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»Ich bin froh, daß ihr noch am Leben und unverletzt seid«, sagte er, nachdem Priwinn ihm von ihren Abenteuern in der Eisigen Einöde und anschließend dem Labyrinth der Flußleute erzählt hatte. »Wir waren alle in großer Sorge, nachdem ihr verschwunden ward.«

»Ihr habt doch Limb und seinen Freunden nichts zuleide getan«, vergewisserte sich Priwinn besorgt.

Oak schüttelte mit einem verzeihenden Lächeln den Kopf. »Wofür haltet ihr uns?« fragte er. »Viele waren zornig über das, was ihr getan habt, zumal die Zwerge kaum zwei Wochen danach auftauchten und Schadenersatz für die zerstörten Eisenmänner verlangten. Aber -«

Priwinn unterbrach ihn überrascht. »Zwei Wochen?« wiederholte er. »Aber das kann nicht sein.«

Oak blickte fragend, und Priwinn fügte verwundert hinzu: »Wir sind doch erst vor wenig mehr als einer Woche aufgebrochen!«

»Ihr wart fast ein halbes Jahr fort«, widersprach Oak in verwundertem Tonfall.

Nun war die Reihe an Priwinn und Kim, den Baummann verstört anzublicken.

»Ein halbes Jahr?« vergewisserte sich Kim. »Seid Ihr sicher?«

Oak nickte und zuckte fast gleichzeitig mit den Schultern. »Vielleicht auch einen Monat mehr oder weniger - uns interessiert die Zeit nicht so sehr wie euch.«

»Die Höhlen!« erinnerte Gorg.

Aller Blicke wandten sich verwundert dem Riesen zu. »Die Zwergenhöhlen«, wiederholte Gorg. »Es muß ein Geheimnis darin geben. Wir haben nur zwei Tage gebraucht, um von Burg Weltende hierher zu kommen. Aber die Strecke ist weit, sehr weit. Ginge man sie zu Fuß, würde man schon ein halbes Jahr unterwegs sein. Wenn nicht länger.« Oak nickte zustimmend. »Das Zwergenvolk verfügt über magische Kräfte«, sagte er.

»Die werden sie noch bitter nötig haben, wenn ich mich mit ihnen befasse«, knurrte Priwinn. Oak blickte ihn tadelnd an, enthielt sich aber jeder Antwort und fuhr nach einer weiteren Pause in seiner Erzählung fort.

»Wir haben Limb und den anderen nichts zuleide getan«, sagte er noch einmal. »Aber wir haben auch nicht auf sie gehört. Hätten wir es nur! Vielleicht war es noch nicht zu spät damals. Aber wir waren verblendet. Es schien alles so leicht: Größere Häuser. Schönere Kleider. Bessere Möbel. Ein leichteres Leben. Sie haben uns gewarnt, daß wir dafür bezahlen müssen, und ich glaube, tief in unseren Herzen haben wir gewußt, daß sie recht haben.« Er sah auf, und für einen Moment breitete sich wieder dieses tiefe, hilflose Entsetzen in seinem Blick aus. »Aber wir wußten nicht, daß es so schnell geschehen würde. Wir dachten, wir hätten noch so viel Zeit. Wir dachten, wir würden schon eine Lösung finden oder rechtzeitig aufhören, ehe der Schaden zu groß war. Wir waren Narren.«

»Es war nicht eure Schuld«, beharrte Priwinn. »Die Zwerge haben eure Sinne verwirrt. Es ist ihre Zauberkraft, deren Verlockung ihr erlegen seid.«

Oak schien widersprechen zu wollen, aber dann sah er wohl ein, daß es sinnlos war, sich mit dem Steppenprinzen darüber zu streiten. Er beließ es bei einem wortlosen Kopfschütteln und starrte in die Flammen des Feuers.

Ein unangenehmes Schweigen breitete sich aus, nur unterbrochen vom Knistern der Flammen und dem Rauschen des Windes, der sich im Blattwerk der abgebrochenen Äste brach.

Schließlich stand Kim auf und entfernte sich von den anderen. Er fühlte sich niedergeschlagen und müde. Alles schien sinnlos. Was immer sie taten, welche Anstrengungen auch immer sie unternahmen - es schien hinterher stets schlimmer zu sein als vorher, als kämpften sie in Wirklichkeit auf der Seite ihrer Feinde.

Aber vielleicht stimmte auch das nicht. Möglicherweise war die Antwort wirklich die, daß es die Feinde, nach denen sie suchten, nicht gab.

