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»Es tut mir leid«, flüsterte Kim.

»Was?« fragte Priwinn. Seine Stimme klang so flach und ausdruckslos, als rede er im Schlaf.

»Es war alles umsonst«, sagte Kim. »Themistokles hatte recht. Wir hätten niemals hierher kommen sollen.«

»Aber hier sind wir nun einmal«, antwortete Priwinn. »Und es war richtig. Wir mußten es wenigstens versuchen.« Er lächelte traurig. »Ich habe mein Volk schon einmal fast in den Untergang geführt, weil ich nicht auf dich gehört habe, Kim.«

»Aber dieses Mal«, sagte Kim bekümmert, »habe ich mich getäuscht.« Trotzdem - schon während er diese Worte sprach, spürte er, daß es nicht so war. Der Weg, den Priwinn und Gorg eingeschlagen hatten, war falsch. Sie hatten Märchenmond einmal gerettet, indem sie zum Schwert griffen und sich einem Feind stellten, der mit dem Schwert in der Hand gekommen war. Aber dieses Mal gab es keinen solchen Feind. Womöglich gab es überhaupt keinen Feind. Vielleicht war das, was sie aufzuhalten versuchten, nichts anderes als der Wechsel der Zeit. Wo stand geschrieben, daß die Zukunft denen, die in der Vergangenheit lebten, gefallen mußte? »Wenn ihr beiden damit fertig seid, euch gegenseitig leid zu tun«, rief Bröckchen vom Tisch aus, »dann wäre ich für eine Idee dankbar, wie es weitergeht. Es ist verdammt kalt hier.«

»Und die Gesellschaft gefällt mir nicht«, fügte Sheera mit einem schrägen Blick auf die Zwerge hinzu.

Kim mußte zugeben, daß die beiden recht hatten. Die Lage war - vorsichtig formuliert - alles andere als günstig. Sie hatten nichts mehr zu Essen, waren zu Tode erschöpft - und da gab es immer noch Rangarig, der vielleicht genau in diesem Moment draußen am Himmel kreiste und nach ihnen suchte. »Die beiden haben recht«, bestätigte Priwinn und rieb sich fröstelnd die Hände. »Wir können nicht hierbleiben. Es ist schrecklich kalt. Heute nacht würden wir erfrieren.«

»Noch einmal zurück?« fragte Kim. »Das schaffen wir nie!«

»Hast du eine bessere Idee?« entgegnete Priwinn achselzuckend.

Kim starrte ihn ratlos an. Keiner von ihnen hatte bisher auch nur einen Gedanken daran verschwendet, wie sie den Rückweg bewältigen wollten - und warum auch? Zum einen waren sie davon ausgegangen, die Strecke auf Rangarigs Rücken in kurzer Zeit zurücklegen zu können, und zum anderen hatten sie alle nicht weitergedacht als bis zu den Eisriesen, bis zum Regenbogenkönig, der ihnen helfen würde. Nun würden sie nie zu ihm gelangen.

»Ihr seid richtige Schlauköpfe, wie?« spottete Jarrn.

Kims Antwort bestand in einem warnenden Blick, und Sheera machte wie zufällig eine Bewegung, die seine messerscharfen Krallen nur knapp am Gesicht des Zwerges vorbei durch die Luft fahren ließ. Jarrn prallte einen Schritt zurück, fuhr aber in unverändertem, höhnischem Tonfall fort: »Ich wette, keiner von euch Meisterstrategen hat auch nur die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß ihr ja auch irgendwie zurückkommen müßt, wie?«

»Wir werden es schon schaffen«, antwortete Kim grob. Jarrn wackelte heftig mit dem Kopf. »Da bin ich sicher!« erwiderte er höhnisch. »Ihr werdet wohl irgendwo dort draußen im Matsch ersaufen oder vom Drachen getötet werden. Und wir mit euch. Selbst, wenn ihr es bis zum Fluß schaffen solltet - was ziemlich unwahrscheinlich ist -, schnappen euch die Flußleute.«

»Das werden wir sehen.«

Kim trat überrascht einen Schritt zur Seite, als der Riese geduckt durch die Tür trat und sich neben ihm zu seiner vollen Größe aufrichtete. Gorg hatte sich wieder völlig in der Gewalt. Seine Stimme klang dunkel und ruhig wie immer, und auf seinen Zügen lag sogar die Andeutung eines Lächelns. Zumindest äußerlich war er wieder der gutmütige, humorvolle Riese, als den jedermann ihn kannte. Nur, wenn man ganz genau hinsah, dann erblickte man in seinen Augen einen tiefen, unterdrückten Schmerz.

