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»Oh«, sagte Kim.

»Tja!« Gorg wischte sich einen Rest Grütze aus dem Bart und grinste unverhohlen. »Immerhin wird dir wohl so schnell nicht mehr langweilig werden. Ich habe gehört, sie haben wirklich schlechte Manieren. Nicht nur bei Tisch.«

»Vielleicht findet sich ja eine Lösung«, sagte Themistokles. »Im Augenblick gibt es aber Wichtigeres zu besprechen. Ich kann mir vorstellen, dass du tausend Fragen hast, Kim, aber ich möchte dich trotzdem bitten, zuerst von dir zu erzählen. Wie bist du hierher gekommen und was hast du auf dem Weg erlebt?«

Kim war tatsächlich ein wenig enttäuscht. Er hatte gehofft, nun endlich Antworten auf all die Fragen zu bekommen, die ihn quälten. Aber er sah ein, dass Themistokles' Vorschlag vernünftig war. Das Dutzend Gäste, das mit ihnen am Tisch saß, war sicher nicht nur gekommen um ihn zu begrüßen. Dieses Treffen war aus irgendeinem Grund, den er noch nicht kannte, sehr wichtig.

Er begann zu erzählen, sehr ausführlich und ohne irgendetwas zu beschönigen, zu übertreiben oder wegzulassen. Themistokles unterbrach ihn zwei- oder dreimal um eine Zwischenfrage zu stellen oder ihn irgendein Detail wiederholen zu lassen, die meiste Zeit aber herrschte gespanntes Schweigen.

Nur ein einziges Mal, als er von seiner Begegnung mit den Zwergen berichtete, wurde er von einem der anderen Gäste unterbrochen, einem bärtigen, grauhaarigen Mann in der Kleidung eines Kriegers. »Diese verdammten Zwerge!«, grollte der Mann. »Ich habe gleich gesagt, wir sollten sie aus der Stadt jagen!«

»Aber warum?«, wunderte sich Kim. »Sie waren doch dabei, den Stollen zu reparieren!«

»Ganz im Gegenteil!«, sagte der Mann zornig. »Dieses diebische Gesindel wird uns noch alle umbringen!«

»Das verstehe ich nicht«, sagte Kim.

»Sie stehlen die Runensteine!«, fuhr der Mann in zorniger Erregung fort.

»Unsere Baukunst folgt anderen Regeln als die eure«, erklärte Themistokles. »Ihr habt eure Ingenieure und Statiker. Unsere Baumeister vertrauen mehr auf die Magie. Es sind magische Runen, die die Stollen unter der Stadt vor dem Einsturz bewahren.«

»Und die Zwerge -«

»- stehlen diese Runensteine, ja«, sagte Themistokles besorgt. »Ich fürchte, dass es so ist. Diese Runensteine sind sehr alt und ihre Magie ist sehr mächtig. Vor allem jetzt, wo der Zauber überall im Lande erlischt.«

»Aber wissen sie denn nicht, was sie damit anrichten?«, fragte Kim.

»Das ist diesen elenden Kerlen doch vollkommen gleich!«, behauptete der Krieger. Doch auch diesmal mischte sich Themistokles besänftigend ein.

»Vielleicht haben sie ihre Gründe«, sagte er. »Oder meinen zumindest sie zu haben. Wir werden uns um das Problem kümmern, doch nun erzähl bitte weiter, Kim.«

»Sehr viel mehr gibt es nicht zu erzählen«, sagte Kim. »Wir kamen nach oben und nur kurze Zeit darauf habe ich Sturm getroffen. Den Rest hat er euch sicher schon erzählt.«

Themistokles blickte ihn zweifelnd an. Kim hatte ganz bewusst nichts von Kais Verrat erzählt und auch nichts von seiner verzweifelten Flucht vor Wolf und seinen Reitern. Er war sicher, dass Themistokles davon wusste, aber der Magier nahm seine Antwort ohne weitere Reaktion hin.

»Du hast eine Menge auf dich genommen um hierher zu kommen«, sagte er nur.

»Ja«, bestätigte Kim. Er sah wieder in die Runde. Abgesehen von Gorg starrten ihn alle an, selbst die Bediensteten, die ein paar Schritte abseits standen um die Wünsche der Gäste zu erfüllen. Zu seiner Verwunderung glaubte er auf mehr als einem Gesicht den Ausdruck von Enttäuschung zu entdecken, den er sich nicht erklären konnte. »Aber nun sag mir, Themistokles: Was ist hier geschehen? Märchenmond ...«

»... verändert sich«, bestätigte Themistokles traurig. »Das ist wahr.«

»Aber es ist eine schreckliche Veränderung!«, sagte Kim.

