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Bröckchen machte sich aber auf eine andere Art nützlich. Es konnte sich frei in den Höhlen bewegen. Die Zwerge hatten nur ein einziges Mal versucht, es auch in Ketten zu legen, aber das kleine Wesen hatte so wütend um sich gebissen und gekratzt, daß niemand imstande war, es festzuhalten. Kim fragte sich bei dieser Gelegenheit, wie es Jarrns Häschern gelungen sein mochte, Bröckchen einzufangen, aber in diesem Punkt verweigerte sein stacheliger Gefährte stur jede Auskunft. Hingegen erwies er sich sonst als sehr hilfsbereit. Kim schickte ihn nach und nach in jeden Teil der riesigen unterirdischen Schmiede, in jede Höhle, jeden Gang, jede Kammer. Er ließ Bröckchen jede Felsspalte und jede Ritze untersuchen, immer auf der Suche nach einem möglichen Fluchtweg, doch alles schien aussichtslos. Inzwischen zeigte sich, daß allmählich auch die anderen Gefangenen Freundschaft mit dem Stacheltier schlössen, das hier, eingesperrt im ewigen Zwielicht der unterirdischen Zwergenwelt, immerfort in seiner häßlichen Nachtgestalt zu sehen war. Und so erfuhr Kim - wenn auch nur aus Bröckchens Berichten -, daß es einen Teil der Höhlen gab, den selbst die Zwerge mieden. Dort, wo das Erzgestein angeliefert und zerkleinert wurde, gab es am äußersten Ende einige Gänge, die die Zwerge niemals betraten; ja, tun die sie einen großen Bogen machten, wie es schien. Kim fand nicht heraus, was es damit auf sich hatte, denn Bröckchen weigerte sich beharrlich, dies zu erforschen. Es schauderte nur, und Kim sah die Angst in seinen Blicken, wenn sie über diesen Teil des Labyrinthes sprachen. Da ließ Kim davon ab, weiter den Freund zu bedrängen. Es mußte dort etwas sein, das selbst Bröckchen fürchtete - und das wollte schon etwas heißen!

Und doch war es genau dort, wo sie die Gelegenheit zur Flucht finden sollten.

Kim, Peer und ein halbes Dutzend anderer Jungen und Mädchen arbeiteten eines Tages mit großen Vorschlaghämmern und zerkleinerten die gewaltigen Erzbrocken zu handlichen Stücken. Diese wurden von einer riesigen Maschine - einem dreifach mannsgroßen Zahnrad mit messerscharfen stählernen Kanten - weiter zermahlen, bis sie die passende Größe zum Einschmelzen hatten. Die Kinder hatten diese Arbeit schon öfter getan - es war nahezu die schwerste, die für sie hier unten anfiel. Trotzdem war es jene Tätigkeit, die Kim noch am ehesten ertrug, denn er war dabei nicht an seinen Arbeitsplatz gefesselt, sondern durch eine lange, dünne Kette mit den anderen verbunden. Die Kette ließ ihnen allen hinreichend Bewegungsfreiheit, so daß sie einige Schritte gehen konnten. An diesem Tag verspürte er plötzlich einen so harten Ruck am Fuß, daß er um ein Haar aus dem Gleichgewicht geraten und hingestürzt wäre. Aber noch ehe er herumfahren konnte, hörte er einen spitzen, entsetzten Aufschrei hinter sich.

Als Kim sah, was geschehen war, da schrie auch er vor Schreck auf!

Einer der anderen Jungen war dem Zahnrad zu nahe gekommen, und seine Kette war unter die großen eisernen Zähne geraten. Das riesige Rad drehte sich mit der Unerbittlichkeit einer Maschine weiter, und die Kette samt dem daranhängenden Jungen - und hinter ihm auch dem nächsten! - verschwand langsam unter den mahlenden Zähnen des gewaltigen Apparates!

Kim ließ seinen Hammer fallen, griff mit beiden Händen nach der dünnen Kette und zerrte mit aller Kraft daran. Vor und hinter ihm taten Peer und die anderen Jungen dasselbe. Mit verzweifelter Anstrengung stemmten sie sich gegen den Boden, einige versuchten, an großen Erzbrocken Halt zu finden. Aber nichts nützte! Die Kette spannte sich und begann wie ein dünnes Messer in Kims Finger zu schneiden, aber er ließ nicht los, sondern zerrte im Gegenteil noch kräftiger daran. Trotzdem wurde die Kette mit den darangebundenen Gefangenen langsam weiter auf das riesige Rad zugezogen!

Kim beobachtete entsetzt, wie sich der zappelnde, schreiende Gefangene unaufhaltsam dem tödlichen Zahnrad näherte. Der Junge geriet in Panik, als er sah, was ihm drohte, und begann wie von Sinnen um sich zu schlagen, als könnte er sein Schicksal damit abwenden. Zwischen ihm und den mahlenden Zähnen waren jetzt noch zwei Meter, dann noch eineinhalb, dann noch einer und schließlich noch ein halber. Noch ein einziger Ruck der Maschine, und der Fuß des Jungen mußte unweigerlich unter seine Kanten geraten und abgerissen werden!

