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Trotz allem kam ihm ihre Umgebung auf sonderbare Weise vertraut vor. Er hatte so etwas schon gesehen, wenn auch noch nie selbst, sondern immer nur auf Bildern. Sie marschierten durch ein gewaltiges, unterirdisches Kanalisationssystem.

»Darf ich dir eine Frage stellen?«, fragte Kim nach einer Weile.

»So viele du willst«, antwortete Kai. »Ich weiß nur nicht, ob ich sie beantworte.«

»Du hast von eurem Herrn gesprochen«, sagte Kim. »Dem Magier der Zwei Berge.«

Kai sah ihn mit einem Ausdruck leiser Überraschung an. »Woher kennst du diesen Namen?«

»Ich kenne ihn eben«, antwortete Kim ausweichend. Es hatte keinen Sinn, Grendel noch mehr Schwierigkeiten zu bereiten. »Wer ist er und was will er von mir?«

»Das weiß ich nicht.«

»War das jetzt die Antwort auf meine erste oder auf meine zweite Frage?«, fragte Kim in etwas schärferem Ton. Er hatte keine Lust auf Wortklaubereien.

»Auf beide«, antwortete Kai ruhig. »Ich habe ihn niemals gesehen. Keiner von uns hat das. Und ich weiß nicht, was er von dir will. Ich habe nur den Befehl bekommen, dich zu ihm zu bringen.«

»Und du führst ihn aus ohne dich zu fragen, welchen Sinn er hat?«, fragte Kim kopfschüttelnd. »Ich verstehe dich nicht, Kai. Ich kenne Caivallon, weißt du? Die Steppenreiter waren immer das stolzeste und tapferste Volk Märchenmonds. Sie hätten sich niemals einem Herrscher angeschlossen, von dem sie nicht einmal wissen, wer er ist - geschweige denn, welche Ziele er verfolgt.«

»Die Zeiten ändern sich eben«, sagte Kai mürrisch.

»Ja, das habe ich gemerkt«, sagte Kim.

»Du weißt gar nichts!«, fuhr Kai auf. »Du kommst hierher, weißt überhaupt nicht, wer wir sind oder was wir wollen, und erdreistest dich noch über uns zu urteilen?«

»Dann erklär mir, was ihr wollt«, sagte Kim.

»Nichts anderes als das, was auch du willst!« Kai sprach jetzt eindeutig im Tonfall einer Verteidigung. »Wir wollen nur über unser eigenes Leben bestimmen können!«

»Mit Waffengewalt?«

»Wenn es sein muss, ja«, sagte Kai. »Würdest du nicht um deine Freiheit kämpfen?«

»Nicht so«, behauptete Kim, aber Kai lachte nur hart.

»O ja, das habe ich gemerkt!«, spottete er. »Vor allem meine Leute haben es gemerkt, als du sie vom Pferd geschossen hast.«

»Das war etwas anderes«, behauptete Kim - aber er kam sich dabei selbst etwas lächerlich vor. Als er weiterreden wollte, blieb Kai abrupt stehen und hob die Hand.

»Still! Da ist etwas!«

Auch Kim blieb stehen und lauschte. Über dem Plätschern des Wassers war ein neues, regelmäßiges Geräusch zu hören: Ein helles Klingen und Scheppern, das zu gleichmäßig war um natürlichen Ursprungs zu sein.

Sie gingen schneller weiter. Der Tunnel führte noch gute hundert Meter geradeaus und endete dann nach einem scharfen Knick in einer sehr großen Halle, die fast knietief unter Wasser stand. Der Grund dafür war leicht zu erkennen: Es gab mindestens ein Dutzend unterschiedlich großer Stollen, durch die Wasser hereinströmte. Den Abfluss bildete ein einzelner, breiter Kanal, der aber zum Großteil verstopft war: Die Wand, durch die er floss, war zusammengebrochen. Tonnen von Ziegelsteinen und Felsen blockierten den Tunnelausgang. Dann erkannten sie auch den Grund des Lärms, der sie hierher geführt hatte. Eine Anzahl kleiner, in dunkle Kapuzenumhänge gehüllter Gestalten war emsig damit beschäftigt, dem Hindernis mit Hämmern, Spitzhacken und Meißeln zu Leibe zu rücken.

»Zwerge!«, sagte Kim. »Das sind Zwerge!«

»Zum Teufel«, murmelte Kai. Es klang nicht sehr erfreut. Seine Hand senkte sich nervös auf das Schwert an seiner Seite und zog sich dann hastig wieder zurück, als ihm wohl klar wurde, dass Kim die Bewegung bemerkt hatte. Seltsam ...

Kim ging rasch weiter. Kai folgte ihm, aber erst nach deutlichem Zögern und in einigem Abstand. Offensichtlich mochte er keine Zwerge. Und nach allem, was Kim selbst mit dem kleinen Volk erlebt hatte, konnte er das fast verstehen ...