Während er so in Gedanken versunken dahinschritt, wurde der Boden unter seinen Füßen sumpfiger, und Kim begriff im letzten Moment, daß er um ein Haar in einen kleinen See gestürzt wäre. Abrupt blieb er stehen, blickte auf das Wasser, das im Mondlicht wie geschmolzenes Pech glänzte, und begegnete dem Spiegelbild seines Gesichts. Gerade noch im letzten Moment fiel ihm ein, was Oak einst über diesen See gesagt hatte, und er wandte sich sofort ab, um fortzugehen. Aber er machte nur einen einzigen Schritt, da tauchte plötzlich aus der Dunkelheit eine Gestalt auf und näherte sich ihm: Priwinn.

Eine Zeitlang standen sie beide schweigend da. Die unbehagliche Stille, die sich am Feuer ausgebreitet hatte, schien Priwinn gefolgt zu sein. Dazu kam, daß Kim im Moment einfach nicht mit ihm reden wollte. Eigentlich wollte er mit niemandem reden. Und doch wollte er nicht allein sein. Ein Gefühl der Hilflosigkeit und Verwirrung hatte von ihm Besitz ergriffen, das fast stärker war als das Entsetzen über das furchtbare Geschehen.

Endlich brach der Steppenprinz das lastende Schweigen. »Hast du dich entschieden?« fragte er.

Kim drehte sich widerwillig zu ihm herum und sah ihn erstaunt an. »Entschieden?«

»Ja«, sagte Priwinn. »Auf welcher Seite du stehst. Willst du weiter tatenlos zusehen, wie unsere Welt stirbt?«

Was wollte der Prinz bloß, dachte Kim. Priwinn mußte doch genau wissen, wie schwer die Entscheidung war, zu der er ihn zwingen wollte. »Ich ... ich kann nicht«, flüsterte Kim. Das Gesicht des Prinzen verdüsterte sich. In seinen Augen blitzte es auf, und in seiner Stimme war plötzlich eine Härte, die Kim erschauern ließ. Er erkannte seinen Freund kaum mehr wieder. »Gut!« sagte er hart. »Dann bleib hier oder geh zurück zu Themistokles. Tu, was du willst. Ich werde jedenfalls handeln, damit dieses Land nicht endgültig zugrunde gerichtet wird.«

»Aber was willst du denn tun?« fragte Kim leise und glaubte doch, die Antwort ganz genau zu kennen.

»Was wir schon begonnen haben!« antwortete Priwinn heftig. »Wir werden alle diese verdammten Eisenmänner zerschlagen. Sie und alles andere, was von den Zwergen stammt.«

»Aber du kannst diesen Krieg so nicht gewinnen«, widersprach Kim. »Wer weiß, ob es die Zwerge sind, die Märchenmond den Untergang bringen, Priwinn.«

»Vielleicht hast du recht«, gab der Steppenprinz zu.

»Aber ich sehe keinen anderen Weg. Ich habe auf Themistokles und auf dich gehört. Wir sind nach Norden gezogen, obwohl wir genau wußten, daß es sinnlos sein würde. Wir haben Rangarig verloren. Und wir wären um ein Haar in die Gewalt der Zwerge geraten. Was verlangst du noch von mir?«

»Ich weiß es nicht«, gestand Kim gequält. »Es ist so ... so entsetzlich. Vielleicht sind es die Bewohner dieses Landes selbst, gegen die du kämpfst.«

»Dann werde ich sie besiegen müssen«, sagte Priwinn entschlossen. »Ich bin nicht allein, Kim. Es gibt viele, die so denken wie ich. Und nach dem, was hier geschehen ist, werden sich uns noch mehr anschließen.« Seine Stimme wurde eindringlich. »Und mit dir an unserer Spitze würden wir siegen, das weiß ich.«

»Du verlangst Unmögliches von mir«, rief Kim verzweifelt. »Ich kann nicht das Schwert gegen Märchenmond selbst erheben!«

»Aber wenn es sein muß«, beschwor ihn Priwinn. »Und wir werden tun, was getan werden muß. Wir werden die Eisenmänner zerstören, und dann werden wir uns um die Zwerge kümmern.«

»Obwohl ihr nicht einmal genau wißt, ob sie wirklich die Schuldigen sind?« Kim schauderte innerlich.

»Nun, wir haben keine andere Wahl. Sollen wir warten, bis dieses ganze Land unter einer Decke aus Eisen liegt? Zusehen, bis jede Blume, jeder Baum, jede Pflanze erstickt ist, weil keine Luft mehr zum Atmen da ist? Bis jeder Mann und jede Frau in den Gruben der Zwerge arbeiten muß? Vielleicht sind nicht die Eisenmänner und die Zwerge unsere wahren Feinde, aber es sind die einzigen, gegen die wir kämpfen können.«