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Kim grinste. Er fand die achtbeinige weiße Kreatur noch immer alles andere als hübsch, aber schon lange nicht mehr so abstoßend wie am Anfang. Und im Grunde konnte er ihr ihr Verhalten nicht einmal übel nehmen. Sie tat nur, was ihre Natur ihr vorschrieb.

»Du hast gesagt, die Zeiten sind schlecht«, sagte er. »Wie hast du das gemeint?«

»Es gibt kaum noch was zu essen«, maulte die Spinne. »Ich mache seit Monaten kaum noch Beute.«

»Und was ist deine normale Beute?«, fragte Kim.

Die Spinne schwieg, aber Twix sagte: »Elfen.«

»Oh«, sagte Kim.

»Ja, oh«, giftete die Spinne. »Aber es gibt kaum noch welche. Seit die Magie erlischt, verschwinden sie.«

Kim wurde hellhörig. »Die Magie erlischt?«

»Die Magie erlischt, die Magie erlischt«, keifte die Spinne. »Hast du einen Sprachfehler? Natürlich erlischt die Magie. Wäre es anders, dann würdest du jetzt nicht dastehen und Sprüche klopfen, das kann ich dir sagen! Wenn ich noch meine ganze Kraft hätte, würden wir jetzt schon zusammen zu Mittag essen.«

»Erklär mir das«, bat Kim. »Die Magie erlischt? Wieso?«

»Wieso, wieso, wieso?! Weil dumme Tölpel wie du glauben, sie nicht mehr zu brauchen, darum! Und wo wärst du jetzt ohne Magie?« Sie blinzelte zu Twix hinauf, die grinsend mit den Flügeln schlug. Ein goldener Schimmer stob auf und berührte flüchtig den gerade gesponnen Faden. Er zerschmolz dicht über dem Boden und verschwand mit einem peitschenden Knall in den Baumwipfeln.

»Lustig«, grollte die Spinne. »Sehr, sehr lustig.«

»Twix!«, sagte Kim streng. Dann wandte er sich wieder an die Spinne. »Bitte entschuldige. Aber das ist jetzt wirklich wichtig. Auch für dich. Was geht hier vor?«

»Hab ich doch gesagt«, antwortete die Spinne, während sie Twix feindselig musterte. »Die Jungen kämpfen gegen die Alten. Mehr weiß ich auch nicht. Aber seit es begonnen hat, erlischt die Magie. Sie ist schon fast ganz verschwunden. Geh doch los und frag die Dummköpfe, die schuld daran sind.«

»Und wo finde ich sie?«

»Das weiß ich nicht«, behauptete die Spinne. Kim hatte das sichere Gefühl, dass das nicht die Wahrheit war, aber er spürte auch, dass er nicht mehr erfahren würde. Wenn er bedachte, was sie der Spinne angetan hatten, hatte er ohnehin schon viel mehr erfahren, als er eigentlich erwarten konnte.

Er sah der Spinne noch einige Augenblicke lang dabei zu, wie sie einen neuen Faden in die Baumwipfel hinaufschoss und mit geschickten Bewegungen daran emporzuklettern begann, dann drehte er sich herum und ging zu seinem Pferd zurück. Er traf weder an diesem noch an den beiden darauf folgenden Tagen auf Menschen. Twix, die Elfe, blieb weiter bei ihm - aus einem Grund, den er nicht ganz nachvollziehen konnte, glaubte sie anscheinend, dass seine Nähe ihr Kraft verlieh. Kim selbst glaubte nicht, dass das wirklich so war, aber er war ganz froh ein wenig Gesellschaft zu haben.

Sehr viele Antworten auf seine Fragen bekam er allerdings nicht, aber das hatte er auch nicht erwartet. Elfen waren dafür bekannt, drollige kleine Kerle zu sein - die manchmal zu ziemlich derbem Schabernack aufgelegt waren - aber sehr viel mehr auch nicht. Twix wusste nicht, was in diesem Land wirklich vorging, und sie wusste erst recht nichts über die Gründe dieser unheimlichen Veränderung. Und selbst die Worte der Spinne hatten das Rätsel eher noch vergrößert.

Auch der Pack blieb weiter bei ihm. Kim sah ihn tagsüber nur selten, doch sobald die Sonne unterging, erschien der Gnom pünktlich und brachte auch jedes Mal etwas zu essen mit; weshalb Kim sich auch hütete ihn noch einmal daran zu erinnern, dass er ihn ja eigentlich freigegeben hatte.

Auf seinem Weg nach Westen stieß er auf immer neue Spuren der Zerstörung und des Krieges, der Märchenmond offensichtlich heimsuchte. Sie waren nicht mehr so dramatisch wie das verheerte Dorf, in dessen Nähe er auf Kai und die beiden anderen getroffen war, aber auf ihre Art fast noch erschreckender. Zwei- oder dreimal fand er niedergebrannte Gehöfte und sehr viel öfter Bauernhöfe oder kleine Ortschaften, die von ihren Bewohnern offensichtlich in aller Hast verlassen worden waren.

