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Und er sollte recht behalten.

XVI

Es mußte lange nach Sonnenuntergang sein, und Kim hatte das Gefühl, jeden Moment zusammenbrechen zu müssen. Sein Rücken schmerzte unerträglich, und von dem anstrengenden unwirklichgrauen Licht hier unten taten seine Augen, ja sein ganzer Körper erbärmlich weh. So merkte er nicht einmal, daß Jarm, der noch immer die Führung innehatte, plötzlich stehenblieb und die Hand hob. Erst als Kim gegen den Zwerg prallte und ihn fast mit sich zu Boden riß, schreckte er hoch und unterdrückte im letzten Moment einen überraschten Ausruf, als der Zwerg den Zeigefinger über die Lippen legte und mit der anderen Hand wild herumgestikulierte.

»Was ist los?« flüsterte Priwinn hinter Kim.

Jarrns Gesten wurde hektischer. Ohne ein Wort zu sagen, deutete er auf die Gangbiegung, vor der er stehengeblieben war, und gab ihnen wortlos zu verstehen, sehr leise dorthin zu gehen.

Sie gehorchten. Und als sie vorsichtig die Köpfe um die Gangbiegung schoben, da begriffen sie auch, warum der Zwerg so erschrocken war.

Der Tunnel endete auf einer schmalen, steinernen Galerie, die sich hoch oben an der Wand einer gewaltigen Felsenhöhle entlangzog, um auf der anderen Seite in einem weiteren, runden Loch zu münden, das tiefer in die Erde hineinführte. Diese Galerie maß sicherlich an die fünfhundert Meter - und das war nur die Schmalseite des ungeheuerlichen Felsendomes, den sie erblickten. Darin herrschte das gleiche unheimliche, graue Licht, das auch die Tunnelwelt erfüllte, aber an seinem Boden brannten zudem zahllose gelbe und rote Feuer, und in einiger Entfernung spiegelte sich ihr flackernder Schein auf der Oberfläche eines unterirdischen Sees, nicht viel kleiner als der See des Tatzelwurms. Eine Anzahl kleiner Flöße bewegte sich auf dem stillen Wasser, und weit entfernt, nur noch als verschwommene Schatten zu erkennen, glaubte Kim die Umrisse eines jener schwarzen Buckelschiffe zu sehen, wie sie es auf dem Verschwundenen Fluß erblickt hatten.

Doch nicht nur auf dem See war Bewegung. Überall zwischen den Feuerstellen unter ihnen war Leben. Männer standen oder saßen in kleinen Gruppen herum, gingen Tätigkeiten nach, die Kim aus der großen Entfernung nicht erkennen konnte, trugen Lasten oder lagen einfach auf dem nackten Boden und schliefen. An einigen der größeren Feuer wurde emsig gearbeitet: Funken stoben auf, und das gedämpfte Klingen und Schlagen schwerer Hämmer drang zu ihnen herauf.

»Was ist das?« flüsterte Kim erschreckt, nachdem er sich mit Priwinn wieder in die Sicherheit des Stollens zurückgezogen hatte.

»Flußleute!« gab Jarrn leise zurück. »Ich wußte, daß es irgendwo eine Stadt unter der Erde gibt. Aber wir wußten bisher nicht, wo.«

»Eine Stadt?« wiederholte Kim zweifelnd. Danach hatte der düstere Felsendom nun gar nicht ausgesehen.

»Sie leben sicher in Höhlen«, vermutete Jarrn, »irgendwo in der Nähe.«

»Und wie kommen wir nun weiter, ohne gesehen zu werden?« fragte Priwinn düster. Jarrn zuckte nur mit den Schultern. Sein Blick glitt über die Gestalt des Steppenprinzen, dann über die Kims und schließlich sehr nachdenklich über die breiten Schultern des Riesen. »Meine Leute und ich könnten uns wohl vorbeischleichen ohne aufzufallen«, sagte er. »Aber ihr, und erst recht dieser große Tölpel da ...« Er schüttelte heftig den Kopf. »Nein. Wir müssen einen anderen Weg finden.«

Er überlegte einen Moment, dann wandte er sich um und deutete den Stollen hinab, den sie gekommen waren. »Es gibt ein paar Abzweigungen dort hinten. Vielleicht finden wir einen anderen Gang.«

Sie gingen bis zu der Abzweigung zurück, die Jarrn entdeckt hatte, und drangen in den Seitengang ein. Der Weg führte ein gutes Stück weit geradeaus und verwandelte sich dann in eine gefährlich abschüssige Rampe, über die sie mehr hinunterkollerten, als daß sie gingen. Schließlich gelangten sie in eine weitere Höhle; winzig gegen die, die sie vorhin gesehen hatten, aber immer noch groß genug, ein kleines Dorf aufzunehmen.

Und genau das befand sich auch darin.

Kim und die anderen blickten verblüfft auf die Ansammlung niedriger Hütten herab, die aus grobem Felsgestein erbaut waren. Die meisten hatten kein Dach, sondern bestanden nur aus einem oben offenen Geviert ohne Fenster, aber hier und da gab es auch große, zwei- und sogar dreistöckige Gebäude. Aus einigen drang der rote Schein von Feuer, und dazwischen sahen sie Flußleute, allerdings sehr viel weniger als in der großen Höhle, die sie vorhin gesehen hatten. Der Weg führte hier auch nicht völlig deckungslos an der Wand entlang. Jarrn deutete nach kurzem Suchen auf einen halbrunden Tunnel an der gegenüberliegenden Wand der Höhle. Mit etwas Glück konnten sie es schaffen, denn der Boden war mit einem Gewirr aus riesigen Felstrümmern und scharfkantigen Graten übersät, so daß selbst Gorg sich mühelos verstecken konnte.

