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Kim staunte nicht schlecht, als er sah, mit welcher Geschwindigkeit sie sich in den Fels hineingruben. Obwohl keine der ausgemergelten Gestalten so aussah, als könne sie noch ohne Mühe einen Laib Brot heben, geschweige denn eines der schweren Werkzeuge schwingen, zerbröckelte der Granit unter ihren Hieben wie mürbes Holz. Binnen weniger Augenblicke entstand ein knapp meterhoher, kreisrunder Tunnel, in den die Zwerge mit Windeseile hineinhackten.

Jarrn amüsierte sich königlich, als er Kims fassungslosen Gesichtsausdruck sah. Aber er enthielt sich jeden Kommentars und brüllte statt dessen abwechselnd die Zwerge in der Schmiede und die im Tunnel an, um sie mit schriller Stimme anzutreiben.

Kim beobachtete fassungslos, wie der Tunnel in immer größerer Geschwindigkeit in den Berg hineinwuchs. Schon waren die Zwerge, die ihn vorantrieben, nicht mehr zu sehen, und ihr Hämmern und Schlagen klang immer gedämpfter, bis es schließlich zu einem kaum noch wahrnehmbaren Klopfen wurde. Da erscholl in der Schmiede ein erschrockener Aufschrei, und kaum eine Sekunde später stürzte ein Zwerg in die Kammer und stieß atemlos hervor: »Sie kommen! Die Flußleute haben etwas gemerkt!« Auch die anderen Zwerge stürmten nacheinander herein, mit Hämmern, Hacken und sogar Waffen ausgerüstet, die sie eben erst selbst geschmiedet hatten. Und ob Kim wollte oder nicht - er wurde einfach von der Flut kleiner, zerlumpter Gestalten mit in den Tunnel hineingerissen. Der Gang war so niedrig, daß er nicht einmal gebückt laufen, sondern nur auf Händen und Knien kriechen konnte. Und die Zwerge, die hinter ihm hereindrängten, schubsten und stießen ihn so sehr, so daß er mehr als einmal das Gleichgewicht verlor und der Länge nach hinstürzte, während die Nachkommenden einfach über ihn hinwegrannten. Schon hörte er ein wütendes Gebrüll am Ende des Stollens hinter sich. Und als Kim den Blick wandte, sah er einen breiten, schwarzen Schatten, der vergeblich versuchte, sich in den winzigen Gang hineinzuquetschen.

Da stießen seine tastenden Hände auf Widerstand. Vor Kim stand eine massive Felswand. Kims Herz begann mit einem erschrockenen Schlag noch schneller zu hämmern, ehe er begriff, daß er nicht das Ende des Tunnels, sondern nur eine rechtwinklige Abzweigung erreicht hatte, die die Zwerge, aus welchem Grund auch immer, geschaffen hatten. Keuchend quetschte er sich durch den schmalen Spalt, richtete sich wieder auf, soweit er konnte, und kroch ein Stück weiter.

Nicht einmal eine Sekunde später prallte etwas mit einem metallischen Klappern hinter ihm gegen den Fels und zerbrach. Und als Kim den Kopf wandte, erblickte er in dem bißchen Licht, das noch vom Tunnelende hereinfiel, die abgebrochene Spitze eines Pfeiles. Ein zorniger Ruf erscholl, dann erkannte Kim einen breitschultrigen Schatten, der sich hastig in den engen Tunnel hineinzuquetschen versuchte - allerdings mit dem Ergebnis, daß er nach einem knappen Meter hoffnungslos steckenblieb und jetzt weder vor noch zurück konnte. Jetzt war Kim sehr froh, daß die Tunnel der Zwerge so niedrig waren...

XVII

Zwei Tage später sahen sie das erste Mal das Licht der Sonne wieder. Kim war nicht der einzige, der das Gefühl hatte, aus einem langen, bösen Traum zu erwachen, als das unheimliche, graue Licht der Felsenwelt dem bleichen Schimmer des Mondes wich, der durch den Eingang der Höhle hereinfiel. Ein Hauch eisiger Luft schlug ihm entgegen und ließ ihn frösteln, und alle beschleunigten sie ihre Schritte. Nicht einmal mehr die steile Geröll- und Schutthalde, die sich vor dem Höhleneingang aufgetürmt hatte, vermochte sie zu bremsen. So kollerten und schlitterten einer hinter dem anderen den Hang hinunter, und fast keiner kam ohne Prellungen und Hautabschürfungen davon.