Die Zwerge bemerkten ihre Annäherung erst, als sie sie fast erreicht hatten. Und ihre Reaktion überraschte Kim: Einer von ihnen stieß einen warnenden Ruf aus, woraufhin alle ihre Werkzeuge sinken ließen und herumfuhren.

Es war schwer, in den Gesichtern von Zwergen zu lesen. Trotzdem konnte man nicht übersehen, dass die Zwerge nicht gerade begeistert über ihr Erscheinen waren. Einige von ihnen sahen regelrecht erschrocken drein.

»Hallo«, sagte Kim zögernd.

Einer der Zwerge trat auf ihn zu und auch die anderen bewegten sich. Sie nahmen in einem weiten Halbkreis um Kim und Kai herum Aufstellung und ergriffen ihre Werkzeuge fester. Kim konnte ihre Feindseligkeit regelrecht fühlen.

»Wer seid ihr?«, fragte der Zwerg. Er hatte die schrille, unangenehm keifende Stimme aller Zwerge und sein Blick irrte misstrauisch und unstet zwischen ihren Gesichtern hin und her. »Was habt ihr hier zu suchen?«

»Wir haben uns verirrt«, antwortete Kim schnell, bevor Kai etwas sagen konnte, was die Situation vielleicht noch verschlimmerte. »Ich bin froh, dass wir euch getroffen haben.«

»Verirrt?« Die Augen des Zwerges wurden schmal. »Was soll das heißen?«

»Wir suchen den Ausgang«, sagte Kai. »Wisst ihr, wo er ist?«

»Klar«, antwortete der Zwerg. »Aber der taugt nur für uns. So große Tölpel wie ihr würden einfach stecken bleiben.«

Kai wollte auffahren, aber Kim hob rasch die Hand und zog die Aufmerksamkeit des Zwerges so wieder auf sich. »Vielleicht könnt ihr uns wenigstens sagen, wo wir überhaupt sind«, sagte er. »Das würde uns schon helfen.«

Der Zwerg tauschte einen bezeichnenden Blick mit einigen seiner Begleiter und lachte dann meckernd. »Ihr wisst nicht einmal, wo ihr seid?«

»Nicht genau«, sagte Kim. »Sonst hätten wir uns ja nicht verirrt, nicht wahr?«

Die Augen des Zwerges wurden noch schmaler. »Was bist du, Kerl?«, fragte er. »Ein Klugscheißer, wie?«

Kim zählte in Gedanken bis drei. Er würde sich nicht von diesem Zwerg provozieren lassen und er würde sich schon gar nicht auf einen Streit mit ihnen einlassen. Er wusste aus langer, schmerzhafter Erfahrung, wie sinnlos das war.

»Wir haben uns wirklich verirrt«, sagte er noch einmal. »Ihr würdet uns sehr helfen, wenn ihr uns sagt, wo wir sind und wie wir hier herauskommen.«

»Ihr seid in Gorywynn«, antwortete der Zwerg. »Genauer gesagt, unter Gorywynn.«

»Die gläserne Stadt?«, fragte Kim fassungslos.

Der Zwerg lachte meckernd. »Ja, ja«, sagte er. »Nur in einem Teil der Stadt, den feine Pinkel wie ihr nicht kennen. Die Teile, in denen euer Dreck und eure Abfälle gesammelt werden.«

»Und was tut ihr hier?«, fragte Kai.

»Was geht dich das an?«, schnappte der Zwerg.

»Du hast Recht«, sagte Kim rasch. Außerdem war die Frage überflüssig. Die Zwerge versuchten den beschädigten Kanal zu reparieren, das war kaum zu übersehen. »Entschuldige. Und wie kommen wir nun hier heraus?«

Der Zwerg antwortete nicht gleich, sondern sah Kai und ihn wieder aus misstrauisch zusammengepressten Augen an. Kim konnte die Nervosität der Zwerge immer deutlicher spüren. Sie benahmen sich wie Ganoven, die auf frischer Tat ertappt worden waren.

»Der zweite Tunnel links«, knurrte der Zwerg schließlich. »Immer geradeaus, bis ihr zu einer runden Höhle mit vielen Zuflüssen kommt. Den, aus dem das meiste Wasser kommt, müsst ihr nehmen. Er führt direkt nach oben.«

»Wenn das nicht stimmt, kommen wir wieder«, drohte Kai.

Der Zwerg kicherte. »Kaum, Tölpel. Ihr findet nicht zurück.« Kim sah sich ein zweites Mal und etwas genauer um. Die Zwerge - es waren mindestens ein Dutzend - starrten Kai und ihn mit mittlerweile offenkundiger Feindseligkeit an. Nicht alle hatten nur Werkzeuge in den Händen. Viele hielten auch kleine oder größere Steinbrocken, die sie aus den Trümmern im Kanal herausgebrochen hatten.