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Dann sah er, was Gorg so erschreckt hatte.

Auf der anderen Seite des Hofes war ein Loch entstanden. Die pastellfarbenen Glasfliesen, mit denen der Hof gepflastert war, waren aufgebrochen. In der Mitte des an einem riesigen Maulwurfshügel erinnernden Loches schimmerte etwas Helles, Großes, fast ohne erkennbare Konturen. Die Angst, die Kim gepackt hielt, steigerte sich durch den bloßen Anblick des fahlen Schattens nahezu zur Panik.

Trotzdem bewegten sich Gorg und er weiter auf das Loch im Boden zu, mit klopfendem Herzen und kleinen abgehackten Schritten, die die Angst ihnen diktierte. Der Schemen bewegte sich weiter, schien für einen winzigen Moment beinahe zu einem Körper zu werden und verschwand dann ebenso plötzlich, wie er aufgetaucht war. Im selben Moment verschwand auch der erstickende Druck, der sich auf ihre Seelen gelegt hatte. Kim atmete hörbar auf und beschleunigte dann ebenso wie der Riese seine Schritte. Nur einen Augenblick später standen Gorg und er am Rande eines gut fünf Meter messenden, bodenlosen Lochs, aus dem eine Mischung aus Moder und dem Geruch frischen Erdreichs zu ihnen heraufdrang.

Sicherlich eine Minute lang standen sie einfach da und starrten schweigend in die Tiefe. Dann murmelte Gorg: »Was um alles in der Welt war das?«

Kim konnte nur mit den Schultern zucken. Er versuchte sich den Schemen in Erinnerung zu rufen, den er gesehen hatte, doch es gelang ihm nicht. Dabei hatte er das ... Etwas eigentlich ganz deutlich gesehen. Es war, als hätte irgendetwas in ihm sich geweigert mehr als ein helles Aufblitzen von Knochenweiß und den flüchtigen Eindruck gewaltiger Klauen und Furcht einflößender Zähne wahrzunehmen.

»Sieh mal da«, sagte Gorg. Er ließ sich in die Hocke sinken und deutete mit der ausgestreckten Hand auf den Rand des Loches.

Es dauerte einen Moment, bis auch Kim auffiel, was der Riese bemerkt hatte, doch dann lief ihm ein eisiges Frösteln über den Rücken.

Die meisten Fliesen waren einfach nach oben und beiseite gedrückt worden, als hätte sich irgendetwas mit unvorstellbarer Kraft geradewegs aus dem Erdinnern nach oben gearbeitet. Etliche waren auch zerbrochen - und in mehr als einer waren unverkennbare Spuren zu sehen.

»Mein Gott«, murmelte Kim. »Das sind ...«

»Zähne«, führte Gorg den Satz zu Ende. Er streckte die Hand weiter aus, löste mit einiger Mühe eine der zerborstenen Fliesen aus dem Boden und hielt sie ins Licht. Kim sah die Spuren gewaltiger, stumpfer Zähne jetzt ganz deutlich. Trotzdem weigerte er sich, für einen Moment einfach zu glauben, was er sah. Wie die gesamte Festung bestand auch die Fliese aus pastellfarbenem Glas. Sie wirkte in Gorgs Hand klein, war aber gute zehn Zentimeter dick und maß mehr als einen Meter im Quadrat. Kim bezweifelte, dass er in der Lage gewesen wäre, sie auch nur anzuheben.

»Aber das ist Glas!«, murmelte er ungläubig. »Es ist härter als Stahl! Welches Geschöpf kann so etwas tun?«

»Keines, das ich kenne«, antwortete Gorg besorgt. »Nicht einmal ein Drache wäre dazu imstande.« Er stand auf, drehte die zerbrochene Fliese nachdenklich in der Hand und drehte sich um. »Wir müssen Themistokles wecken.«

»Glaubst du, er weiß, welches Geschöpf das war?«

»Ich glaube, dass wir dieses Loch schließen müssen«, antwortete Gorg. Der Ernst in seiner Stimme erschreckte Kim weit mehr als das, was er sagte. »Was immer diesen Tunnel gegraben hat, könnte wiederkommen. Wir brauchen einen mächtigen Zauberspruch um ihn zu schließen.«

Sie mussten nicht lange nach dem Zauberer suchen. Sowohl Themistokles als auch Sturm kamen ihnen auf halbem Wege entgegen, Sturm in seiner schon vertrauten Fetzenkleidung, Themistokles in einem rosafarbenen Nachthemd mit grünen Blümchen. Dazu trug er eine Schlafmütze mit einer rosa Bommel und Filzpantoffeln, die mindestens fünf Nummern zu groß waren. In der linken Hand trug er einen Kerzenständer aus Kupfer. Unter allen anderen Umständen hätte der Anblick Kim vor Lachen laut herausplatzen lassen. Jetzt erschreckte er ihn zutiefst.