Aber das schien niemand zu stören. Ein allgemeines Aufatmen ging durch die Gruppe, als sie zum erstenmal endlich wieder einen richtigen Himmel über sich sahen und keinen, der aus Stein oder erstarrter Lava bestand. Jarrn, Kim und die befreiten Zwerge waren stundenlang durch das Labyrinth aus Felsen und Höhlen geirrt, ehe sie auf Priwinn und die anderen trafen. Weitere Stunden hatten sie voller Angst darauf gewartet, daß die Flußleute ihre Spur aufnahmen und sie verfolgten, aber sie hatten keinen davon mehr zu Gesicht bekommen. Die Zwerge hatten sich als ausgezeichnete Führer erwiesen. Obwohl die Flußleute eindeutig die Macht über diese unterirdische Welt innehatten, kannten sich die Zwerge doch ungleich besser aus. Sie waren keinem Mitglied dieser unangenehmen Piratengesellschaft mehr begegnet.

Aber der Weg war auch so schwer genug. Die ewige Dämmerung zerrte an ihren Nerven, sie hatten nichts zu essen und fanden nur selten Wasser, so daß sie jetzt alle am Ende ihrer Kräfte angelangt waren. Selbst Gorgs Bewegungen hatten viel von ihrem Schwung verloren, und der Riese war immer schweigsamer geworden.

Kim ließ sich erschöpft auf einen Stein sinken, als er als letzter den Fuß der Geröllhalde erreichte. Plötzlich hatte er Mühe, die Augen noch offenzuhalten. Seine Lider wurden schwer. Arme und Beine schienen plötzlich mit Blei gefüllt zu sein und ihn zu Boden ziehen zu wollen. Müde sah er sich um, erkannte aber nichts außer verworrenen Schatten und dem silbernen Schimmer des Mondlichts, der sich auf feuchtem Gras brach.

Die Zwerge hatten versprochen, sie in die Nähe des Baumes zu bringen, aber davon war im Augenblick weit und breit nichts zu sehen.

Doch Kim war viel zu schläfrig, diesen Gedanken weiterzuverfolgen. Alles, was im Moment zählte, war, daß sie endlich aus jenem finsteren Labyrinth unter der Erde entkommen waren.

Allen anderen schien es ebenso zu ergehen. Obwohl gerade die kleineren Kinder im Laufe des letzten Tages vor Hunger und Erschöpfung manchmal zu weinen begonnen hatten, hörte er jetzt keinen Laut der Klage. Bedachte man, daß sich auf dem kleinen Stück Erde vor der Schutthalde alles in allem - die Kinder, die Zwerge sowie Kim und seine Gefährten mitgerechnet - weit über sechzig Personen aufhielten, dann war es sogar unheimlich still.

Irgend jemand entzündete ein Feuer, und das Knistern der Flammen und die Wärme vertrieben die unheimliche Atmosphäre ein wenig. Aber nicht ganz. Kim schrieb diesen Eindruck seiner eigenen Erschöpfung und Mutlosigkeit zu, aber ihm war doch, als wäre etwas von der schaurigen Düsternis der Höhlen mit ihnen herausgekommen.

Plötzlich entstand auf der anderen Seite des Feuers nahe des Waldrandes eine Aufregung. Kim sah mit schweren Augen auf und erblickte Gorg, der wohl unbemerkt gleich nach ihrer Ankunft weitergegangen sein mußte, denn jetzt trat er aus dem Wald heraus und trug einen erlegten Hirsch über der Schulter. Kim war viel zu müde dazu, aber Priwinn und einige der größeren Jungen und Mädchen liefen rasch zu dem Riesen hinüber und begannen, den Hirsch auszuweiden und zu zerlegen. Bald drehten sich zwei gewaltige Spieße voller saftigem Fleisch über den Flammen, und der verlockende Geruch von Gebratenem ließ alle Mägen noch lauter knurren.

Das Essen und das Gefühl der Erleichterung, das ihnen der freie Himmel und die weite Landschaft rings um sie herum vermittelten, vertrieb auch Kims Niedergeschlagenheit ein wenig. Während er dasaß und fast seine ganze Willenskraft darauf verwenden mußte, das Stück Fleisch, das ihm zugeteilt worden war, mit kleinen Bissen zu nehmen und jeden einzelnen sorgfältig durchzukauen statt alles auf einmal herunterzuschlingen, glitt sein Blick über die vielen Kindergestalten, die im Kreis um das Feuer herumsaßen. Noch immer war kein Wort zu hören, nur das hungrige Reißen und Schmatzen und Kauen rundum.