Themistokles wiegte den Kopf. »Vielleicht kommt sie dir nur schrecklich vor, weil die Dinge plötzlich nicht mehr so sind, wie du sie gekannt hast«, sagte er. »Anderen mag sie nicht so schrecklich erscheinen. Wahr ist, dass die Magie erlischt.«

»Aber warum denn nur?«

»Vielleicht, weil die Menschen nicht mehr an sie glauben«, antwortete Themistokles mit einem traurigen Lächeln. »Vielleicht ist die Zeit verrückter alter Männer, die komische Hüte tragen und nachts im Mondlicht in ihre Barte brabbeln, einfach vorüber.«

»Hier geschieht sehr viel mehr als das«, sagte Kim ernst. »Die Menschen bekämpfen einander, Themistokles. Es herrscht Krieg! Ich habe Tote gesehen und brennende Städte!«

»Die Menschen sind nun einmal ein kriegerisches Volk«, sagte Themistokles.

»Das sind wir nicht!«, protestierte Kim, aber Themistokles erhielt Schützenhilfe von einer völlig unerwarteten Seite.

»Sind sie doch«, behauptete die Spinne. »Ich weiß, ihr haltet euch für etwas Besseres. Die Krone der Schöpfung! Pah! Wisst ihr, was der einzige wirkliche Unterschied zwischen euch und allen anderen Spezies ist?«

»Die Sprache«, sagte Kim, aber die Spinne machte nur eine merkwürdige Geste mit einigen ihrer dünnen Beine, die man mit ein wenig Fantasie als Verneinung deuten konnte.

»Ja, ja, ganz sicher«, sagte sie spöttisch. »Nein, der einzige wirkliche Unterschied ist der, dass ihr Kriege führt. Kein anderes Lebewesen im Universum ist dazu in der Lage. Kein anderes weiß überhaupt, was dieses Wort bedeutet.«

»Erklär das Twix«, sagte Kim, aber die Spinne ließ auch dieses Argument nicht gelten.

»Wir töten einander, das ist wahr«, sagte sie. »Ich habe nicht gesagt, dass die Natur friedlich ist oder auch nur fair. Das sind Erfindungen eurer Sprache, die keine wahre Bedeutung haben. Wir töten einander aus Hunger oder um unser Revier zu verteidigen oder unsere Brut. Aber hast du je gehört, dass wir uns zu einer Armee zusammenschließen und uns gegenseitig bekämpfen, weil uns die Ideen der anderen nicht gefallen? Oder um ihnen unsere Art zu leben aufzuzwingen?«

»Das ist nicht als Vorwurf gemeint, Kim«, sagte Themistokles. »Und schon gar nicht als Rechtfertigung. Aber die Menschen sind nun einmal so, wie die Natur sie geschaffen hat: ein kriegerisches, gewalttätiges Volk. Es nutzt nichts, es zu leugnen. Und es wäre auch nicht schlimm. Nicht, solange man sich dessen bewusst ist und danach lebt. Erinnerst du dich, was das erste Mal geschehen ist, als du hier warst?«

»Natürlich«, antwortete Kim.

»Du hast erkannt, dass Gut und Böse in jedem Menschen ist«, sagte Themistokles. »Kein Mensch ist vollkommen gut, so wie kein Mensch vollkommen schlecht ist. Auch du nicht. Auch in dir ist eine dunkle Seite, so wie auch in mir - wie in jedem Menschen. Und doch hast du dich für die richtige Seite entschieden. Es hilft nichts, mit dem Schicksal zu hadern. Dieser Krieg ist furchtbar, doch er wird nicht enden, nur weil wir darüber jammern!«

»Ich weiß ja noch nicht einmal genau, warum er angefangen hat«, murmelte Kim.

»Aus dem Grund, aus dem alle Kriege beginnen«, antwortete Gorg, »Weil keine der beiden Seiten bereit ist nachzugeben.«

»Dann müssen wir ihn beenden!«, protestierte Kim. »Wenn es sein muss, mit Gewalt! Ich weiß, dass das verrückt klingt, aber ... aber wenn Wolf und Kai und die anderen nicht von sich aus vernünftig werden, dann müssen wir sie eben dazu zwingen!«

»Und wie?«, fragte der Mann in der Kriegerkleidung. »Sollen wir vielleicht ebenfalls ein Heer aufstellen? Und wenn ja, gegen wen sollen wir kämpfen? Gegen unsere eigenen Brüder und Schwestern? Oder lieber gegen unsere Söhne und Töchter? Dann wären wir nicht besser als sie.«

»Ich fürchte, er hat Recht, Kim«, sagte Themistokles. »Diesmal ist es nicht damit getan, ein Heer aufzustellen und einen Feind zu besiegen, denn der Feind, der uns bedroht, sind wir selbst.«

»Das ist nicht wahr!«, widersprach Kim. Seine Stimme klang nicht einmal in seinen eigenen Ohren überzeugend, aber er fuhr trotzdem fort: »Eure Welt unterscheidet sich gar nicht so sehr von der, aus der ich komme, wisst ihr? Fragt mal meine Eltern, was sie unter dem Wort Generationskonflikt verstehen.«