Gorg schleuderte die Gnome meterweit davon. Einem besonders heimtückischen Zwerg, der plötzlich ein Messer zog und versuchte, damit auf Kim einzustechen, entrang er die Waffe und zerbrach sie vor seiner Nase in zwei Teile, woraufhin der Zwerg mit einem entsetzten Kreischen die Flucht ergriff. Dann riß der Riese Kim auf die Füße.
»Los!« brüllte er. »Nichts wie weg!«
Aber sie kamen nur wenige Schritte weit. Mit einem ungeheuerlichen Brüllen stürzte der Stahldrache vor ihnen vom Himmel, landete mit gespreizten Krallen im Morast und breitete die Schwingen aus, so daß er plötzlich wie eine unüberwindliche, eiserne Wand vor ihnen aufragte. Eine Wand mit Klauen und Zähnen, die drohend gebleckt waren.
Gorg schrie vor Schrecken auf, warf sich nach links und zerrte Kim einfach mit sich - und prallte mitten in der Bewegung zurück, als ein dünner, vielfach verästelter blauer Blitz aus dem Maul des Drachen brach und dicht vor seinen Füßen den Schlamm explodieren ließ. Eine Woge aus kochendem Morast und brühheißem Dampf überschüttete sie beide, so daß sie vor Schmerz aufbrüllten.
Trotzdem wechselte Gorg blitzschnell die Richtung und versuchte ein zweites Mal davonzustürmen. Diesmal verfehlte ihn der blaue Feueratem des Drachen nur um Haaresbreite, und Kim hörte, wie der Riese vor Schmerz stöhnte, als die Hitze seine Haut versengte.
»Das reicht jetzt, ihr Narren!« schrie eine unangenehme Stimme hinter ihnen. »Wollt ihr wirklich hier sterben?« Kirn erkannte die Stimme, noch bevor er sich herumdrehte und in Jarrns Gesicht sah. Der Zwerg war fast bis an die Hüften im Morast versunken, und sein Gesicht war über und über mit Schlamm besudelt. Trotzdem gab es keinen Zweifeclass="underline" Es war Jarrn, der Zwerg, mit dem alles begonnen hatte. »Ihr habt die Wahl«, sagte dieser böse. »Ihr müßt aufgeben, oder er wird euch auf der Stelle vernichten. Mir ist es gleich.«
Gorg funkelte ihn zornig von oben an: »Ich habe keine Angst vor dem Sterben!«
Jarrn bedachte ihn mit einem abfälligen Blick. »Dumm genug dazu bist du. Aber von dir will ich gar nichts.« Er deutete auf Kim und versuchte sich weiter aufzurichten, aber der klebrige Morast hielt ihn zurück. »Wir wollen nur ihn. Übergebt ihn uns, und euch wird nichts geschehen!«
»So einen Vorschlag kann auch nur ein Zwerg machen.« Das war Priwinn, der hinter Jarrn aufgetaucht war, eigentlich nahe genug, um den Zwerg mit einem Satz zu erreichen und zu packen. Aber zwischen ihm und Jarrn hatten sich drei weitere Zwerge aufgebaut, die drohend ihre Waffen gezückt hatten. »Du glaubst doch nicht, daß wir einen von uns opfern, damit die anderen davonkommen?«
Jarrn würdigte den Prinzen nicht einmal einer Antwort. Der Blick seiner kleinen verschlagenen Augen bohrte sich in den Kims.
Kims Gedanken rasten. Der Drache ragte wie ein Berg aus Stahl hinter ihnen auf, bereit, jeden von ihnen auf einen einzigen Wink Jarrns hin zu vernichten. Und er las in den Augen des Zwerges, daß dieser wild entschlossen war, diesen Wink zu tun, wenn es sein mußte.
»Es ist gut, Priwinn«, sagte Kim leise. »Ich werde tun, was er verlangt.«
Priwinn keuchte. »Du bist wahnsinnig! Sie werden dich umbringen!«
Das hätten sie längst gekonnt, wenn sie es wollten, dachte Kim. Aber aus irgendeinem Grund wollten sie ihn lebend. Er sprach jedoch nichts davon aus, sondern blickte den Zwerg nur durchdringend an und fragte dann: »Gibst du mir dein Wort, daß du die anderen in Frieden läßt, wenn ich mit euch komme?«
»Sicher«, bestätigte Jarrn. »An ihnen liegt mir nichts.«
»Tu das nicht!« Priwinn trat beschwörend auf Kim zu, aber sofort vertraten ihm die Zwerge den Weg und hoben drohend ihre Waffen.