Und schließlich, am Abend des vierten Tages, stieß er auf die Ruinen von Caivallon.

Er war gegen Mittag auf einen Fluss gestoßen, dessen Ufer er in westlicher Richtung folgte; der Richtung, von der er wenigstens hoffte, dass sie ihn nach Gorywynn führen würde. Das Flussufer war verlassen, aber er fand überall die Spuren von Menschen: kleine Fischerhütten, die von ihren Besitzern verlassen worden waren, aufgegebene Höfe und verwaiste Anlegestellen, an denen noch Boote im Wasser dümpelten.

Dann fand er die Stadt.

Im ersten Moment erkannte er die Festung der Steppenreiter nicht einmal. Es war wenig mehr als ein Schatten, der vor ihm am Flussufer auftauchte, und zuerst glaubte nur einen bewaldeten Hügel zu sehen, der sich inmitten der endlosen Steppe erhob. Doch je näher er kam, desto weniger hielt diese Illusion an. Was wie ein bizarr geformter Hügel aussah, das entpuppte sich bald als ein gigantisches Gewirr zerborstener Mauern und verkohlter Balken, das sich zu schier unvorstellbarer Höhe auftürmte.

Kim wurde langsamer, je mehr er er sich dem näherte, was einmal die stolze Festung der Steppenreiter gewesen war, und schließlich hielt er das Pferd an und stieg aus dem Sattel.

Er hatte gewusst, dass Caivallon zerstört war. Kai und die anderen hatten es ihm gesagt. Aber es war ein Unterschied, etwas zu hören oder es mit eigenen Augen zu sehen.

Wie oft war er hier gewesen? Wie viele glückliche Tage hatte er in den Mauern der gewaltigen Festung verbracht? Seine Augen füllten sich mit Tränen, ohne dass er es auch nur merkte. Caivallon war der Stolz Märchenmonds gewesen und seine Bewohner das Sinnbild von Tapferkeit und Stärke. Nichts, rein gar nichts, so hatte er immer geglaubt, vermochte dieser gewaltigen Festung und ihren wehrhaften Bewohnern gefährlich zu werden.

Nun lag sie in Trümmern.

Kim wagte es nicht, sich den Ruinen Caivallons weiter zu nähern, und so schlug er sein Nachtlager am Ufer des Flusses auf, obwohl er noch mehr als genug Tageslicht gehabt hätte um die Stadt zu erreichen.

Er war sehr niedergeschlagen. Twix, die seine Stimmung natürlich spürte, versuchte ihn nach Kräften aufzuheitern, aber Kim nahm die Späße der Elfe gar nicht zur Kenntnis und er registrierte auch kaum, wie der Pack kurz vor Einbruch der Dunkelheit kam und ihm etwas zu essen brachte.

Als es dunkel wurde, entzündete er ein Feuer und rollte sich unter seiner Decke zum Schlafen zusammen, aber es dauerte lange, sicherlich Stunden, bis er wirklich einschlief.

Tief in der Nacht wachte er wieder auf.

Albträume und eine quälende Unruhe hatten ihn geplagt, aber er spürte auch sofort, dass er nicht von selbst erwacht war. Etwas hatte ihn geweckt.

Aber was?

Kim richtete sich vorsichtig auf die Ellbogen auf und sah sich um. Es war fast unheimlich still. Das Feuer war heruntergebrannt und zu einem Häufchen dunkelroter Glut geworden, das kaum noch Licht und keine spürbare Wärme mehr abgab. Er sah nach links, dorthin, wo sich der Pack zum Schlafen zusammengerollt hatte. Der Kobold war verschwunden und auch von Twix war nichts mehr zu sehen. Das Gefühl jedoch, dass irgendetwas nicht stimmte, wurde immer stärker. Kim richtete sich ganz auf und lauschte einen Moment mit angehaltenem Atem und schließlich hörte er tatsächlich etwas: Eine Reihe gedämpfter, nicht genau zu deutender Laute, die aber äußerst beunruhigend wirkten. Er stand auf, bewegte sich ein paar Schritte in die Richtung, aus der die Geräusche kamen, und ging dann noch einmal zu seinem Lagerplatz zurück. Er nahm Turocks Bogen, den dazugehörigen Köcher und hängte sich beides über die Schulter, bevor er sich endgültig auf den Weg machte.

Die Geräusche wurden rasch lauter. Bald identifizierte er hastiges Hufgetrappel, aber auch zwei, vielleicht drei Stimmen. Sie lachten, aber es war kein besonders angenehmes Lachen, fand Kim. Noch vorsichtiger schlich er weiter, nahm den Bogen von der Schulter und legte einen der schwarzen Pfeile auf die Sehne.