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Turock ließ seine Gabel sinken und sah ihn stirnrunzelnd an. »Worauf wartest du?«

Kim schluckte das Wasser hinunter, das ihm beim Anblick des Obstkuchens im Munde zusammenlief. »Ich verstehe nicht ganz...«

»Der Stand ist noch nicht voll und wir haben noch etwas Tageslicht, das du ausnutzen kannst.«

Statt des Obstkuchens, dessen letzten Rest Turock gerade herunterschlang, schluckte Kim die wenig freundliche Bemerkung hinunter, die ihm auf der Zunge lag, und fragte: »Kann ich wenigstens einen Schluck Wasser haben?«

Turock deutete mit einer widerwilligen Kopfbewegung auf einen Tonkrug, der neben ihm auf dem Boden stand. Kim sah weder einen Becher noch ein anderes Trinkgefäß, also hob er den ganzen Krug an, löschte seinen Durst und schüttete sich anschließend das kalte Wasser über den Kopf. Es tat sehr gut, denn er war vollkommen verschwitzt und außer Atem von der schweren Arbeit.

Als er das nächste Mal zurückkam, hatte Turock seinen Schemel vor den Kamin geschoben, sodass er sich mit dem Rücken dagegen lehnen konnte, beide Füße auf den Tisch gelegt, und schmauchte ein Pfeifchen. Kim lud das Feuerholz polternd in den geschmiedeten Ständer ab, bedachte Turock mit einem Funken sprühenden Blick und genehmigte sich einen weiteren Schluck Wasser und eine kleine Abkühlung, bevor er wieder hinausging um eine weitere Ladung Feuerholz zu holen. Vier Schlucke Wasser, ebenso viele Ladungen Holz und zwei aufgeplatzte Blasen an seinen Händen später war der Krug leer. Turock hatte seine Pfeife aufgeraucht und war mit den Füßen auf dem Tisch eingeschlafen. Kim setzte den Krug mit einem solchen Knall auf dem Boden ab, dass Turock erschrocken die Augen aufriss und um ein Haar vom Stuhl gefallen wäre. »Wieso machst du so einen Krach?«

»Das Wasser ist alle«, antwortete Kim. »Und ich habe Durst.«

»Dann musst du wohl zur Quelle gehen und neues holen«, antwortete Turock.

»Ich?!«

»Schließlich hast du den Krug ja auch fast allein ausgetrunken, oder?« Turock gähnte. »Du musst den linken Weg nehmen. Es ist nicht sehr weit. Ich würde es ja selbst tun, aber der Krug ist ziemlich schwer und mein Rücken macht mir zu schaffen.« Das musste wohl daran liegen, dass er ihm so angestrengt beim Holzhacken zugesehen hatte, dachte Kim ärgerlich. Aber er sprach es nicht aus, sondern hob den leeren Krug auf die Schulter und verließ den Turm. So wie er Turock mittlerweile zu kennen glaubte, bedeutete nicht weit wahrscheinlich, dass er eine Stunde bis zur Quelle brauchen würde. Er brauchte zwei.

Von dem langen Weg und dem Krug auf seiner Schulter, der mit Wasser gefüllt sicherlich einen Zentner wog, vollkommen erschöpft, kehrte Kim mit dem letzten Licht des Tages zurück in den Turm und schaffte es gerade noch, den Krug auf den Boden zu setzten, ehe er auf die Knie herabfiel. Turock war nicht da gewesen, als er hereingekommen war, aber er konnte hören, wie hinter ihm eine Tür aufging und die schlurfenden Schritte des Alten näher kamen.

»Du hast lange gebraucht«, nörgelte der Alte. »Ich dachte schon, du hättest dich verirrt oder wärst weggelaufen. Das hätte mich nicht gewundert. Alle sind so undankbar heute. Alle wollen nur noch nehmen und haben, aber niemand will etwas dafür tun.«

Mühsam stemmte sich Kim wieder in die Höhe, drehte sich herum und riss ungläubig die Augen auf, als er das hölzerne Tablett sah, das Turock auf dem Tisch vor ihm abgestellt hatte. Es enthielt einen Becher mit Wasser, eine halb volle Schale mit kalter Suppe und ein Stück angebissenes Brot.

»Das ... ist der Rest von vorhin«, stammelte er.

»Du hast nicht aufgegessen«, antwortete Turock. »Es wäre zu schade, es wegzuwerfen. Es ist gutes Essen. Aber wenn du nicht hungrig bist, räume ich es wieder weg.«

Aber wahrscheinlich nur, um es mir am nächsten Morgen als Frühstück vorzusetzen, dachte Kim. Er starrte den Alten eine Sekunde lang an, aber dann ließ er sich wortlos am Tisch nieder und griff nach dem Tablett. Irgendetwas sagte ihm, dass es vollkommen sinnlos gewesen wäre, mit Turock zu streiten. Außerdem war er mittlerweile so hungrig, dass er einen Bären hätte verspeisen können.

