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Aber Kim konnte nichts tun. Unaufhaltsam wurde er weiter auf den mahlenden Schlund der Maschine zugezerrt. Nicht mehr lange, und er würde das Schicksal des Eisenmannes teilen und einfach zersägt werden!

Plötzlich tauchte eine winzige, in ein schmuddeliges schwarzes Cape gehüllte Gestalt neben ihm auf, stieß Peer grob zur Seite und bückte sich nach Kims Fuß. Kim konnte nicht erkennen, was sie tat - aber mit einem Mal war sein Bein frei, kaum eine Sekunde, ehe auch die Hand und die Finger des Eisenmannes in der Maschine verschwanden... Mit einem tiefen Seufzen richtete er sich auf und wich hastig ein paar Schritte von der riesigen Maschine zurück, die um ein Haar sein Grab geworden wäre. Sein kleiner Retter blickte ihn grinsend an - und trat ihm dann so heftig gegen das Schienbein, daß Kim mit einem Schmerzensschrei zurückprallte und auf einem Bein herumhüpfte.

Während Peer und einige der anderen Jungen mit Verblüffung zusahen, wie der Kleine hakenschlagend wieder verschwand, griff sich Kim den Schlüssel, den Peer immer noch in der Hand hielt, und rannte, um auch die anderen Gefangenen zu befreien. Niemand versuchte, ihn aufzuhalten. Die wenigen Zwerge, die dem Zorn ihrer Sklaven bisher entgangen waren, hatten sich fluchtartig in Sicherheit gebracht. Es dauerte nur kurz, bis sämtliche Kinder befreit waren und Kim den Schlüssel unter seinen Gürtel schob. Es waren mehr, als er erwartet hatte: zwanzig oder dreißig, die sich jetzt verwirrt um Peer und ihn scharten und sie erwartungsvoll anblickten.

»Und was jetzt?« fragte Peer schweratmend. Er deutete mit einer Kopfbewegung zum Ausgang. »Wie sollen wir es schaffen? Sie werden über uns herfallen.«

Kim nickte niedergeschlagen. Auch er war sich darüber im klaren, daß ihr Sieg nur vorübergehend war. Selbst wenn es ihnen gelänge, auch alle anderen Gefangenen zu befreien - was ganz und gar nicht sicher war - kämen sie niemals hier heraus. Er hatte nicht vergessen, was Jarrn und auch Bröckchen über den Ausgang aus diesem Labyrinth gesagt hatten. Suchend sah er sich nach Bröckchen um. In dem Durcheinander hatte er es völlig aus den Augen verloren, und für einen Moment bekam er es mit der Angst zu tun, daß ihm etwas passiert war. Aber dann entdeckte er den kleinen Stachelball zwischen drei heulend auf dem Boden sitzenden Zwergen, die es nicht wagten, sich zu rühren, denn Bröckchen fauchte und zischte sie an, wenn sie auch nur mit der Wimper zuckten.

»Bröckchen!« sagte Kim scharf. »Laß den Unsinn. Komm her.«

Das Tierchen schien enttäuscht, denn es zögerte einen Moment, aber dann wandte es sich doch um und kam zu Kim zurück, wenn auch nicht, ohne einem der Zwerge noch eine gehörige Schramme quer über die Nase zu verpassen, als dieser die Gelegenheit nutzen und davonlaufen wollte. »Der Gang, von dem du erzählt hast«, sagte Kim. »Der, den selbst die Zwerge furchten - wo ist er?«

Bröckchen piepste nur angstvoll.

»Wir müssen hier irgendwie heraus«, drängelte Kim ungeduldig. »Bring uns hin. Schnell!«

»Aber ... aber ich weiß nicht, wohin er führt«, stammelte Bröckchen. »Vielleicht geht der Weg nur tiefer in die Erde hinein.«

»Dieses Risiko müssen wir eingehen«, meinte Kim. Er warf einen fragenden Blick in die Runde, und so groß die Angst auf den Gesichtern der anderen Kinder auch war, so war doch keiner dabei, in dessen Augen er nicht zugleich Entschlossenheit las. Sie konnten jetzt nicht mehr zurück. Und Kim spürte, daß jeder einzelne hier das ebenso wußte - lieber würden sie einem Ungewissen Schicksal oder gar dem Tod tief im Schoß der Erde entgegengehen als sich wieder in Ketten legen zu lassen.