Gerade im allerletzten Moment kam das Rad plötzlich mit einem knirschenden Laut zum Stehen, die messerscharfe Eisenkante befand sich bloß eine halbe Handbreit vom Fuß des unglückseligen Jungen entfernt. Ein schimpfender Zwergenkopf erschien auf der anderen Seite der Maschine, erfaßte mit einem Blick, was geschehen war, und begann noch lauter zu fluchen, während er mit kleinen, trippelnden Schritten herbeieilte. Der Junge selbst schien gar nicht begriffen zu haben, daß er gerettet war, denn er schrie und tobte blindlings weiter, und als der Zwerg versuchte, sich ihm zu nähern, da schlug er auch nach ihm, so daß sich dieser mit einem hastigen Sprung wieder in Sicherheit bringen mußte.

»Helft mir!« schrie der Zwerg. »Haltet diesen Verrückten fest!«

Kim, Peer und zwei andere Jungen taten, was der Zwerg verlangte. Während sie mit aller Kraft Arme und Beine des Rasenden festhielten, dem die Angst wenigstens für den Moment den Verstand geraubt zu haben schien, kramte der Zwerg einen gewaltigen Schlüssel unter seinem Umhang hervor und löste den Fußring, an dem die Kette befestigt war. Hastig schleiften Kim und die anderen den Jungen ein Stück von dem gewaltigen Zahnrad weg und warteten, bis sich seine Panik ein wenig gelegt hatte, ehe sie es wagten, ihn wieder loszulassen.

Indessen keifte der Zwerg wutentbrannt weiter. »Ihr seid doch noch zu dämlich, um einen Hammer zu schwingen!« brüllte er. »Nun schaut euch an, was dieser Idiot angerichtet hat! Das wirft uns weit zurück! Dafür werdet ihr bezahlen, das verspreche ich. Heute abend gibt es nichts zu essen, und morgen auch nicht!«

Kim tauschte einen raschen Blick mit Peer, während der Zwerg mit beiden Händen, aber völlig ergebnislos, am Ende der Kette herumzerrte, die tief in die mahlende Mechanik des Zahnrades hineingeraten worden war. »Kaputt!« kreischte der Zwerg, der seine Umgebung völlig vergessen zu haben schien und nur von Wut über seine defekte Maschine erfüllt war.

Kim und Peer sahen sich nochmals vielsagend an. Es war, als hätten sie sich längst darüber verständigt, was in einem Augenblick wie diesem zu tun war. Unter den überraschten Blicken der anderen näherten sie sich vorsichtig dem schimpfenden Zwerg und nahmen hinter ihm Aufstellung. »Auch übermorgen gibt es nichts zu essen!« keifte der Zwerg weiter, während er mit aller Kraft an der dünnen Kette zerrte, die sich hoffnungslos im Räderwerk der riesigen Maschine verfangen hatte. »Und ihr werdet doppelte Schichten arbeiten müssen, um -«

Er verstummte mitten im Satz. Was auch kein Wunder war, denn Kim hatte ihn im Nacken und am Hosenboden ergriffen und in die Höhe gehoben, so daß ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Luft wegblieb, während Peer fast gemächlich um ihn herumging und den Schlüssel von seinem Gürtel löste.

Die Augen des Zwerges wurden groß vor Erstaunen. »Was tust du da?!« keuchte er. »Bist du von Sinnen? Das darfst du nicht!«

»Ich weiß«, sagte Peer lächelnd, ging in die Hocke und schloß den Ring an seinem rechten Fuß auf. Klirrend fiel die Kette zu Boden, und mit einem hörbar erleichterten Seufzen richtete sich der Junge wieder auf.

Der Zwerg holte tief Luft, um loszubrüllen, aber Kim legte ihm rasch die Hand über den Mund und erstickte seinen Schrei.

Peer öffnete auch Kims Kette und wandte sich dann um, um nacheinander auch die anderen loszuschließen. Bald konnten sich alle das erste Mal seit langem wieder ganz frei bewegen. Aber es schien, als sollte diese neugewonnene Freiheit nur Augenblicke dauern, denn so schnell und leise sie auch gewesen waren, ihr Angriff auf den Zwerg war nicht unbemerkt geblieben. Vom anderen Ende der Höhle erscholl ein schriller, wütender Aufschrei, und als Kim herumfuhr, sah er ein Dutzend Zwerge auf sich und die anderen zustürmen. In ihrer Begleitung befand sich ein riesiger Eisenmann, der zwar gemächlich einherging, mit seinen gewaltigen Beinen aber trotzdem rascher vorankam als die dahintrippelnden Zwerge.