Kim hätte sich gern dem Höhlendorf genähert, um es ein wenig genauer zu besehen, aber natürlich war die Gefahr, dabei entdeckt zu werden, viel zu groß. Trotzdem war Kim der letzte, der losging, als sie gebückt und in großem Abstand in das Felslabyrinth huschten. Und er blieb es auch, denn immer wieder hielt er an, und blickte über den Rand der Felsen zu den Häusern hinüber. Dann und wann trat eine Gestalt aus einer der Türen, und Kim betrachtete sie sehr aufmerksam. Was er über die große Entfernung hinweg erkennen konnte, war eigentlich nichts Besonderes: Männer und Frauen, in einfache, grobe Kleidung aus Leder oder Fell gehüllt, denn es war kalt hier unten. Kim sah sogar ein paar Kinder, die lärmend im Zentrum des dreifachen Kreises aus Häusern spielten. Hätte dieses Dorf auf der Oberfläche der Erde statt unter ihr gelegen, wäre überhaupt nichts Auffälliges daran gewesen. Was mochte es mit den Flußleuten nur auf sich haben, daß die Zwerge sie so sehr fürchteten?

Die anderen warteten bereits ungeduldig auf ihn, als Kim endlich den Eingang des Stollens erreichte. Vor allem Jarrn trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, aber auch Priwinn gestikulierte unwillig und gab ihm mit stummen Grimassen zu verstehen, daß er sich beeilen sollte. Kim schritt tatsächlich schneller aus, drehte aber im Gehen noch einmal den Kopf, sah zum Dorf zurück - und erstarrte mitten in der Bewegung.

Der Stollen, in dem Priwinn und die Zwerge auf ihn warteten, war nicht der einzige. Es gab eine ganze Anzahl unterschiedlich großer Ein- und Ausgänge in den Wänden der Höhle. Und aus einem dieser finsteren Löcher waren in diesem Moment zwei Flußleute getreten, die eine dritte, kleinere, heftig zappelnde und schreiende Gestalt zwischen sich herschleiften!

Kim blieb eine Sekunde lang reglos stehen, dann fuhr er auf der Stelle herum, rannte ein paar Schritte weit in die Höhle zurück und duckte sich hinter einen Fels. Er hörte, wie Priwinn hinter ihm erschrocken die Luft einsog, drehte sich aber nicht einmal zu dem Steppenreiter um, sondern spähte gebannt über den Rand seiner Deckung hinweg zu den Flußleuten hinüber.

Die kleine Gruppe war zu weit entfernt, als daß er Einzelheiten erkennen konnte. Aber er sah zumindest, daß es sich bei dem Gefangenen um einen sehr schlanken, kleinwüchsigen Mann handeln mußte - oder um ein Kind! Er zögerte nicht mehr länger. Hastig drehte er sich zu Priwinn herum, deutete tiefer in den Gang hinein, in dem er und die anderen hockten, und flüsterte: »Wartet hier auf mich!« Dann richtete er sich vorsichtig hinter seiner Deckung auf und huschte, geduckt von Fels zu Fels springend, weiter auf das Dorf, die beiden Flußleute und ihren Gefangenen zu.

Es war leichter, sich ihnen zu nähern, als Kim zu hoffen gewagt hatte. Das Dorf war auf einem kreisrunden, einge-ebneten Fleck genau in der Mitte der Höhle erbaut, aber niemand hatte sich die Mühe gemacht, das darunterliegende Gelände von Felsen und Geröll zu befreien, so daß es ausreichende Verstecke gab, bis er das erste Haus erreichte. Keuchend richtete sich Kim auf, sah sichernd nach rechts und links und schlich dann, den Rücken eng gegen die Wand gepreßt, an der Rückseite des Gebäudes weiter. Als er die Ecke erreichte, war er bereits den beiden Flußmännern bis auf wenige Schritte nahe gekommen. Sie hatten Kims Platz bereits passiert, so daß sie und die sich heftig windende Gestalt zwischen ihnen nur noch von hinten zu sehen waren. Und doch hatte Kim sich nicht getäuscht - es war ein Halbwüchsiger, den sie grob zwischen sich herzerrten. Kims Herz machten einen erschrockenen Sprung, als er sah, daß die zappelnde Gestalt dunkelblaues Blattwerk statt Haar auf dem Kopf trug. Der Knabe gehörte zu den Baumleuten - und der Gedanke, daß dieses friedfertige Volk etwas mit diesen berüchtigten Flußleuten zu schaffen haben sollte, war so absurd, daß Kim ihn nicht einmal erwog. Der Junge wehrte sich immer heftiger. Plötzlich gelang es ihm, eine Hand loszureißen, aber der zweite Flußmann hielt seine andere Hand mit eiserner Kraft fest. Blitzschnell griff der andere wieder zu, packte den Arm des Jungen und versetzte ihm eine so wuchtige Ohrfeige, daß dieser halb bewußtlos in seinem Griff zusammensackte. »Hör endlich auf zu zappeln!« sagte der Mann wütend. »Das nützt dir nichts.«