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Er wandte sich mit einem Ruck um und verließ die Zelle. Mit wenigen, knappen Worten versuchten sie, die Kinder zu beruhigen. Und zu Kims Erleichterung schienen die meisten auf Anhieb zu verstehen, worauf es jetzt ankam: sich so unauffällig wie möglich zu verhalten und genau zu tun, was ihre Retter von ihnen verlangten.

Nur wenige Augenblicke später befanden sie sich schon auf der Wendeltreppe und auf dem Weg nach oben. Kurz darauf versammelten sich alle in dem leeren Haus am Rande der Höhlenstadt. Kim ging zur Tür und blickte hinaus. Nichts hatte sich verändert. Der Platz zwischen den Gebäuden war noch immer belebt, nicht sehr, aber entschieden zuviel, als daß sie hoffen konnten, das Haus ungesehen zu verlassen. Sie waren jetzt immerhin zu einer großen Gruppe angewachsen.

»Jemand muß sie ablenken«, sagte Gorg.

»Und wie, Schlaukopf?« erkundigte sich Jarrn. Er warf ihnen böse Blicke zu. »Was für eine wahnsinnige Idee! Wir kommen hier nie wieder heraus!«

»Vielleicht doch«, meinte Gorg. »Ich ...« Er brach ab, biß sich nachdenklich auf die Unterlippe und blickte versonnen auf Jarrn und seine Begleiter herab. Dann streckte er mit einer blitzschnellen Bewegung den Arm aus, packte einen der Zwerge und stopfte ihn kurzerhand unter das Hemd. Der Zwerg begann zu keuchen und zu strampeln, verstummte aber erschrocken, als der Riese drohend die große Faust schüttelte. »Ich tue dir nichts«, herrschte ihn Gorg grob an. »Aber ich brauche dich.«

Er deutete auf den Platz hinaus. »Ich werde hinausgehen und ein bißchen für Unordnung sorgen«, sagte er. »Das dürfte euch allen Gelegenheit geben, zu verschwinden. Aber ich finde den Weg hinaus nicht allein.«

Und ehe ihn noch einer daran hindern konnte, war er herumgefahren, trat aus der Tür und schlich, den Zwerg unter dem Hemd, gebückt bis zum nächsten Haus, dann richtete er sich zu seiner vollen Größe auf. Er brüllte, daß Kim glaubte, den Boden unter den Füßen wackeln zu hören, warf die Arme in die Höhe und stürmte auf den Platz hinaus. Wäre eine Bombe zwischen den Leuten dort eingeschlagen, hätte die Wirkung kaum größer sein können. Sie erstarrten vor Schrecken, als sie den brüllenden Giganten auf sich zurennen sahen - und dann brach in der unterirdischen Stadt eine unbeschreibliche Panik aus. Männer, Frauen und Kinder rannten schreiend und kopflos in verschiedenen Richtungen davon. Einige wenige versuchten, sich dem Riesen in den Weg zu stellen und ihn aufzuhalten, aber Gorg rannte sie einfach über den Haufen. Einem Mann, der plötzlich ein Schwert zog, entrang er die Waffe und warf sie in hohem Bogen davon, dann packte er seinen Besitzer und schleuderte ihn hinterher.

»Schnell jetzt!« rief Priwinn. »Raus hier!«

Hintereinander verließen sie das Haus. Die Zwerge bildeten die Spitze und führten die Kinder durch das Labyrinth von Felsen und Trümmern auf den Stollen zu, der aus der Höhle herausführte. Auch diesmal bildete Kim den Abschluß, und wieder blieb er kurz stehen und blickte zum Dorf zurück.

Im Zentrum des Platzes war ein unbeschreibliches Durcheinander entstanden. Mehr und mehr Flußmänner hatten sich nun dem Riesen entgegengestellt, und Gorg schien nach dem Anprall von so vielen Angreifern zu Boden gegangen zu sein; Kim konnte ihn jedenfalls zwischen den wirbelnden Körpern nicht mehr erkennen. Besorgt fragte er sich, ob der Riese seine Kräfte diesmal nicht vielleicht überschätzt hatte.

Da packte der Prinz ihn an der Schulter und zog Kim grob mit sich. »Komm schon!« rief er. »Gorg wird nichts geschehen! Er kann auf sich aufpassen.«

Kim war da nicht ganz so sicher, aber Priwinn zog ihn einfach mit sich, bis sie den Stollen erreicht hatten, in dem die anderen warteten. Die Kinder hatten sich angstvoll hinter dem Eingang zusammengedrängt, und die Zwerge standen ein Stück abseits und bangten um ihren Kameraden, der bei Gorg war. Nur Jarrn redete mit leiser, unangenehmer Stimme auf das blasse Mädchen ein.

»Laß sie in Ruhe, Zwerg!« sagte Priwinn.

