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Die Gasse, in die sich Kim geflüchtet hatte, war so schmal, dass der Mann damit einige Schwierigkeiten haben würde, aber dieser Vorteil nutzte Kim nicht viel. Hinter ihm jagten bereits weitere Reiter heran.

Ohne nachzudenken, was er tat, raste Kim quer über die Straße und stürzte durch die erstbeste offen stehende Tür. Das Haus dahinter war dunkel und so leer, dass seine Schritte lange, unheimlich nachhallende Echos aus den gläsernen Fliesen schlugen. Kim blickte im Laufen zurück und sah, dass einer der Reiter ihm folgte. Aber der Mann hatte die Höhe der Tür falsch eingeschätzt. Er prallte wuchtig gegen den Türsturz, wurde rücklings aus dem Sattel geschleudert und riss im Fallen noch zwei seiner Begleiter aus den Sätteln.

Die Ungeschicklichkeit seiner Verfolger verschaffte ihm wieder einige Sekunden Vorsprung. Er raste durch die Eingangshalle, sprang durch die erste Tür, die er sah, und durchquerte drei, vier Räume, jagte eine Treppe hinauf und eine zweite wieder hinab und erreichte schließlich die Rückseite des Gebäudes. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, sprang er aus dem Fenster und fand sich in einer noch schmaleren, düsteren Gasse wieder. Er hörte noch immer aufgeregte Rufe und das helle Klappern zahlreicher Pferdehufe, allerdings ein gutes Stück entfernt. Die Verfolger würden außen um den gesamten Block herumreiten müssen, sodass sein Vorsprung wieder ein gutes Stück größer geworden war.

Allerdings war er nicht sicher, dass es reichte. Die Verfolger waren in gewaltiger Überzahl. Sie waren beritten und wussten ziemlich genau, wo sie nach ihm zu suchen hatten, während er verletzt und am Ende seiner Kräfte war und noch dazu völlig desorientiert. Er wusste, wohin er wollte - nämlich zu Themistokles' Palast -, aber er hatte nicht die geringste Ahnung, in welcher Richtung er lag.

Kim wandte sich nach links und humpelte auf das Ende der Gasse zu. Er erreichte es unbehelligt, trat auf einen weiteren, allerdings wesentlich kleineren Platz hinaus und sah nach oben. Im ersten Moment erkannte er nichts als ein scheinbar sinnloses Durcheinander aus Erkern, Zinnen, Dächern und Türmen, die bizarr geformte, aber trotzdem charakteristische Spitze von Themistokles' Zauberturm.

Sie schien unendlich weit entfernt.

Kim stöhnte innerlich vor Enttäuschung, biss aber die Zähne zusammen und versuchte nicht auf den immer heftiger werdenden Schmerz in seinem Bein zu achten, sondern stattdessen in einen gleichmäßigen, möglichst kräftesparenden Trab zu verfallen. Trotz allem kannte er sich in Gorywynn aus, was auf seine Verfolger vermutlich nicht zutraf; wenigstens nicht auf alle. Mit ein bisschen Glück konnte er die innere Mauer und damit den Palast des Zauberers erreichen.

Er überquerte den Platz und brachte weitere vier oder fünf Straßen hinter sich ohne entdeckt zu werden, doch als er sich dem inneren, weit höheren Mauerkreis Gorywynns näherte, sah er ein, dass all seine Mühe umsonst gewesen war.

Seine Verfolger warteten bereits auf ihn.

Gorywynn war eine wunderschöne, aber auch äußerst wehrhafte Burg. Die Straßen der Stadt endeten gute hundert Schritte vor dem inneren Verteidigungskreis mit seinen Mauern und Wassergräben. Der Bereich dazwischen war vollkommen leer um möglichen Feinden im Falle eines Angriffs keine Deckung zu bieten.

Aber er bot auch keine Deckung vor den gut zwei Dutzend Reitern, die vor dem offen stehenden Tor Aufstellung genommen hatten und offenbar auf ihn warteten.

Für einen Moment war Kim der Verzweiflung nahe. Es war vorbei. Er war am Ende seiner Kräfte, er war verletzt und es gab nichts mehr, wohin er noch fliehen konnte. Vor ihm befand sich eine Menge Reiter, aber es waren noch lange nicht alle von denen, die er auf dem Marktplatz gesehen hatte. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wo die anderen gerade waren: Sie durchkämmten die Stadt und suchten nach ihm.