Während er versuchte das Brot zu kauen ohne dabei ein paar Zähne zu verlieren, fragte er: »Diese Wesen von vorhin, diese ... Pack. Was sind das für Geschöpfe? Ich meine: Sind sie gefährlich?«

»Das sind lästige kleine Teufel«, antwortete Turock. »Sie sind schlimmer wie die Ratten. Wenn du nicht aufpasst, zerstören sie deine Ernte und verjagen dein Vieh und drehen dir hinterher noch eine lange Nase. Aber wirklich gefährlich sind sie nicht.«

»Und wo kommen sie her?«

»Aus den Wäldern«, antwortete Turock. »Früher gab es sie nicht. Aber seit ein paar Jahren tauchen sie immer öfter auf. Sie sind eine Plage.«

»Lebst du gern allein hier?«, fragte Kim.

Turock zischte. »Ich habe hier alles, was ich brauche. Es ist ein guter Platz.«

Kim dachte einige Sekunden angestrengt über die nächste Frage nach, die er dem Alten stellen wollte, sprach sie aber dann ohne Umschweife einfach aus: »Das hier ist Märchenmond, nicht wahr?«

»Märchenmond?«

»Dieser Ort.« Kim machte eine umfassende Geste. »Diese Welt. Wie ist ihr Name?«

»Märchenmond«, wiederholte der Alte nachdenklich und runzelte die Stirn. Dann zuckte er mit den Schultern. »Das mag sein oder auch nicht. Die Leute haben viele Namen für viele Dinge.«

»Weißt du, wo Gorywynn liegt?«, erkundigte sich Kim. »Oder Caivallon?«

»Was soll das sein?«, fragte Turock.

»Die Stadt, in der Themistokles lebt«, seufzte Kim. »Ich nehme nicht an, dass du ihren Namen schon einmal gehört hast.«

»Natürlich weiß ich, wer Themistokles, der Zauberer, ist«, sagte Turock scharf. »Jedermann weiß das.«

»Dann kannst du mir sagen, wie ich zu ihm komme?«, fragte Kim hoffnungsvoll.

»Nein«, antwortete Turock. »Er lebt irgendwo, sehr weit weg. Ich weiß nicht, wo. Wir brauchen hier keine Zauberer.«

Kim war zwar enttäuscht, aber er setzte das Gespräch nicht weiter fort. Dazu war er einfach zu erschöpft. Morgen früh war auch noch Zeit mit diesem sonderbaren Einsiedler zu reden.

»Wo kann ich schlafen?«, fragte er.

»Du wirst schnell müde«, sagte Turock spöttisch. »Das ist der Jammer an den Jungen heute. Aber mir soll's recht sein.« Er stand auf und machte eine Kopfbewegung auf den nackten Fußboden vor dem Kamin. »Schlaf dich gut aus. Die Nächte sind kurz hier.«

Kim starrte auf den harten Steinboden und fragte sich, warum um alles in der Welt er sich diese Behandlung gefallen ließ. Respekt vor dem Alter und Dankbarkeit waren ja noch in Ordnung, aber Turock nahm ihn entweder auf den Arm oder er war der unverschämteste Bursche, der ihm jemals untergekommen war.

Aber sogar um das auszusprechen war er viel zu müde.

Ohne weiteres Wort ließ er sich auf dem nackten Steinboden nieder und schlief auf der Stelle ein.

Wie Turock gesagt hatte, waren die Nächte in diesem Teil des Landes kurz. Als Kim am nächsten Morgen erwachte, weil der Alte ihn unsanft an der Schulter rüttelte, hatte er jedenfalls das Gefühl allenfalls eine oder zwei Stunden geschlafen zu haben. Außerdem fror er so erbärmlich, dass er mit den Zähnen klapperte.

»Bist du endlich wach?«, fragte Turock unwillig. Er hörte auf an Kims Schulter herumzuzerren und schüttelte den Kopf. »Es ist eine Schande! Wäre ich nur zehn Jahre jünger -«

»Ja, ja, und würde dein Rücken ein bisschen weniger wehtun, ich weiß«, unterbrach ihn Kim. Er setzte sich schlaftrunken auf, gähnte hinter vorgehaltener Hand und versuchte sich zu recken, gab aber diese Idee sofort wieder auf. Jeder Knochen in seinem Leib tat von dem unbequemen Liegen auf dem nackten Steinboden weh. Außerdem schien es mit jeder Sekunde kälter zu werden.

»Wieso habe ich eigentlich den halben Wald klein gehackt, wenn du kein Feuer machst?«, fragte er zähneklappernd.