Aber Jarrn ließ nicht locker. »Sie muß mir sagen, wo unsere Brüder sind! Auch sie sind Gefangene der Flußleute!«

»Was würde das nützen?« antwortete Priwinn. »Wir können ihnen nicht beistehen, selbst wenn wir wollten.« In den Augen des Zwerges flammte es zornig auf. Anklagend deutete er auf die befreiten Kinder.

»Es ist unmöglich, Zwerg!« beharrte Priwinn und deutete hinter sich. »Gorg wird sie nicht allzulange ablenken können. Und wenn sie merken, daß ihre Gefangenen nicht mehr da sind, dann werden sie überall nach uns suchen.« Da trat Kim mit einem raschen Schritt dazwischen und sagte: »Jarrn hat recht.«

Der Steppenprinz blickte ihn ungläubig an. »Wie? Du willst ihm helfen? Hast du denn vergessen, daß es noch keine zwei Tage her ist, als er uns allensamt an den Kragen wollte?«

»Nein«, entgegnete Kim. »Aber Jarrn hat trotzdem recht. Er hat uns den Rückweg gezeigt. Deshalb müssen wir ihm helfen.«

Priwinn schüttelte verständnislos den Kopf.

»Ich gehe mit ihnen«, beharrte Kim. »Allein - du brauchst nicht mitzukommen. Führe du die anderen hinaus und warte dann auf mich.«

Er wandte sich an Jarrn und sah in durchdringend an. »Nur du und ich«, sagte er. »Die anderen können gehen. Einverstanden?«

Jarrn musterte ihn eine Weile nachdenklich, dann nickte er. »Einverstanden«, sagte er. »Meine Brüder werden die anderen sicher nach oben begleiten.«

Zumindest in einem Punkt hatte sich Kim getäuscht: Es gelang Gorg, die Flußleute länger abzulenken als erwartet. Nachdem Priwinn mit den Kindern und den übrigen fünf Zwergen in dem Stollen verschwunden war, schlichen Jarrn und Kim den Weg zurück, den sie gekommen waren. Bald erreichten sie wieder die steinerne Galerie hoch über der Höhle. Aber das Bild hatte sich nunmehr verändert: Von der gemächlichen Ruhe, die am Ufer des unterirdischen Sees geherrscht hatte, war nichts mehr geblieben. Dutzende von Männern hasteten wild hin und her, und viele liefen auf die Stollen zu, die überall in die Höhlenwand mündeten. Kim hörte aufgeregte Schreie und Rufe, und vom jenseitigen Rand der Höhle näherte sich eine ganze Abteilung bewaffneter Flußleute im Laufschritt.

»Das sind verdammt viele«, flüsterte er. »Hoffentlich hat Gorg Glück.«

Jarrn knurrte nur etwas vor sich hin. Behutsam ließ er sich auf Hände und Knie herabsinken, kroch ein Stück weit auf die steinerne Galerie hinaus und spähte nach unten. Kim zögerte kurz, dann folgte er ihm auf die gleiche Weise. Bei der Aufregung, die im Augenblick unter ihnen in der großen Höhle herrschte, bestand kaum die Gefahr, daß sie entdeckt wurden.

»Dort hinten!« Jarrns dürrer Zeigefinger deutete auf ein torgroßes Loch in der Höhlenwand, hinter dem düsterroter Feuerschein flackerte. »Die Kleine hat gesagt, meine Brüder sind dort.«

Kims Blick glitt nachdenklich durch den Felsendom. Er korrigierte seine Schätzung, was die Anzahl der Flußleute anging, noch einmal nach oben. Unter ihnen mußten sich Weit über hundert Männer aufhalten. »Wie kommen wir dorthin?« flüsterte er.

Jarrn deutete auf eine Stelle an der Wand, gute hundert Meter von ihnen entfernt. »Es sieht aus, als könnte man hinunterklettern«, sagte er. »Aber das schaffe ich nicht. Du mußt mich tragen.«

Kim seufzte. Das hatte er befürchtet. Aber er sah ein, daß der andere recht hatte. Die Zwerge waren zwar Höhlenbewohner, und ihre Erfahrung war bisher allen zugute gekommen, aber die Wände hier waren einfach zu hoch für sie. Ein Wunder, daß sie sich nicht schon längst die Hälse oder zumindest einige Knochen gebrochen hatten.

Auf Händen und Knien kriechend, legten sie den Weg bis zu der Stelle zurück, die Jarrn entdeckt hatte. Tatsächlich war die Felswand hier nicht ganz so steil, zahllose Sprünge und Risse durchzogen sie, so daß es wahrscheinlich nicht besonders schwierig sein würde, hinunterzuklettern. Fürs erste, dachte Kim besorgt. Denn es gab an die hundert Gründe, die dagegen sprachen; hochgewachsene, breitschultrige Gründe mit Schwertern in Händen und grimmigen Ausdrücken auf den Gesichtern.