Das Schlimmste war, dass er der Rettung schon so nahe gewesen war! Lächerliche hundert Schritte weiter und er wäre in Sicherheit gewesen!

Ein goldener Funke senkte sich vom Himmel herab und landete zielsicher auf seiner Schulter.

»Kim?«, piepste Twix. »Bist du das?«

»Wer soll es denn sonst sein?«, fragte Kim. Trotz des Ernstes seiner Lage entlockte ihm die Frage der winzigen Elfe ein Lächeln.

»Ich frage ja nur«, sagte Twix. »Du sprichst wie er und du siehst auch fast so aus wie er ... aber du riechst nicht wie er. Ehrlich gesagt, riechst du wie -«

»Ich weiß, wie ich rieche«, unterbrach sie Kim hastig. »Das ist eine lange Geschichte. Erzähl mir lieber, wie du mich gefunden hast.«

»Keine Ahnung«, gestand Twix. »Vielleicht hatte ich nur Glück. Du warst sehr lange weg. Ich dachte schon, ich schaffe es nicht mehr. Meine Kräfte versagen schnell, wenn du nicht in der Nähe bist.«

Kim musterte die Elfe mit einer Mischung aus Sorge und einer neu aufkeimenden, wenn auch schwachen Hoffnung.

»Kannst du fliegen?« Er deutete auf die Festung. »Nur bis dorthin.«

»Klar«, antwortete Twix großspurig. »Überhaupt kein Problem. Was soll ich tun?«

»Du musst Themistokles, den Zauberer suchen. Du hast doch schon von ihm gehört, oder?«

»Jeder hat schon von dem berühmten Themistokles gehört«, antwortete Twix in einem Ton, als hätte Kim gefragt, ob die Sonne am Morgen eigentlich auf- oder unterging. Dann fügte sie hinzu: »Wer ist das?«

»Such ihn einfach«, seufzte Kim. »Jedermann dort drinnen kennt ihn. Es ist sein Palast, weißt du? Sag ihm, dass ich hier draußen bin und seine Hilfe brauche.«

»Wozu?«, fragte Twix.

»Sag es ihm einfach«, bat Kim. »Und bitte: beeil dich.«

»Klar«, versicherte Twix, machte aber trotzdem keine Anstalten, Kims Bitte nachzukommen, sondern hüpfte stattdessen aufgeregt auf seiner Schulter auf und ab. »Dieser Themistokles ist wirklich ein leibhaftiger Zauberer? Ich meine, ich habe noch nie einen richtigen Zauberer getroffen. Keinen, der wirklich zaubern konnte, weißt du? Viele produzieren ein bisschen Blitz und Donner und machen allen möglichen Hokuspokus, aber -«

»Twix!«

Twix schwieg, aber nur für einen kurzen Moment, dann fuhr sie fort: »Du glaubst ja nicht, wer sich so alles Zauberer nennt! Ich habe Typen erlebt, die -«

»Lass dir ruhig Zeit«, sagte Kim. »Ich warte übrigens noch auf Pack und die Spinne. Ich schätze, sie sind auf dem Weg hierher.«

Twix verschwand so schnell, dass Kim ihr kaum mit Blicken zu folgen vermochte.

Er wartete. Natürlich musste er sich in Geduld fassen. Twix würde Zeit brauchen um Themistokles zu finden und vermutlich noch sehr viel mehr Zeit um dem Zauberer zu erklären, was er überhaupt von ihm wollte - falls sie es bis dahin nicht vergessen hatte.

Er wich noch ein Stück weiter in den Schutz der letzten Häuser zurück, sah sich nach allen Seiten um und duckte sich schließlich in einen Hauseingang.

Keinen Moment zu früh. Hinter ihm wurde Hufschlag laut, dann sprengte fast ein halbes Dutzend Reiter an ihm vorbei; nahe genug, dass er nur die Hand auszustrecken brauchte um sie zu berühren.

»Habt ihr ihn?«, drang eine Stimme vom Platz herüber.

»Nein«, schrie einer der Reiter in vollem Galopp zurück. »Die Stadt ist einfach zu groß! Wir haben einen Boten nach draußen geschickt, um die Hunde aus dem Lager zu holen!« Die Reiter gerieten rasch außer Hörweite, aber Kim hatte auch genug gehört. Hunde! Das war genau das, was ihm jetzt noch fehlte! Wenn sie mit Hunden nach ihm suchten, dann nutzte. ihm das beste Versteck der Welt nichts mehr!