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»He da!« schrie der Mann, als er näher kam. »Seid ihr von Sinnen? Was soll das? Könnt ihr nicht wie jeder andere -« Und plötzlich erstarrte er mitten in der Bewegung und im Wort, ließ die Arme sinken und blickte ihnen mit aufgerissenem Mund und Augen entgegen. Kim war nicht ganz sicher, welchem Umstand der Schrecken des Bauern galt - der mattschwarzen Rüstung, die Priwinn nun ganz offen trug, oder der Gestalt des Riesen, der einige Schritte hinter ihren Pferden hertrottete und den der Bauer wohl erst jetzt erblickt hatte. Von weitem mochte Gorg so ausgesehen haben wie ein dritter, nur etwas zu groß geratener Reiter. Sie zügelten ihre Pferde, als sie sich dem Bauern bis auf wenige Schritte genähert hatten. Der Mann starrte weiter den Riesen an und schien von Kim und dem Steppenprinzen gar keine Notiz mehr zu nehmen. »Oh!« flüsterte er schließlich. »Ihr seid ...«

»Ja?« fragte Gorg lauernd und kniff ein Auge zu.

»Ziemlich groß«, stotterte der Bauer. Er schluckte ein paarmal und versuchte zu lächeln, aber es mißlang kläglich. Seine Angst war nicht zu übersehen.

»Finde ich nicht«, versetzte Gorg. »Du bist vielmehr ziemlich klein.«

Der Mann tat Kim leid. Gorg war für seine derben Scherze bekannt, aber jeder wußte, daß er im Grunde keiner Fliege etwas zuleide tat. Trotzdem sah man dem Bauern deutlich an, daß er vor Angst beinahe den Verstand verlor. »Du brauchst nicht zu erschrecken«, beruhigte ihn Kim deshalb hastig und warf Gorg einen bezeichnenden Blick zu. »Wir kamen nur zufällig vorbei. Es tut uns leid, daß wir durch Euer Feld geritten sind, nicht wahr, Priwinn?« Der Steppenreiter überging diese Worte, drehte sich statt dessen im Sattel herum und deutete auf das Gefährt des Bauern. »So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte er zu dem Mann. »Zeigst du es mir?«

Der Bauer zögerte einen ganz kurzen Moment. Sein Blick glitt unsicher über Priwinns nachtschwarze Rüstung und vor allem das Schwert an seiner Seite, aber dann nickte er gehorsam und ging voraus. Priwinn und Kim stiegen aus den Sätteln und folgten ihm. Kim staunte nicht schlecht, als sie näher gekommen waren. Der Pflug selbst war ein ganz normales Gerät, zwar sehr groß und mit übermäßig weit ausladenden Schaufeln, wie es ihm vorkam, aber eben doch nichts anderes als ein Pflug. Nur das Pferd, hinter das er gespannt war, war befremdlich.

Es war kein Pferd, wie Kim es kannte. Es ähnelte einem Pferd auf die gleiche Weise, wie die Eisenkolosse einem Mann ähnelten. Es hatte ungefähr die Form eines Pferdes, aber es war zu groß und zu massig und hatte zu viele und zu scharfe Kanten. Ein einziges, grünglühendes Auge zog sich als schmaler Schlitz quer über die obere Hälfte seines metallfarbenen Gesichtes.

»Ein eisernes Pferd!« entfuhr es Gorg.

Kim warf ihm einen alarmierten Blick zu und sah, wie sich die Hände des Riesen fester um den ausgerissenen Baum schlössen, den er als Keule über der Schulter trug. »Ja, Herr«, sagte der Bauer beunruhigt. Trotzdem lag unüberhörbar ein Unterton von Stolz in seiner Stimme, als er fortfuhr: »Es ist beeindruckend, nicht wahr?«

»Beeindruckend?« Gorg zog eine Grimasse, und der Bauer erblaßte. Kim trat hastig dazwischen. »Woher stammt es?« fragte er den Bauern.

Ganz wie er erwartet hatte, lautete die Antwort: »Von den Zwergen. Ich habe es erst vor wenigen Wochen bekommen, zusammen mit dem neuen Pflug. Und jetzt seht, wieviel ich bereits umgegraben habe.« Stolz deutete er auf das gewaltige Feld, das sich vor ihnen ausbreitete. »Ganz allein. Soviel schaffe ich sonst in drei Monaten.«

»Ohne Hilfe?« fragte Priwinn zweifelnd.

Der Bauer nickte stolz. Kim sah, wie er mehr und mehr Zutrauen gewann. »Ich hatte drei Knechte bis zum letzten Winter«, antwortete er. »Oft mußten wir alle die Gürtel enger schnallen, damit wir genug zu essen hatten. Aber diese Zeiten sind vorbei. Jetzt konnte ich die Knechte entlassen, und ich werde trotzdem mehr ernten als in den fünf Jahren vorher zusammen.«

»Ach«, meinte Gorg. »Und deine Knechte? Wovon leben die jetzt?«

Der Bauer blickte ihn betroffen an und schwieg, während Kim mit ein paar Schritten hinter den gewaltigen Pflug trat und die Ackerfurche betrachtete.

