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Er trat ein paar Schritte zurück und sah sich nach Sturm um. Der sommersprossige Junge kam langsam näher. Er hüpfte nicht mehr von einem Fuß auf den anderen, humpelte aber sichtbar und hatte die Lippen schmerzhaft verzogen.

»Wenn du jetzt lachst«, sagte er drohend, »dann bricht hier ein mittlerer Wirbelsturm los.«

»Ich lache ja gar nicht«, grinste Kim. Sturms Miene wurde noch finsterer und Kim drehte sich hastig wieder zu Themistokles und Gorg herum.

Der Zauberer hatte die Arme weiter erhoben und seine Stimme war zu einem monotonen Singsang geworden. Kims Sorge nahm ein wenig ab. Während der letzten Minuten hatte er ernsthaft daran zu zweifeln begonnen, dass Themistokles überhaupt noch dazu in der Lage war, zu zaubern, aber offensichtlich hatte er sich getäuscht. Vielleicht musste man Themistokles einfach nur ein wenig fordern.

Themistokles' Fingerspitzen begannen in einem sanften, bläulichen Licht zu glühen. Das Leuchten breitete sich rasch über seine Hände aus und kroch in die weiten Ärmel seines Nachthemds und plötzlich lag ein Knistern wie von elektrischer Spannung in der Luft.

Über dem Loch entstand ein Glühen. Eine sonderbar geformte, leuchtende Wolke bildete sich, aus der erste, vereinzelte Tropfen fielen und in der Tiefe des Loches verschwanden. Das Tröpfeln nahm rasch zu und wurde zu einem prasselnden Regen.

Gorg beugte sich vor, hielt die Hand in die Regentropfen und zog die Finger stirnrunzelnd zurück. Auf seiner Hand war ein brauner, zähflüssiger Belag zurückgeblieben.

Zögernd führte er die Hand zum Mund, berührte den braunen Belag mit der Zungenspitze und leckte sich dann zu Kims maßloser Überraschung genüsslich die Finger ab.

»Gut«, sagte er. »Wirklich ganz ausgezeichnet. Die beste Karamellschokolade, die ich je gegessen habe.«

»Schokolade?!«, krächzte Kim.

»Hast du schon einmal ein richtig hartes Karamellbonbon gegessen?«, fragte Themistokles. »An dem Zeug kann man sich die Zähne ausbeißen, so hart wird es!«

Kim starrte den Zauberer fassungslos an. Einen Moment lang konnte er sich noch selbst einreden, dass Themistokles vielleicht nur einen Scherz machte, aber ein einziger Blick in Gorgs besorgtes Gesicht machte ihm klar, dass es nicht so war. Gorg deutete ihm mit einer verstohlenen Geste zu schweigen, dann trat er neben Themistokles, legte ihm die Hand auf die Schulter und begann mit leiser Stimme auf ihn einzureden. Kim konnte nicht verstehen, was er sagte, aber nach einigen Augenblicken wurde der Schokoladenregen schwächer und hörte schließlich ganz auf.

Kim ging zu Sturm zurück. »Wie lange ist er schon so?«, murmelte er schockiert.

»Themistokles?« Sturm zuckte mit den Schultern. »Ich kenne ihn nicht anders. Er ist manchmal etwas seltsam.«

»Etwas seltsam? Großer Gott, Sturm - Themistokles ist eine Witzfigur geworden!«

»Lass ihn das bloß nicht hören«, sagte Sturm. »Sonst verwandelt er dich in einen Grashüpfer.«

»Ich meine es ernst, Sturm!«, sagte Kim. »Du kennst Themistokles nicht, wie er früher war! Er war ein beeindruckender Zauberer. Eine königliche Gestalt! Jetzt ist er ...«

»Ein alter Mann«, unterbrach ihn Sturm. »Wir alle werden einmal alt. Auch du.«

»Aber nicht so«, beharrte Kim. »Und nicht so schnell!«

Sturm sagte nichts mehr und Kim drehte sich wieder um und sah zu Themistokles und dem Riesen hin. Das Bild hatte sich geändert: Themistokles stand noch immer mit hoch erhobenen Armen am Rande der Grube, aber er ließ nun keine Schokolade mehr in das Loch hinabregnen. Vielmehr zuckten aus seinen Fingerspitzen blauweiße, grelle Funken, die sich zu dünnen Blitzen verästelten und mit einem hellen Zischen in dem Loch in der Erde verschwanden. Nach einer Weile wandte sich Gorg um und kam mit schnellen Schritten auf sie zu.

»Anscheinend hat er wieder zu sich gefunden«, sagte er. »Für einen Moment war ich wirklich in Sorge.«

»Was war denn los?«, fragte Kim.

Gorg seufzte. »Themistokles wird alt«, sagte er. »Und vergesslich.«

»Themistokles doch nicht!«, protestierte Kim. »Er ist ein Zauberer.«

»- dessen Zauberkraft erlischt«, unterbrach ihn Gorg. »Irgendwann musste es einmal passieren. Niemand ist unsterblich. Auch Zauberer nicht. Nur ist der Zeitpunkt denkbar ungünstig.«

Er seufzte wieder tief und sah dann erneut zu Themistokles hin. Der Zauberer schleuderte noch immer blaues Feuer in die Tiefe des Lochs. Die Luft roch scharf, wie nach einem heftigen Gewitter, und Kim hatte das Gefühl, dass der Boden unter ihren Füßen ganz sacht zu zittern begonnen hätte.

Offensichtlich bildete er sich das auch nicht nur ein, denn nach einer Weile sagte Gorg: »Übertreib es nicht, Themistokles.«

»Ich bin das nicht«, sagte Themistokles. »Aber ich bin auch gleich so weit. Nur noch ein Augenblick und nichts von dieser Welt kann noch durch diesen Tunnel gelangen.« Seine Stimme war wieder ganz klar und so kräftig und selbstbewusst, wie Kim es gewohnt war. Vielleicht war ihre Sorge doch übertrieben gewesen.

Das Zittern des Bodens nahm jedoch nicht ab, sondern ganz im Gegenteil noch zu. Aus dem sanften Vibrieren wurde ein Beben, das sich rasch zu einer Folge gleichmäßiger, fast rhythmischer Stöße steigerte, so als ...

»Da stimmt was nicht«, murmelte Gorg. Und plötzlich schrie er: »Themistokles! Hör auf! Du lockst es damit an!«

Es war zu spät. Etwas Blasses, ungeheuer Großes tauchte aus dem Loch im Boden auf, stieß ein mächtiges Brüllen aus und griff mit fürchterlichen Klauen nach Themistokles. Der Magier taumelte zurück, hatte die Arme aber noch immer erhoben und schleuderte Blitz um Blitz auf die Kreatur, die hoch aufgerichtet und in blaues Feuer gebadet dastand und vor Schmerz und Wut brüllte, sonderbarerweise aber immer noch nicht wirklich zu erkennen war. