Выбрать главу

»Nein!«, keuchte Kim in schierer Todesangst. »Verschwinde! Komm mir bloß nicht zu nahe!« Gleichzeitig ballte er die freie Hand zur Faust und hob den Arm.

Die Spinne verharrte.

Sie war nur noch einen guten Meter von Kim entfernt und somit gerade außerhalb seiner Reichweite. Der Blick ihrer sechs daumennagelgroßen, schwarzen Augen war vollkommen undeutbar, aber es kam Kim so vor, als taxiere sie abwechselnd ihn und seine drohend erhobene Faust.

»Komm mir bloß nicht zu nahe!«, sagte Kim mit zitternder Stimme. Er musste all seine Willenskraft aufbieten um die Spinne auch nur anzusehen. Er hatte keine übermäßig große Angst vor Spinnen und er gehörte auch ganz bestimmt nicht zu denen, die beim Anblick eines solchen Tieres schreiend davonliefen oder auf den nächsterreichbaren Tisch sprangen. Aber er hatte noch nie eine Spinne von solcher Größe gesehen!

»Warum nicht?«, fragte eine Stimme.

Für zwei oder drei Sekunden vergaß Kim sogar die Gefahr, in der er schwebte. Vollkommen fassungslos starrte er die weiße Riesenspinne an. »Wie?«, krächzte er.

»Ich habe gefragt: warum nicht«, wiederholte die Spinne.

Sie sprach tatsächlich! Kim hatte sich nicht getäuscht. Aber schließlich hatte er den Pack ja auch gebeten ihn zu jemandem zu bringen, mit dem er reden konnte. Und er hatte sogar ausdrücklich darauf bestanden, dass es kein Mensch war.

Trotzdem: Sobald er hier heraus war, würde er ein längeres Gespräch mit dem Pack führen müssen ...

»Ich war nur erschrocken«, antwortete er mit einiger Verspätung. »Du bist... nicht besonders hübsch, weißt du?«

»Das sagt man mir öfter«, antwortete die Spinne. Ihre Augen taxierten erneut Kims Faust. »Aber man gewöhnt sich an alles. Hör auf an meinem Netz herumzuzerren. Du machst es noch kaputt.«

»Dann mach mich los«, antwortete Kim. Allein bei dem Gedanken, dass das achtbeinige Ungeheuer ihn berühren könnte, drehte sich ihm schon der Magen um. Aber er hatte wohl gar keine andere Wahl. Seine eigenen Kräfte würden nie ausreichen die klebrigen Fäden zu zerreißen.

»Dich losmachen?«, fragte die Spinne. »Aber warum sollte ich so etwas tun?«

»Warum wohl? Weil ich aus eigener Kraft nicht loskomme, darum.«

»Das ist der Sinn meines Netzes«, antwortete die Spinne. »Wie soll ich dich fressen, wenn du so einfach davonlaufen kannst?«

»Fressen?!«

»Fressen, aussaugen, verputzen, verspeisen ... such dir ein Wort aus«, flötete die Spinne.

»Moment mal«, sagte Kim. »Du willst mich fressen?«

»Selbstverständlich«, antwortete die Spinne. Sie klang ein bisschen genervt.

»Aber das geht doch nicht!«, protestierte Kim.

»Wieso nicht? Was in mein Netz gerät, das fresse ich«, antwortete die Spinne. »Und du bist in meinem Netz, oder?«

»Aber ... aber das ist doch etwas anderes«, stammelte Kim. »Ich meine, ich ... ich bin ein Mensch.«

»Und?«

»Ich ... ich kann denken«, sagte Kim. »Und reden. Wir können uns unterhalten.«

»Ach, du meinst, man darf nur Beute fressen, die nicht sprechen kann?«

»Nein«, antwortete Kim. »Oder ...«

»Oder?« Die Spinne kam ein winziges Stückchen näher. Kim sah jetzt, dass unter ihrem Maul zwei winzige, nadelspitze Zähne herausschauten.

»Ich meine, man isst doch nichts, mit dem man sich gerade noch unterhalten hat!«, sagte Kim verzweifelt.

»Vielleicht hast du Recht«, sinnierte die Spinne. »Vielleicht sollten wir lieber aufhören zu reden.«

Sie sprang warnungslos vor, aber Kim reagierte trotzdem schnell genug. Seine Faust sauste herab und traf die Spinne mit solcher Wucht, dass sie ein gehöriges Stück zurückgeschleudert wurde und glatt aus dem Netz gefallen wäre, hätte sie nicht im letzten Moment einen glitzernden Faden abgeschossen, an dem sie sich festhielt.

»Aua!«, protestierte sie. »Das hat wehgetan!«

»Und es wird noch viel mehr wehtun, wenn du mir zu nahe kommst«, drohte Kim. Seine Gedanken rasten.

»Du bist ziemlich störrisch, wie?«, zischte die Spinne, während sie auf das Netz zurückkletterte und dann in eine sichere Position ein Stück über ihm turnte. »Dabei bin ich nicht einmal ganz sicher, ob ich dich wirklich fressen soll.«

»Ich bin viel zu groß für dich«, sagte Kim. Er zerrte wieder mit aller Kraft an den Seidenfäden, aber es gelang ihm nicht, sie auch nur zu lockern, geschweige denn zu zerreißen.

»Das stimmt«, sagte die Spinne. »Du bist groß. Du reichst für eine Woche. Vielleicht sogar für zwei.« Sie kroch wieder ein Stück näher, hielt aber sofort an, als Kim drohend die Faust ballte.

Sein Hieb hatte sie mit Sicherheit nicht verletzt, ihr aber anscheinend ziemlich wehgetan.

Kims Gedanken rasten noch immer. Er glaubte nicht, dass er sich das Ungeheuer auf Dauer vom Leib halten konnte, jedenfalls nicht so hilflos, wie er nun einmal war. Hätte er die Elfe doch nur einen winzigen Moment früher befreit!

»Hör mal«, sagte er. »Wir sind doch beide zivilisierte Wesen. Wir können doch miteinander reden!«

»Du hast doch selbst gesagt, dass sich das nicht gehört«, sagte die Spinne. »Man redet nicht mit etwas, was man frisst.«

»Man frisst nichts, mit dem man geredet hat«, antwortete Kim. »Das habe ich gesagt!«

»Haarspalterei«, antwortete die Spinne.

»Auf jeden Fall müssen wir eine Lösung finden«, beharrte Kim. »Ich meine: Es ist eine blöde Situation, oder? Ich komme hier nicht weg und du kommst nicht an mich heran.«

»Das sehe ich anders«, antwortete die Spinne. »Ich brauche nur zu warten. Ihr kommt nicht sehr lange ohne Essen und Trinken aus, stimmt's? Ich schon.«

»Und welchen Sinn soll das haben?«, fragte Kim. »Wenn ich verhungert bin, ist an mir nicht mehr viel dran.«

»Ich bin genügsam«, sagte die Spinne. Und wie um ihre Worte noch zu bekräftigen, knickte sie die Beine ein und machte es sich offensichtlich gemütlich. »Und ich habe Zeit.«

»Aber ich nicht!«, sagte Kim wütend. Er begann wieder mit aller Kraft an seinen Fesseln zu zerren, diesmal so nachhaltig, dass das gesamte Netz bebte.

»He!«, protestierte die Spinne. »Pass doch auf! Hast du überhaupt eine Ahnung, wie viel Arbeit es ist, so ein Netz zu weben?«

»Mach mich los!«, befahl Kim. »Auf der Stelle oder ich reiße dein wunderschönes Netz in tausend Stücke!«

»Na, da bin ich aber mal gespannt«, sagte die Spinne spöttisch. »Ich glaube, ich werde dich doch fressen. Später. Wenn du eingeschlafen bist. Oder wenn du -«

Es war ein Trick und er hätte um ein Haar sogar funktioniert. Während die Spinne sprach, hatte sie sich ganz langsam herumgedreht und plötzlich schoss ein dünner, seidig glänzender Faden aus ihrem Hinterleib und wickelte sich wie ein Lasso um sein freies Handgelenk.

Kim riss instinktiv den Arm zurück. Die Spinne kreischte erschrocken, als sie jäh den Halt verlor, flog in hohem Bogen davon und landete meterweit entfernt in einem Gebüsch.

»Kein Grund, gleich grob zu werden!«, keifte sie. »Es ist doch nicht persönlich gemeint!«

»Was? Dass du mich fressen willst?«

Das achtbeinige weiße Scheusal kam auf etwas wackeligen Beinen aus dem Gebüsch heraus und schüttelte sich. »Die Zeiten sind schlecht. Man muss nehmen, was man kriegt.«

»Mich kriegst du jedenfalls nicht«, sagte Kim.

»Das werden wir sehen.«

Diesmal kam der Angriff so überraschend, dass Kim ihn nur noch mit allerletzter Mühe abwehren konnte. Die Spinne verwandelte sich in einen wirbelnden Ball aus Beinen und weißem Fell, raste auf ihn zu und schlug einen blitzschnellen Haken, als Kim nach ihr trat. Er verfehlte sie, aber die Spinne stolperte in ihrer Hast über ihre eigenen Beine und landete ein zweites Mal ziemlich unsanft im Gebüsch. Sie war nicht besonders geschickt.