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»Meine größte Sorge ist und bleibt mein leerer Magen«, sagte die Spinne.

Kim ging gar nicht darauf ein, sondern wandte sich mit ernstem Gesichtsausdruck an Twix. »Hör zu«, sagte er. »Wir brauchen deine Hilfe. Du bist die Einzige, die von diesem Floß herunterkommt. Du musst losfliegen und irgendwo Hilfe holen.«

»Hilfe?« Twix schüttelte den Kopf. »Aber hier in der Gegend lebt niemand.«

»Versuch es trotzdem«, bat Kim. »Aus eigener Kraft kommen wir nie hier weg - und ich weiß nicht, wie lange das Floß noch durchhält.«

Die Elfe wirkte nicht überzeugt. Trotzdem zuckte sie nach einem Moment mit den winzigen Schultern, schüttelte die letzten Tropfen Wasser von ihren Flügeln und verschwand dann ohne ein weiteres Wort.

Kim sah noch einen Augenblick in die Richtung, in der sie davongeflogen war, und ließ seinen Blick dann nachdenklich über das Floß schweifen. Das Ergebnis dieser Bestandsaufnahme war alles andere als ermutigend. Das Floß hatte sich in einem Winkel von gut dreißig Grad zwischen den Felsen verkeilt. Trotz der schweren Schäden, die es davongetragen hatte, schien es relativ fest zu sitzen, sodass im Moment wenigstens nicht die Gefahr bestand, dass sie vollends abstürzen würden. Das vordere Drittel der Fähre hing buchstäblich im Nichts.

»Ich stelle ja ungern zweimal dieselbe Frage«, sagte die Spinne. »Aber hast du vielleicht eine Idee, was wir jetzt tun sollen?«

Erst als die Sonne fast im Zenit stand, kehrte die Elfe von ihrer Rettungsaktion zurück. Erschöpft ließ sie sich auf Kims Schulter nieder. Ihre Flügel hatten viel von ihrem goldenen Schimmer verloren und sie zitterte vor Schwäche am ganzen Leib.

Kim ließ ihr gute fünf Minuten lang Zeit um wieder zu Kräften zu kommen. Erst dann stellte er die Frage, die nicht nur ihm , sondern wohl auch den beiden anderen auf der Zunge brannte.

»Hast du jemanden getroffen?«

»Getroffen?«, murmelte die Elfe. Sie schien Mühe zu haben, nicht auf der Stelle einzuschlafen.

»Menschen«, sagte Kim geduldig. »Jemanden, der uns helfen kann!«

Twix machte eine Bewegung, die man mit einigem guten Willen als Kopfschütteln deuten kann. »Niemand«, murmelte sie. »Ich habe ein paar Häuser gefunden, aber sie waren alle leer. Nur Spuren.«

»Spuren?«

»Von denen, vor denen du geflohen bist«, sagte Twix. »Ich glaube nicht, dass ich sie alarmieren sollte.«

Vielleicht würden sie das sogar müssen, überlegte Kim. Ihre Verfolger würden ihn wenigstens nicht auf der Stelle umbringen, während sie hier auf dem Fluss nur der sichere Tod erwartete.

Aber noch war es nicht so weit.

»Ruh dich ein bisschen aus«, sagte er. »Du hast es immerhin versucht.«

Ohne weiteres Wort rollte sich die Elfe auf dem Boden neben ihm zusammen und schlief ein.

Der Tag verging. Kim war längst hungrig geworden, denn er hatte bei seiner überstürzten Flucht am Morgen natürlich nicht daran gedacht, Proviant mitzunehmen. Aber das war noch ihr geringstes Problem. Viel schlimmer war die drückende Enge auf der Fähre. Da das Floß schräg zwischen den Felsen verkeilt war, konnten sie sich praktisch nur auf seinem hinteren Drittel aufhalten. Bisher hatte sie die Angst und die gemeinsame Gefahr, in der sie sich befanden, zusammengeschweißt, aber wie lange würde das so bleiben?

Als die Sonne unterging, versuchte Kim einen einigermaßen trockenen Platz zum Schlafen zu finden und kurz danach sah er sich mit einem weiteren Problem konfrontiert: Es wurde erbärmlich kalt. Die Gischt, die sich am Heck der Fähre brach, überschüttete sie mit einem ununterbrochenen, feinen Sprühregen, den er in der warmen Sonne kaum zur Kenntnis genommen hatte. Nach Einbruch der Dunkelheit aber wurde die Kälte rasch zur Qual. Kim fand kaum Schlaf in dieser Nacht. Immer wieder wachte er zitternd und vor Kälte mit den Zähnen klappernd auf. Und als er am nächsten Morgen resignierte und aufstand, hatte er das Gefühl, so gut wie gar nicht geschlafen zu haben. Wenigstens würden sie auf diesem Floß nicht verhungern, dachte er sarkastisch. Sie würden lange vorher an Erschöpfung und Kälte sterben.

