der wahrgewordenen Träume und Märchen ein zweites Mal zu retten, hätte wahrscheinlich schon in diesem Moment ein unrühmliches Ende gefunden, wäre nicht plötzlich eine hünenhafte Gestalt über ihm aufgetaucht und hätte die Zwerge von ihm heruntergepflückt wie Fallobst.