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Die Staubwolke vor ihm war noch nicht sehr viel näher gekommen, aber das lag wahrscheinlich nur daran, dass die Jungen ihn noch nicht entdeckt hatten. Kim machte sich nichts vor: Auch mit einem gesunden Pferd hatte er keine Chance, ein Wettrennen gegen ein oder zwei Dutzend Verfolgern zu gewinnen. Zurück konnte er auch nicht, denn dort warteten Kai und zwei vermutlich höchst miserabel gelaunte Steppenreiter auf ihn, und zur Rechten befand sich der Fluss, der eine unüberwindliche Barriere bildete. Im Grunde konnte er nur nach Norden.

Trotzdem wartete er, bis Twix zurückkam und sich wieder auf seiner Schulter niederließ. »Nun?«

»Also, der Pack schleicht gar nicht weit entfernt heran und diese widerwärtige verfressene ungehobelte Spinne kriecht irgendwo durchs Gras und denkt wohl, dass ich -«

»Twix!«

»Ja?«

»Die anderen«, sagte Kim. »Kai und seine Kumpanen! Wo sind sie?«

»Oh«, machte Twix. »Darauf habe ich nicht geachtet. Du hast nichts von ihnen gesagt.«

Kim schloss die Augen, zählte in Gedanken langsam bis drei und sah dann nach Norden. Dieser eine Blick machte jede weitere Frage überflüssig.

Durch das hüfthohe Gras kam ein halbes Dutzend Reiter herangejagt und diese Reiter hatten ihn gesehen, daran bestand gar kein Zweifel. Nun blieb ihm nur noch der Weg zum Fluss. Kim fluchte lautlos in sich hinein, wendete das Pferd und ließ es antraben. Der Weg war nicht weit. Er würde das Ufer wahrscheinlich erreichen, ehe die Verfolger ihn einholten, aber er hatte nicht die geringste Ahnung, was er dann tun sollte. In der reißenden Strömung war an Schwimmen gar nicht zu denken; ganz davon zu schweigen, dass er viel zu breit war. Selbst Grendels Fähre brauchte fast eine Stunde, um ...

Die Fähre!

Warum hatte er denn nicht gleich daran gedacht? Es gab ja einen Weg über den Fluss!

Von diesen Gedanken mit neuer Hoffnung erfüllt, ritt Kim schneller und erreichte binnen weniger Minuten den Deich. Bevor er ihn in Angriff nahm, drehte er sich noch einmal im Sattel herum und sah zu seinen Verfolgern zurück.

Was er sah, gefiel ihm ganz und gar nicht! Die Reiter waren doch viel schneller näher gekommen, als er gehofft hatte. Er konnte sich nicht mehr einbilden auf die Fähre zu kommen, ohne dass sie es merkten. Und als wäre das allein noch nicht genug, hatte mittlerweile auch die zweite Gruppe, die sich ihm von Caivallon her näherte, gehörig an Tempo zugelegt. Sie mussten ihn entdeckt haben. Kim schätzte, dass sie ungefähr gleichzeitig wie die anderen eintreffen würden.

Er lenkte das Pferd die Böschung hinauf und stellte fest, dass er zumindest in einem Glück gehabt hatte: Er war nicht sehr weit von der Anlegestelle entfernt und die Fähre lag auf dieser Seite des Ufers. Grendel war nicht da.

Kim unterdrückte den Impuls, noch einmal zu seinen Verfolgern zurückzusehen, sondern lenkte das Pferd in raschem Tempo den Deich hinab und auf die Fähre zu.

Am liebsten hätte er laut gejubelt, als er die Fähre genauer sah. Grendel hatte sich zwar enorm über seinen Flaschenzug aufgeregt, ihn aber trotzdem nicht komplett abgebaut, sondern einfach nur ausgehängt.

Kim sprang aus dem Sattel, kaum dass die Hufe des Pferdes das Holz berührten. Mit fliegenden Fingern machte er sich an die Arbeit.

Die Zeit schien plötzlich zu rasen. Er würde nicht lange brauchen um den Flaschenzug wieder einzuhängen und mit dem Führungsseil der Fähre zu verbinden. Aber vielleicht würde er diese wenige Augenblicke nicht mehr haben, denn auf der anderen Seite des Deiches wurde das Dröhnen zahlreicher Pferdehufe laut.

Als er den Blick hob, sah er, dass seine schlimmsten Befürchtungen wahr wurden: Nicht nur eine, sondern beide Verfolgertruppen erschienen gleichzeitig auf dem Kamm der Düne. Aber etwas stimmte nicht. Bei der Gruppe, die er zuerst entdeckt hatte, handelte es sich um Jungen - aber auch etliche Mädchen -, die vornehmlich die weiße Kleidung der Steppenreiter trugen. Der zweite, kleinere Trupp jedoch bestand aus wesentlich älteren Männern. Kriegern, um genau zu sein. Sie trugen ausnahmslos Rüstungen und Schilde. Angeführt wurden sie von dem bärtigen Mann, den Kim bereits in der Gastwirtschaft kennen gelernt hatte.