»Nun gut«, murmelte Bröckchen schließlich vor sich hin. »Kommt mit.«

Er fuhr herum und flitzte so schnell zwischen den Gesteinsbrocken dahin, daß Kim und die anderen Mühe hatten, ihm zu folgen. Aber gleich darauf waren sie alle sehr froh, daß ihr Führer ein solches Tempo vorlegte, denn der Eingang der Höhle füllte sich jetzt unübersehbar mit schwarzen Capes, deren Ärmchen gewaltige Messer und Beile und Keulen schwangen und mit wütendem Geschrei hinter ihnen herhetzten. Eine ganze Armee von Zwergen, dachte Kim erschrocken - und dahinter stürmten nicht wenige Eisenmänner heran!

Es wurde dunkler, je weiter sie in den Hintergrund der Höhle vordrangen. Das ewige graue Licht der Zwergenwelt blieb, aber der flackernde Schein der Feuer, der die Werkstätten in einen niemals endenden Sonnenuntergang verwandelte, blieb hinter ihnen zurück. Kim warf ab und zu einen Blick über die Schulter und sah, daß der Abstand zwischen ihnen und ihren Verfolgern allmählich kleiner wurde. Vor allem die Eisenmänner rückten mit erschreckender Geschwindigkeit näher. Es waren tatsächlich sehr viele. Auf jeden der Flüchtenden mußte einer der eisernen Riesen kommen, wenn nicht gleich zwei.

Aber sie schafften es. Zwischen Kim, der zusammen mit Peer den Abschluß bildete, und den Eisenmännern lagen noch vierzig oder fünfzig Schritte, als er in der lichtlosen Dämmerung weit vorne einen gewaltigen, halbrunden Tunnel erblickte. Bröckchen tauchte mit einem schrillen Pfiff darin ein, und ohne zu zögern folgten ihm die anderen mit Peer und Kim als letzte.

Kim hatte den Tunnel kaum betreten, als er begriff, was Bröckchen gemeint hatte. Es war spürbar kälter hier drinnen als in den anderen Höhlen, und das graue Licht verlor an Intensität, so daß er selbst die unmittelbar vor ihm laufenden Kinder nur noch als Schatten wahrnehmen konnte. Ihre Schritte erzeugten unheimliche, lang widerhallende Echos an den steinernen Wänden, und irgendwo hier drinnen schien dieser Widerhall aufgefangen und in etwas anderes, Böses verwandelt zu werden, etwas, das in Kims Ohren wie ein meckerndes Hohngelächter klang.

Er versuchte, den Gedanken zu verscheuchen und warf abermals einen Blick zurück. Auch die Eisenmänner hatten den Tunnel mittlerweile erreicht. Aber sie betraten ihn nicht, sondern waren vor dem Eingang stehengeblieben; eine Reihe kantiger, schwarzer Schatten mit unheimlichen grünglühenden Augen, die die halbrunde Öffnung fast zur Gänze ausfüllten. Zwischen ihren gewaltigen Säulenbeinen drängten sich die Zwerge, ohne daß auch sie indes den Gang betraten. Es war, als gäbe es wenige Schritte hinter seinem Eingang eine unsichtbare Grenze, die weder die Zwerge noch ihre fürchterlichen Helfer überschreiten konnten.

Plötzlich rief eine Stimme, die so krächzendschrill und unangenehm war, daß Kim sie wohl nie wieder im Leben vergessen würde: »Bleibt stehen, ihr Narren! Ihr rennt in den Tod!«

Und tatsächlich lief Kim langsamer und blieb schließlich stehen, auch Peer und die anderen hielten an.

»Kommt zurück!« schrie die Stimme erneut mit voller Kraft. Und das Echo der Worte hallte verzerrt und böse zu ihnen zurück: Es war, als flüsterte eine gebrochene Stimme in einer Sprache, deren Bedeutung sie zwar nicht kannten, deren Sinn aber wohl verständlich war.

Kim verscheuchte diesen Gedanken und deutete mit einer Kopfbewegung in die graue Dunkelheit hinter ihnen. »Wir müssen weiter«, sagte er. »Das ist Jarrn. Wahrscheinlich heckt er irgendeine Gemeinheit aus.«

Tatsächlich setzten sich die Jungen und Mädchen wieder in Bewegung, aber sie liefen jetzt nicht mehr so schnell wie zuvor, und Kim bemerkte eine wachsende Unruhe, die sich in der Gruppe ausbreitete. Offensichtlich hatten die Worte Jarrns ihre Wirkung nicht verfehlt: Sie alle hatten Angst vor diesem gewaltigen, schnurgerade in den Berg hineinführenden Tunnel.

»Kommt zurück!« kreischte Jarrn nochmals, als er begriff, daß sie nicht auf ihn hörten und sich immer weiter entfernten. »Ich werde euch nicht bestrafen! Kommt... zurück ... ihr...«