»Was ist los?«, begann Themistokles. »Irgendetwas hat mich geweckt. Ein Gefühl.«

»Angst«, sagte Sturm geradeheraus. »Ich bin wach geworden und hatte furchtbare Angst. Und ich weiß nicht einmal, wovor.«

Kim und der Riese tauschten einen bezeichnenden Blick. Die anderen hatten es also auch gemerkt.

Gorg erklärte Themistokles und Sturm mit wenigen, sachlichen Worten, was geschehen war. Der Zauberer hörte schweigend zu, während Sturm neugierig nach der Fliese griff. Gorg reichte sie ihm.

»Das ist unheimlich«, sagte Themistokles kopfschüttelnd. Er musste lauter als gewohnt reden, um Sturms Gebrüll zu übertönen. Der Junge hüpfte abwechselnd auf dem einen und dann auf dem anderen Bein herum und massierte fluchend und brüllend seine Zehen.

Gorg bückte sich und hob die Fliese wieder auf. »Das ist es«, bestätigte er. »Aber wir sollten uns später den Kopf darüber zerbrechen, was das für ein Wesen war. Ich habe Angst, dass es zurückkommen könnte. Wir sollten den Tunnel versiegeln.«

»Ja, da hast du wohl Recht«, sagte Themistokles. Er schloss die Augen, murmelte einen Zauberspruch und unmittelbar vor Sturms Füßen materialisierten sich eine Schaufel und eine Spitzhacke. Sturm, der noch immer wild fluchend herumsprang, trat prompt auf die Schaufel, woraufhin der Stiel hochklappte und ihm zu allem Überfluss auch noch die Nase blutig schlug.

»Das ... wird vielleicht nicht reichen«, sagte Gorg vorsichtig. »Ich dachte eher an einen Zauberspruch.«

»Ein Zauberspruch.« Themistokles wiegte nachdenklich den Kopf. »Ja. Das klingt nach einer guten Idee. Zeigt mir doch, wo -« Er brach ab, sah auf seine rechte Hand hinab und machte ein bestürztes Gesicht. »Ich muss mir die Hände waschen. Ich sehe ja aus wie ein Ferkel, mit all diesen Tintenflecken an den Fingern!«

Kim betrachtete Themistokles' Hände. Sie waren vollkommen sauber. »Also, ich sehe nichts.«

»Es ist ja auch unsichtbare Tinte«, sagte Themistokles.

»Das Loch«, erinnerte Gorg.

»O ja, das Loch.« Themistokles nickte heftig. »Zeigt es mir.« Er, Kim und Gorg gingen. Sturm folgte ihnen in einigem Abstand, aber er ging nicht, sondern hüpfte fluchend von einem Bein auf das andere. Kim fiel auf, dass weder die Spinne noch Pack zu sehen waren, obwohl die beiden ihm normalerweise nie von der Seite wichen. Selbst Twix war nicht wieder aufgetaucht. Offensichtlich hatten auch sie den Odem des Fremden und Unheimlichen gespürt, der das Auftauchen des unbekannten Wesens begleitet hatte.

Aber so unbekannt war es ja vielleicht gar nicht. Kim hatte wieder das Gefühl, dass er ein solch unheimliches Erlebnis schon einmal gehabt hatte. Aber auch diesmal entglitt ihm der Gedanke wieder, bevor er wirklich Gestalt annehmen konnte. Sie traten wieder auf den Hof hinaus und Gorg führte Themistokles zu dem Loch, das das Ungeheuer in den Boden gerissen hatte. Themistokles beugte sich neugierig darüber und stellte sich dabei so ungeschickt an, dass er vermutlich kopfüber hineingestürzt wäre, hätte Gorg nicht blitzschnell zugegriffen und ihn festgehalten.

»Danke, Gorg«, sagte er. »Das ist wirklich tief! Erstaunlich! Wer mag es wohl gemacht haben? Und wozu?«

»Warum versiegelst du es nicht einfach?«, fragte Gorg geduldig. »Wir können später darüber nachdenken.«

»Vielleicht«, sagte Themistokles. »Andererseits: Jemand hat sich viel Mühe gemacht es zu graben. Er hatte bestimmt einen Grund dazu. Er könnte verärgert sein, wenn wir seine Arbeit einfach so zunichte machen.«

Kim wollte etwas sagen, aber Gorg warf ihm einen beinahe beschwörenden Blick zu und so schwieg er.

»Das geht schon in Ordnung«, sagte Gorg. »Tu es einfach - bitte.«

Themistokles sah den Riesen zweifelnd an, zuckte aber dann mit den Schultern und trat gehorsam an den Rand des Loches. Umständlich stellte er den Kerzenständer zu Boden, hob die Arme und begann leise vor sich hin zu murmeln. Zaubersprüche. Wenigstens hoffte Kim, dass es Zaubersprüche waren.