Kaum hatten sich die beiden unterschiedlichen Gruppen erblickt, da brandete auch schon auf beiden Seiten ein wütendes Gebrüll auf; sie zogen ihre Waffen und gingen unverzüglich aufeinander los.

»He!«, piepste Twix. »Sind das Freunde von dir?«

Kim schwieg gute fünf Sekunden, ehe er antwortete; leise und beinahe zögernd. »Ich fürchte, nein«, sagte er.

»Aber sie greifen sich doch gegenseitig an!«

»Das stimmt«, gab Kim zu. »Aber ich fürchte, sie prügeln sich darum, wer mich umbringen darf...«

Trotzdem war das unerwartete Auftauchen dieses zweiten Heeres vielleicht genau die Chance, die er brauchte. Vor seinen Augen entbrannte eine regelrechte Schlacht, bei der die Chancen nur scheinbar ungleich verteilt waren. Die Reiter aus Caivallon waren ihren Gegnern an Zahl zwar hoffnungslos überlegen, aber sie waren trotz allem Kinder, und ihre Feinde waren viel besser bewaffnet - und sie nahmen nicht besonders viel Rücksicht auf die Jugend ihrer Gegner. Der Ausgang der Schlacht war völlig offen.

Kim sah nicht weiter zu, sondern beeilte sich, den Flaschenzug anzubringen und das Seil wieder einzuhängen. Als er fast damit fertig war, gewahrte er eine Bewegung aus den Augenwinkeln und griff erschrocken zur Waffe. Aber es war nur der Pack. Er sah ziemlich mitgenommen aus. Er verzichtete sogar darauf, Kim einen Tritt in die Kniekehlen zu versetzen, als er an ihm vorbeiging. Kim arbeitete mit fliegenden Fingern weiter.

Beinahe hätte er es sogar geschafft. Der Kampf wogte hin und her, ohne dass eine Seite einen entscheidenden Vorteil erringen konnte, und Kim beendete unbehelligt seine Arbeit und griff nach dem Seil. Das Floß setzte sich zitternd in Bewegung. Als er zwei oder drei Meter vom Ufer entfernt war, lösten sich ein halbes Dutzend Gestalten aus dem Kampf und stürmten in seine Richtung. Es waren zwei Männer aus dem Heer der Erwachsenen und vier Jungen.

Kim zerrte mit verzweifelter Kraft am Seil, griff mit der anderen Hand nach Turocks Bogen - und zog die Hand wieder zurück. Die Bewegung fiel ihm unendlich schwer und er hatte das Gefühl, dass der schwarze Bogen am Sattel zitterte, als könne er es gar nicht erwarten, in seine Hand zu springen und seine Arbeit zu tun.

Er wagte es nicht, den Zauberbogen zu benutzen, denn er musste daran denken, was das letzte Mal passiert war. Er hatte nur flüchtig daran gedacht, seinem Gegner ins Bein zu schießen, und die Pfeile hatten mit unheimlicher Präzision ihr Ziel getroffen, selbst als er es gar nicht mehr wollte.

Vorhin, als er in Kais Gesicht geblickt hatte, hatte er nicht an sein Bein gedacht...

Statt die Waffe zu benutzen, griff er mit beiden Händen nach dem Seil und zerrte mit aller Gewalt. Der Fluss wurde schneller, zumal er jetzt in die Strömung geriet.

Aber nicht schnell genug.

Seine Verfolger waren ins Wasser gewatet und begannen nun mit raschen Zügen zu schwimmen. Mindestens zwei oder drei würden die Fähre erreichen, erkannte Kim. Er zerrte und zog weiter, griff aber mit einer Hand nach dem Schwert.

Zwei Verfolger gaben auf und schwammen zum Ufer zurück, dann noch zwei: Die beiden übrig gebliebenen jedoch schwammen weiter. Und sie kamen näher.

Kim zog das Schwert, schwang die Waffe mit beiden Händen hoch über dem Kopf und schlug mit aller Gewalt zu. Das Führungsseil des Fährfloßes zersprang mit einem peitschenden Knall. Das Floß zitterte, schien einen Moment lang still zu stehen und begann sich auf der Stelle zu drehen. Die beiden Schwimmer kamen rasch näher und Kim bereitete sich innerlich darauf vor, nun doch um sein Leben kämpfen zu müssen. Er war jetzt gute zehn Meter vom Ufer entfernt und bewegte sich immer schneller, aber auch die Schwimmer wurden von der Strömung erfasst und holten weiter auf.