Es war ganz genau der gleiche Anblick wie damals auf Brobings Feld. Die Furche war zu tief; die gewaltigen Schaufeln hatten nicht nur den Mutterboden, sondern auch den Lehm darunter aufgerissen. Dieses Feld würde vielleicht ein oder zwei Jahre lang doppelten Ertrag bringen und dann tot sein, vielleicht für alle Zeiten. Der Anblick erfüllte Kim mit einem solchen Zorn, daß er um ein Haar selbst aufgestanden wäre, um die Egge zu zerschlagen. »Habt Ihr noch mehr solcher ... Dinge auf Eurem Hof?« fragte Priwinn lauernd und plötzlich sehr höflich. Der Bauer nickte stolz. »Zwei Eisenmänner«, sagte er. Plötzlich fuhr er sichtlich zusammen und blickte erst Priwinn und dann Kim mit neuem Ausdruck an. »Aber verzeiht, daß ich so unaufmerksam war«, sagte er. »Ihr müßt von weit herkommen, und Ihr seid sicher hungrig und erschöpft. Wenn Euch ein einfaches Bauernhaus nicht zu schäbig ist, dann kommt doch mit mir und verbringt die Nacht bei uns.«

Kim war überrascht, als sein Freund mit einem Nicken auf dieses Angebot einging. Bisher hatten sie solche Nähe beinahe angstvoll gemieden. Aber jetzt sagte Priwinn: »Gern. Meine Begleiter und ich kommen tatsächlich von weit her. Und wir haben noch einen mindestens ebenso weiten Weg vor uns.«

Kim warf ihm einen fragenden Blick zu, aber der Steppenreiter übersah ihn geflissentlich und ging zu seinem Pferd zurück. Gorg blieb noch einen Moment stehen und betrachtete den Pflug und das eiserne Pferd davor mit einem unheilvollen Ausdruck im Gesicht. Aber schließlich wandte auch er sich um und folgte dem Bauern, der bereits vorausgelaufen war.

»Wieso nimmst du seine Einladung an?« erkundigte sich Kim im Flüsterton, als auch er wieder auf Sternenstaubs Rücken gestiegen war und neben Priwinn herritt. »Bisher haben wir einen großen Bogen um alle Dörfer geschlagen.« Priwinn nickte düster. »Das war vielleicht ein Fehler«, sagte er. »Man erfährt nichts, wenn man mit niemandem redet.« Er runzelte die Stirn und fuhr leiser und mehr zu sich selbst als an Kim gewandt fort: »Ein eisernes Pferd. Das ist neu. Ich bin neugierig, was sie sich als nächstes einfallen lassen werden.«

Sie folgten dem Bauern über die Felder, die so gleichförmig angelegt waren, daß sie allesamt wie tot wirkten, obwohl nicht wenige von ihnen schon fast erntereif waren. Und wie mit seinen Feldern, so verhielt es sich auch mit dem Hof des Bauern: Es war ein kleines Anwesen und so adrett, wie Kim sich nicht erinnern konnte, es jemals zuvor gesehen zu haben. Der Hof aus festgestampfter Erde war so rein gefegt, daß man hätte davon essen können, und die beiden im Winkel zueinander angeordneten Gebäude waren frisch gekalkt und leuchteten weiß im letzten Licht der Sonne. Alles war so ordentlich und sauber wie auf einem zu groß geratenen Spielzeugbauernhof - nicht wie einer, auf dem Menschen lebten.

Priwinn nahm all dies ebenso deutlich zur Kenntnis wie Kim, und der Ausdruck auf seinem Gesicht verdüsterte sich immer mehr. Mit einer heftigen Bewegung stieg er aus dem Sattel und sah sich suchend nach etwas um, woran er den Zügel des Pferdes binden konnte. Der Bauer, dem die Bewegung nicht entgangen war, schüttelte rasch den Kopf und schnalzte gleichzeitig mit der Zunge, und beinahe im selben Moment trat eine riesige, kantige Gestalt mit einem grünleuchtenden Auge aus dem Scheunentor.

Priwinn erstarrte, und auch Gorg fuhr sichtlich zusammen. Aber zu Kims Erstaunen blieben beide völlig reglos stehen, während der Eisenmann zuerst den Zügel von Priwinns Pferd, dann den von Sternenstaub in die Klaue nahm und die Tiere mit stampfenden, gleichmäßigen Schritten in die Scheune führte. Kim erwachte im letzten Moment aus seiner Starre, lief hinter Sternenstaub her und pflückte Bröckchen von seiner Mähne. Das Tierchen ließ es sich widerspruchslos gefallen, und es gab auch keinen Laut von sich, als Kim es auf seine Schulter setzte und wieder zu den anderen zurückging. Flüchtig dachte er daran, daß Bröckchen überhaupt sehr schweigsam geworden war in den letzten beiden Tagen, bedachte man die Schwatzhaftigkeit, mit der er ihnen zuvor allen auf die Nerven gefallen war. Auch Sheera hatte es sich mittlerweile auf der Schulter des Riesen bequem gemacht, sprang aber herunter, als Gorg sich weit nach vorn bückte, um das Bauernhaus zu betreten. Knurrend strich der Kater um die Beine des Riesen, dann verschwand er im Haus. Kaum eine Sekunde später kam er wieder herausgeflitzt. Von drinnen erscholl ein wütendes Bellen, und ein struppiger, sehr großer Hund schoß hinter dem Kater her und begann, ihn quer über den Hof zu jagen. Der Bauer drehte sich mitten in der Bewegung herum und wollte den Hund zurückrufen, aber Gorg schüttelte nur den Kopf, wobei er sich prompt den Schädel an der niedrigen Decke des Flurs stieß, so daß das ganze Haus dröhnte. »Laßt ihn nur«, sagte er. »Sheera kann schon ganz gut auf sich selbst aufpassen.«