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»Warum wehrst du dich?« meinte der andere. »Du wirst es gut haben, dort, wo du hinkommst. Wahrscheinlich besser als bei deinen eigenen Leuten.«

Der Junge mit dem blauen Blätterhaar reagierte nicht auf diese Worte, sondern wand sich nur noch stärker im Griff der beiden und begann nun auch mit den Beinen zu treten. Der Mann knurrte wütend und versetzte ihm einen weiteren, noch härteren Schlag, der dem Gefangenen nun endgültig das Bewußtsein raubte.

»Sei vorsichtig!« warnte sein Kamerad. »Er nützt uns nichts mehr, wenn er tot ist. Niemand gibt etwas für tote Kinder.«

Kim sah ihnen nach, bis sie in einem großen Gebäude verschwunden waren, dann zog er sich mit klopfendem Herzen wieder hinter die Hausecke zurück. Alles in Kim schrie danach, ihnen nachzustürzen und den Knaben zu befreien. Aber ein solcher Versuch hätte an Selbstmord gegrenzt. Die beiden waren viel zu stark für ihn, und er half dem Jungen nicht, wenn er sich selbst gefangennehmen ließ.

Plötzlich zitterten seine Hände vor Aufregung. Er hatte die Worte der Flußleute sehr deutlich gehört - und es gehörte wahrlich nicht viel Phantasie dazu, zu verstehen, was sie bedeuteten.

Hastig fuhr er herum - und blickte in das Gesicht des Steppenprinzen, das sich vor Zorn verdunkelt hatte.

»Bist du völlig von Sinnen?« flüsterte Priwinn wütend. »Willst du uns alle ans Messer liefern?«

Kim deutete heftig gestikulierend hinter sich. »Die Kinder!« sprudelte er hervor. »Sie sind hier, Priwinn! Die Flußleute haben sie -«

Priwinn sprang erschrocken vor und preßte ihm die Hand auf den Mund, denn Kim hatte vor lauter Aufregung so laut gesprochen, daß seine Worte weitum zu hören sein mußten. »Ruhig!« zischte er. »Wenn sie uns hören, ist alles vorbei!« Er sah den Freund einen Moment lang aufmerksam an, dann nahm er langsam die Hand von Kims Mund, hielt den Arm aber erhoben, um notfalls blitzschnell wieder zugreifen zu können.

Aber Kim hatte sich wieder halbwegs in der Gewalt. Noch immer hastig und die einzelnen Worte so schnell hervorsprudelnd, daß Priwinn Mühe hatte, sie zu verstehen, aber sehr leise, erzählte er ihm, was er eben beobachtet hatte. Priwinn hörte aufmerksam zu, und sein Gesicht verdunkelte sich bei jedem Wort, das Kim sprach. »Die Flußleute?« fragte er zweifelnd. »Das ist unmöglich. Sie können nicht alle diese Kinder -«

»Aber ich habe es doch gehört!« unterbrach ihn Kim. »Er hat deutlich gesagt: Er nützt uns nichts mehr, wenn er tot ist.«

Priwinn schwieg einige Sekunden. Ein sehr nachdenklicher, aber auch entschlossener Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit, und schließlich nickte er. »Gut. Versuchen wir herauszubekommen, was hier vorgeht.« Er sah sich wie suchend um und machte schließlich eine Kopfbewegung zurück zur Felswand. »Warte hier auf mich. Ich hole Gorg und die anderen.«

Ehe Kim ihn zurückhalten konnte, war er herumgefahren und zwischen den Felsen verschwunden.

Es verging überraschend wenig Zeit, bis er mit den anderen zurückkam. Und Kim war doppelt überrascht, als er nicht nur den Riesen, Sheera und Bröckchen in seiner Begleitung entdeckte, sondern auch die Zwerge. Jarrn polterte auch prompt los: »Bist du völlig übergeschnappt? Willst du, daß sie uns -«

Sheera fuhr herum und funkelte den Zwerg aus seinen gelben Katzenaugen an. Und Jarrn brach mitten im Wort ab. Kim hatte plötzlich eine ungefähre Ahnung davon, wie es Priwinn gelungen war, die Zwerge zum Mitkommen zu bewegen.

»Wo sind sie hin?« fragte Priwinn.

