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Kim war beunruhigt. Die Überheblichkeit des Doppelgängers war nicht gespielt. Er fühlte sich vollkommen sicher - obwohl seine Lage so aussichtslos schien, wie sie nur sein konnte.

»Lass es gut sein«, sagte Themistokles leise.

Kais Doppelgänger sah ihn noch einen Moment lang durchdringend an, dann seufzte er, hob langsam seinen Schild und senkte ihn einen Moment später wieder. Als Kim das nächste Mal in sein Gesicht blickte, war es nicht mehr das Kais.

Es war Turocks Gesicht.

Und zugleich auch wieder nicht. Es hatte sich verändert, auf eine unheimliche, schaudernd machende Art.

Zum einen war er nicht mehr alt. Er war auch nicht jung, doch es war ganz und gar nicht das Gesicht des uralten, mürrischen Mannes, als den Kim ihn auf der Lichtung im Zauberwald kennen gelernt hatte. Es wirkte auf eine fast unmöglich in Worte zu kleidende Weise ... zeitlos.

Aber es war auch noch etwas darin und das machte Kim wirklich Angst: Er hatte Bosheit in diesem Gesicht erwartet, vielleicht auch eine verschlagene Tücke, wie sie in den Augen der Zwerge funkelte - aber alles, was er sah, war ein tief eingegrabener Schmerz und eine uralte, quälende Verbitterung.

»Ahhh«, seufzte Turock. »Was für eine Wohltat, nach so langer Zeit wieder das eigene Gesicht tragen zu können. Manchmal läuft man Gefahr zu vergessen, wie es eigentlich aussieht.« Ein ungläubiges Raunen und Murmeln ging durch die Reihen der jungen Steppenreiter, aber Kim sah auch schiere Wut in mehr als einem Augenpaar aufblitzen, als den jungen Kriegern klar wurde, wie sehr man sie getäuscht hatte.

Wolf, der sich mittlerweile ebenfalls zu ihnen gesellt hatte, fasste es in Worte: »Ihr dummen, dummen Kinder!«, sagte er böse. »Ihr führt einen Krieg gegen uns, weil wir alt sind! Und euer Anführer ist der Älteste von allen!«

»Älter als ihr alle zusammen, um genau zu sein«, sagte Turock mit ruhiger Stimme. Er machte eine knappe Geste mit der linken Hand und die vier Reiter der Schwarzen Garde nahmen ihre Helme ab.

Was darunter zum Vorschein kam, das waren nicht die Gesichter von Menschen.

Es waren Pack.

»Steigt von Eurem Pferd, Zauberer«, sagte Wolf kalt, »damit wir Euch in Ketten legen können.«

»Es sei denn, Ihr legt Wert darauf, dass wir Euch aus dem Sattel schießen!«, fügte Kai grimmig hinzu.

Turock lachte leise. »Nicht so hastig, meine Freunde«, sagte er. »Und um der Wahrheit die Ehre zu geben - ich bin kein Zauberer. Kein richtiger, jedenfalls.« Plötzlich wurden seine Augen hart. »Noch nicht.«

»Und das werdet Ihr auch nie«, sagte Themistokles. Seine Stimme klang traurig. »Zauberer zu sein bedeutet mehr, als nur ein paar Beschwörungsformeln aufsagen zu können. Manchmal ist es eine schwere Last... Ich glaube nicht, dass Ihr sie tragen möchtet.«

Turock zuckte mit den Schultern. »Das kommt auf einen Versuch an, nicht wahr?«

Und damit riss er den Arm in die Höhe und deutete mit der ausgestreckten Hand auf Kim. »Gib sie mir!«

Und etwas ganz und gar Unglaubliches geschah:

Kim war darauf gefasst, sich gegen eine Art von hypnotischem Angriff zu wappnen, vielleicht gegen den Ansturm eines überlegenen Willens, der versuchte, seinen eigenen zu unterjochen. Stattdessen spürte er plötzlich ein heftiges - und ganz und gar körperliches Zerren und Reißen an der rechten Hand, in der er die Zauberkugel hielt, und als er erschrocken den Blick senkte, da sah er in die Augen des Pack, in denen plötzlich ein Ausdruck unsäglicher Qual und abgrundtiefer Verzweiflung erschienen war.

»Was ... tust du?«, hauchte er fassungslos.

Der Ausdruck von Schmerz in den Augen des Pack wurde noch tiefer. Aber nur für einen Moment. Dann griff er mit beiden Händen nach Kims Fingern und versuchte sie zurückzubiegen.