»Ich komme mit«, sagte Kim noch einmal. »Ich ... werde keinen Widerstand leisten, das verspreche ich.«
Er streckte die leeren Hände aus und bewegte sich einen Schritt auf Jarrn zu - da stürzte er schon wieder der Länge nach in den klebrigen Schlamm, als der Stahldrache sich ohne Warnung in die Luft emporschwang und dabei einen Sturmwind entfesselte, der sie allesamt von den Füßen riß. Am Himmel über ihnen erglänzte jetzt ein goldener Schatten, der sich mit einem schrillen Schrei auf den stählernen Drachen stürzte. Das mechanische Ungeheuer versuchte an Höhe zu gewinnen und sich gleichzeitig herumzuwerfen, um sich seinem Gegner zu stellen. Aber der Golddrache war zwar kleiner als er, dafür aber ungleich schneller. Seine gewaltigen Schwingen trafen den metallenen Leib des anderen und wirbelten ihn herum wie ein welkes Blatt. Sekunden später gruben sich die goldenen Klauen in den Rücken des stählernen Ungeheuers, daß die Funken schlugen. »Rangarig!« schrie Priwinn. Er fuhr herum und machte einen drohenden Schritt in Jarrns Richtung. »So, kleiner Mann - ich denke, jetzt sieht die Lage vielleicht etwas anders aus.«
Jarrn schluckte ein paarmal. Unter der Kruste aus halb erstarrtem Matsch verlor sein Gesicht jedes bißchen Farbe. »Nun«, begann er unsicher. »Vielleicht können wir ja noch einmal in aller Ruhe -«
Weiter kam er nicht. Priwinn stürzte sich mit ausgebreiteten Armen auf ihn, und im gleichen Moment packte auch Kim einen der völlig überraschten Zwerge am Kragen und entwand ihm mit der anderen Hand seine Waffe. Gorg streckte fast gemächlich die Arme aus und ergriff gleich zwei der häßlichen Gnome, und die beiden restlichen suchten ihr Heil in der Flucht.
Sie kamen nicht sehr weit. Aus dem Schlamm schössen plötzlich zwei wendige, matschverklebte Körper, und die beiden Zwerge gingen kreischend zu Boden, als Sheera und Bröckchen mit Zähnen und Klauen über sie herfielen. Der Kampf - soweit man das entstehende Gerangel und Geschubse überhaupt so nennen konnte - dauerte nur kurz, dann waren die Zwerge allesamt entwaffnet und in sicherem Gewahrsam. Kim packte den Gnom, den er sich gegriffen hatte, wickelte ihn kurzerhand in dessen eigenen Mantel und trug ihn dorthin, wo auch Priwinn und Gorg ihre Gefangenen abgeladen hatten. Bröckchen trieb einen sehr verschüchtert wirkenden Zwerg vor sich her, während der Kater noch immer auf der Brust des anderen hockte und fauchend Reißzähne bleckte, die nicht viel kürzer als die Finger seines Gefangenen waren. »Laß es gut sein, Sheera«, sagte Gorg. »Der Kampf ist vorbei.«
»Sie schmecken sowieso nicht«, meckerte Bröckchen. Kims Blick glitt in den Himmel. Die beiden Giganten kreisten dort noch immer, wobei sie unentwegt mit Zähnen, Krallen, Schwänzen und Flügeln aufeinander einschlugen. Sie hatten sich ein gutes Stück entfernt, aber der Lärm ihres wütenden Ringens war noch immer so gewaltig, daß Kim und die anderen schreien mußten, um sich zu verständigen. »Er schafft es!« rief Priwinn. »Rangarig besiegt ihn! Seht doch!«
»Da wäre ich nicht so sicher«, keifte Jarrn und verstummte erschrocken, als Priwinn ihm einen drohenden Blick zuwarf.
Aber auch Kim war nicht so zuversichtlich wie der Steppenprinz, was den Ausgang des Kampfes anging. Die beiden tobenden Giganten umkreisten einander unentwegt wie kämpfende Raubvögel. Rangarigs Krallen trafen den Stahldrachen immer wieder und schlugen Funken aus dessen Leib; einmal glaubte Kim, etwas aus ihm herausbrechen und weit entfernt zu Boden stürzen zu sehen, und schließlich fetzten Rangarigs Krallen ein gewaltiges Stück aus einer metallischen Schwinge, was Priwinn zu einem begeisterten Aufschrei veranlaßte.
Doch auch der Golddrache wurde immer und immer wieder getroffen. Seine Bewegungen waren längst langsamer geworden und jetzt fast so holprig wie die seines Gegners. Und Kim sah, daß es ihn immer mehr Mühe kostete, sich in der Luft zu halten.
Plötzlich stieß der Stahldrache einen dünnen, blauweißen Blitz aus, der Rangarig wie eine Nadel aus Licht direkt in die Brust traf. Selbst über die große Entfernung hinweg konnte Kim sehen, wie die goldenen Schuppen rot aufglühten. Rangarig brüllte vor Schmerz, breitete die Schwingen aus und versuchte sich in die Höhe zu katapultieren. Aber seine Kräfte reichten nicht. Einen Moment lang schien er vollkommen reglos in der Luft zu hängen, wie ein großer Papierdrache, der an unsichtbaren Fäden hängt, dann kippte er nach hinten und torkelte hilflos dem Boden entgegen. Gorg sog entsetzt die Luft zwischen den Zähnen ein, und auch Kim schrie auf, als er sah, daß der Drache wie ein Stein stürzte. »Nein!« schrie er. »Rangarig - nein!«