Kim, der die beiden Flußleute und ihren Gefangenen keinen Moment aus den Augen gelassen hatte, deutete auf ein wuchtiges Gebäude an der linken Seite des Platzes. Als eines der wenigen Bauwerke hier unten war es ein richtiges Haus - mit einem Dach, Fenstern und einer Tür. Und das Glück schien wirklich auf ihrer Seite zu sein, denn diese Tür befand sich nicht auf der dem Dorf zugewandten Wand des Hauses, sondern an der Seite, so daß sie mit einigem Geschick hineinkommen konnten, ohne entdeckt zu werden. Vorsichtig näherten sie sich dem Gebäude und hielten hinter den letzten Felsen an. Zwischen ihnen und der Tür lagen allerhöchstens noch fünf oder sechs Schritte, aber Kim begriff, daß seine Einschätzung ihrer Lage etwas zu optimistisch gewesen war - der große freie Platz zwischen den Häusern wimmelte von Männern, Frauen und Kindern. Und wenn sich auch nur einer von ihnen zufällig in ihre Richtung drehte, wahrend sie die freie Strecke überquerten, dann waren sie verloren.

»Das gefällt mir nicht«, knurrte Gorg. »Wer weiß, was da drinnen auf uns wartet.«

»Angst, du Riesenkerl?« stichelte Jarrn gehässig.

Gorg würdigte ihn nicht einmal einer Antwort, aber Priwinn blickte den Zwerg an und lächelte plötzlich. »Gorg hat völlig recht, weißt du?« sagte er in täuschend freundlichem Ton. Jarrn blickte irritiert zu ihm auf, und Priwinn fuhr im gleichen Tonfall fort: »Einer von uns sollte vorgehen und nachsehen, wie es dort drinnen aussieht. Am besten jemand, der klein ist und sich schnell bewegen kann.«

Jarrn wurde blaß. »Du glaubst doch nicht, daß ich -«

»Doch«, unterbrach ihn Priwinn ruhig. »Ganz genau das glaube ich.«

Der Zwerg setzte ein wütendes Gesicht auf, aber ehe er widersprechen konnte, löste sich ein winziger, schlanker Schatten aus dem Felsen und huschte schnurstracks auf die Tür zu. Sheera erreichte das Gebäude, ohne gesehen zu werden, verschwand im Schatten hinter der Tür und tauchte schon nach wenigen Augenblicken wieder auf. »Alles in Ordnung«, sagte der Kater, als er wieder zurück war. »Oben im Haus ist niemand, aber es gibt eine Treppe, die nach unten führt.«

»Ja«, knurrte Jarrn übellaunig. »Wahrscheinlich schnurstracks in den Kerker, ihr Narren.«

»Hoffentlich«, verbesserte ihn Kim. Nacheinander sah er Priwinn und den Riesen an. »Was meint ihr?«

»Wahrscheinlich wäre es klüger, von hier zu verschwinden und mit einer Armee wiederzukommen«, sagte Priwinn seufzend. »Aber bis dahin kann es zu spät sein.« Gorg sagte gar nichts. Er spähte einen Moment lang gebannt zu den Flußleuten hinüber, dann erhob er sich lautlos hinter dem Felsen und überwand die Entfernung zum Haus mit zwei gewaltigen Sätzen. Kim und die anderen hielten den Atem an, aber das Wunder geschah - niemand bemerkte den Riesen.

»Also los«, sagte Priwinn, an die Zwerge gewandt. »Ihr als nächste.«

»Wieso sollen wir unbedingt vor euch gehen?« beschwerte sich Jarrn.

»Damit ihr nicht vergeßt nachzukommen«, antwortete Priwinn spöttisch. »Es könnte ja immerhin sein, nicht wahr?« Jarrn bedachte ihn mit einem Blick, der einen Eisberg zum Schmelzen gebracht hätte, widersprach aber nicht, sondern gab seinen Begleitern einen Wink und folgte dem Riesen. Und obwohl Kim die Zwerge aufmerksam im Auge behielt, sah er sie doch kaum. Die winzigen Gestalten schienen selbst zu grauen Schatten zu werden, während sie den freien Platz vor dem Haus überquerten. Binnen weniger Augenblicke hatten sie die Tür erreicht und waren im Haus verschwunden.