»Ich könnte es noch einmal versuchen«, schlug Twix vor. »Vielleicht habe ich ja etwas übersehen. Oder jemand ist zurückgekommen.«

Kim zog fröstelnd die Knie an den Körper und schüttelte den Kopf. Die Sonnenstrahlen waren trotz der noch frühen Stunde schon kräftig, aber die Kälte hatte die ganze Nacht Zeit gehabt sich in seinen Knochen einzunisten. Er klapperte mit den Zähnen.

Der Vorschlag der Elfe war gut gemeint, aber sinnlos. Twix hatte gestern schon mehr gegeben, als er eigentlich verlangen konnte. Er glaubte nicht, dass es der weite Flug gewesen war, der Twix so erschöpft hatte.

»Du musst nicht bei uns bleiben«, sagte er unvermittelt.

Die Elfe sah ihn fragend und verständnislos an und Kim fuhr leise, aber in sehr ernstem Ton fort: »Du kannst von hier wegfliegen. Wenn kein Wunder geschieht, dann werden wir hier wahrscheinlich nicht mehr wegkommen. Aber es gibt keinen Grund für dich auch zu sterben.«

»Aber das werde ich sowieso«, sagte Twix leise. »Ohne dich sterbe ich auch. So wie alle anderen.« Sie richtete sich auf Kims Schulter auf, reckte sich ausgiebig und sah auf die Spinne hinab.

»Außerdem lasse ich mir doch nicht den Spaß verderben, dabei zuzusehen, wie ein gewisser Jemand hier absäuft.«

»Da kannst du lange warten«, sagte die Spinne. »Den Gefallen tue ich dir nicht. Und wenn, dann erst nachdem ich noch einmal gut gegessen habe.«

Kim setzte dazu an, die beiden Streithähne zur Ordnung zu rufen , ließ es aber dann bleiben. Warum sollten sie sich nicht auf ihre ganz persönliche Weise die Zeit vertreiben?

»Dazu müsstest du mich erst einmal kriegen«, sagte Twix. Sie kicherte, schwang sich in die Luft und stieß spielerisch auf die weiße Riesenspinne hinab.

Die Spinne duckte sich, schoss dann aber plötzlich einen Faden nach der Elfe ab, der sich zielsicher um ihre Beine wickelte. Twix stieß ein erschrockenes Piepsen aus, schoss steil in die Höhe und wurde in gut drei oder vier Metern Höhe ziemlich abrupt von dem dünnen seidenen Faden gestoppt.

Wütend schlug sie mit den Flügeln und versuchte den Faden mit ihrem Elfenstaub aufzulösen, aber die Spinne ließ ihn so plötzlich länger werden, dass Twix erneut ein Stück in die Höhe schoss und die Attacke ins Leere ging.

Der Anblick brachte Kim auf eine Idee. »Hört auf!«, sagte er. »Aber sie hat angefangen!«, behaupteten Twix und die Spinne so synchron, dass ihre Stimmen wie eine einzige klangen.

»Das ist jetzt völlig egal!«, sagte Kim plötzlich sehr aufgeregt. Da die beiden keineswegs aufhörten ihr albernes Spielchen zu spielen, griff er kurzerhand nach oben, hangelte die Elfe an dem Spinnfaden zu sich herab und hielt sie fest, während er mit dem anderen Arm die Spinne auf Distanz hielt; nur damit sie nicht auf die Idee kam, ein zweites Frühstück einzulegen, bei dem die Elfe eine ziemlich wichtige Rolle spielte.

»Hört mir zu!«, sagte er eindringlich. »Vielleicht haben wir doch noch eine Chance.« Er wandte sich direkt an die Spinne. »Wenn du einen Faden von hier bis zum Ufer spannen könntest, wäre er stark genug, damit wir uns daran entlanghangeln könnten?«

Die Spinne begriff sofort, was er meinte. »Einer wohl nicht«, sagte sie. »Aber drei oder vier zusammen schon.«

»Und du könntest sie spinnen? Sie müssten wirklich sehr lang sein.«

»Kein Problem«, behauptete die Spinne großspurig.

»Aber wie willst du sie am Ufer befestigen?«

»Ich überhaupt nicht«, sagte Kim. Er sah die Elfe an.

Twix ächzte. »Nein! Niemals!«

»Aber du könntest es schaffen. Ohne Probleme.«

»Nein!«, beharrte Twix. »Ich werde mich ganz bestimmt nicht von diesem Viech einspinnen lassen!«

»Davon redet ja auch niemand«, sagte Kim. »Aber du könntest einen Faden nehmen und damit zum Ufer fliegen. Du musst ihn nur sicher an einem Baum oder einem Felsen festbinden -«