»Nein!«, keuchte Kim. »Pack! Bitte!«

Der Pack wimmerte, als litte er Höllenqualen - und biss Kim so heftig in die Hand, dass er mit einem Schmerzensschrei die Zauberkugel fallen ließ. Der Pack fing sie auf, schlüpfte mit einer geschickten Bewegung zwischen Kais gedankenschnell zupackenden Händen durch und raste auf Turock zu. Behände wie ein Affe kletterte er am Zaumzeug seines Pferdes empor.

Kurz bevor er Turock erreichte, hielt er noch einmal inne und warf Kim einen fast verzweifelten, um Vergebung flehenden Blick zu. Aber dann drehte er sich doch herum und drückte Turock die Glaskugel mit dem stilisierten Drachen in die Hand.

Kim spürte plötzlich einen harten Kloß im Hals. Er war nicht zornig, aber so enttäuscht, dass es wehtat.

»Warum tust du mir das an?«, murmelte er.

Der Pack wimmerte leise, während Turock mit der linken Hand seinen Nacken kraulte und mit der anderen die Zauberkugel hielt. »Nimm es ihm nicht übel«, sagte er lachend. »Was hast du geglaubt, warum ich dir den treuesten meiner Diener mitgegeben habe? Nur um dir Gesellschaft zu leisten? Gewiss nicht.«

»Hast du ihm deshalb einen Pfeil ins Herz geschossen?«, fragte Kim bitter. Der Pack wimmerte. Er hielt Kims Blick nicht mehr stand, sondern sah beschämt zu Boden.

Turock verzog die Lippen zu einem dünnen Lächeln. »Es musste doch überzeugend aussehen, oder?«

»Verdammtes Monster!«, flüsterte Kai. »Ich weiß nicht, wer schlimmer ist - Ihr oder der Skull.«

»Ich«, antwortete Turock. »Verlass dich darauf.« Er schnitt Kai mit einer wütenden Geste das Wort ab. »Genug jetzt! Ich habe nicht alle Zeit der Welt! Ihr könnt euch jetzt entscheiden, wer von euch in meine Dienste treten will oder wer es vorzieht, hier und jetzt zu sterben, zusammen mit dem Zwergenvolk!«

Kai ächzte. »Seid Ihr ... verrückt? Nicht einer von meinen Kriegern wird Euch folgen, ganz egal, was Ihr ihnen androht!«

»Das ist auch nicht nötig, jetzt, wo ich das habe!« Turock hob triumphierend die Zauberkugel und deutete mit der anderen Hand auf Kim. »Dank der Hilfe deines naiven kleinen Freundes da!«

»Du hast das die ganze Zeit über geplant«, vermutete Kim.

»Vom ersten Moment an«, sagte Turock. Er wandte sich an Themistokles. »Es war ein geschickter Schachzug, all deine Macht an einen Ort zu bringen, den kein Wesen von dieser Welt betreten kann. Leider hat es nicht funktioniert. Jetzt besitze ich die Macht. Die absolute Macht!«

Themistokles blieb ganz ruhig. Es sah Turock nur an und in seinen Augen stand noch immer dieser Ausdruck sonderbarer Trauer. Er sagte nichts.

»Und Ihr werdet der Erste sein, der sie zu spüren bekommt, alter Narr!«, brüllte Turock. Er riss den Arm in die Höhe und deutete mit der Zauberkugel wie mit einer Waffe auf Themistokles.

Nichts geschah.

Turock blinzelte, betrachtete die Zauberkugel eine halbe Sekunde lang verwirrt und stieß sie dann noch einmal und mit größerer Wucht vor.

Mit demselben Ergebnis.

Weder tat sich die Erde auf um Themistokles zu verschlingen noch stürzte der Himmel auf den Magier herab oder fuhr ein sengender Blitz aus der Zauberkugel.

»Ihr habt immer noch nicht begriffen«, sagte Themistokles bedauernd. Er schüttelte traurig den Kopf, ging zu Turock hin und nahm ihm ruhig die Zauberkugel aus der Hand. Dann kam er zurück und reichte sie Kim.

»Bindet ihn«, sagte er, »aber tut ihm nichts zuleide. Er ist nur ein bedauernswerter, alter Mann.«

Kim drehte die Zauberkugel fassungslos in den Händen. Der stilisierte Drache, der sie hielt, glitzerte im ersten Licht der Morgensonne, als wolle er ihm zublinzeln. Dann drehte er die Kugel herum und betrachtete ihre Unterseite. Winzig klein, aber trotzdem deutlich lesbar, waren die Worte darin eingraviert: MADE IN TAIWAN.

Kim sah fassungslos auf und der Pack kreischte schrill, fuhr herum und versetzte Turock einen Tritt, der ihn rücklings aus dem Sattel stürzen ließ.