»Da habe ich wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden«, dröhnte er. »Ich fürchte mich bestimmt nicht vor ein paar dahergelaufenen Schurken.«

Jarrn musterte den Riesen mit einem verächtlichen Blick. »Jetzt überschätzt du dich«, sagte er. »Größe und Kraft allein sind nicht alles. Sie werden uns alle schnappen und in Ketten legen.«

Gorg zuckte gleichmütig mit den Achseln. »Wenn es so kommen soll, dann kommt es so«, sagte er. »Es sei denn, du hättest einen anderen, besseren Rat, wie wir hier herauskommen, Zwerg.«

Jarrn zögerte einen ganz kleinen Moment. Dann sagte er: »Vielleicht habe ich den.«

Kim und der Steppenprinz tauschten einen überraschten Blick. »Was meinst du damit?« fragte Kim.

Jarrn trat einen weiteren Schritt zurück und deutete nacheinander auf seine fünf Begleiter. »Wir haben beraten«, sagte er. »Glaubt es oder nicht - auch wir waren erstaunt über das, was hier geschehen ist. Und so ganz nebenbei möchten wir genauso gern am Leben bleiben wie ihr.«

»Hör auf, Unsinn zu reden, und sag, was du sagen willst«, unterbrach ihn Priwinn grob.

Der Zwerg schenkte ihm einen giftigen Blick und nuschelte etwas vor sich hin, das sich in Kims Ohren wie ›blöder Grasfresser‹ anhörte. Laut aber sagte er: »Es gibt einen Weg hier heraus.«

»Wie?« riefen Kim und Priwinn wie aus einem Mund. Der Zwerg grinste gehässig und schüttelte ganz langsam den Kopf. »O nein«, sagte er. »So einfach ist das nicht, ihr Schlauköpfe. Erst will ich euer Wort, daß ihr uns freigebt.« Priwinn versuchte abfällig zu lachen, aber es gelang ihm nicht ganz.

»Es gibt einen Weg zurück«, wiederholte Jarrn, ohne darauf zu achten. »Wir kennen ihn. Aber wir brauchen euch dabei.«

»Was ist das für ein Weg?« Gorg betrachtete den Zwerg mißtrauisch.

Jarrn zögerte. Ganz offensichtlich scheute er davor zurück, zuviel zu verraten Aber er schien doch zu begreifen, daß sie nur gemeinsam eine Chance hatten, hier herauszukommen. »Ihr wißt, daß wir in Höhlen leben«, erklärte er schließlich. »Und wir kennen viele unterirdische Wege durch die Berge. Einer davon ist nicht sehr weit von hier. Ich kann euch zeigen, wo der Eingang ist. Und es gibt einen Tunnel, der geradewegs zum großen Baum führt.«

»Das sind fast zwei Wochen zu Fuß«, meinte Priwinn zweifelnd.

»Nicht durch eine Zwergenhöhle«, antwortete Jarrn, als wäre dies Erklärung genug. »Also - wie ist es? Gebt ihr uns frei?«

»Sobald wir den Baum erreicht haben«, sagte Priwinn, aber Jarrn schüttelte stur den Kopf.

»Nein«, beharrte er. »Jetzt. Auf der Stelle.«

»Damit wir euch zu dieser Höhle bringen und ihr uns in irgendeinem Labyrinth zurücklaßt, in dem wir uns verirren und vor Hunger oder Durst umkommen?« Priwinn schüttelte ebenso heftig den Kopf wie der Zwerg zuvor. »Für wie dumm hältst du mich, kleiner Mann?«

»Darauf willst du doch wohl keine Antwort, oder?« grinste Jarrn, wurde aber gleich wieder ernst, ehe Priwinn lospoltern konnte. »Ich sagte es bereits: Wir schaffen es nicht allein«, antwortete Jarrn verärgert. »Es ist gefährlich dort unten. Wir haben diese Tunnel gegraben, aber sie gehören nicht mehr länger uns. Die Flußleute herrschen jetzt dort. Gemeinsam können wir es vielleicht schaffen. Also?« Priwinn sah nicht sehr überzeugt aus, während Gorgs Gesicht überhaupt keinen Ausdruck erkennen ließ. Schließlich war es Kim, der nickte und sagte: »Also gut. Ihr seid frei - unter einer Bedingung.«

Jarrn legte den Kopf schräg und blinzelte mißtrauisch zu ihm empor.

»Was ist das Ehrenwort eines Zwerges wert?« fuhr Kim nach einer kurzen Pause fort.

Jarrn blies die Backen auf und machte ein unanständiges Geräusch. »Soviel oder sowenig wie deines, Junge.«

»Dann verlange ich dein Ehrenwort«, sagte Kim ernst, »daß ihr uns sicher bis zum Baum geleitet. Wir möchten nicht gerne den Weg für euch durch das Gebiet der Flußleute freikämpfen, damit ihr uns dann zum Dank dafür irgendwo auf halber Strecke vergeßt.«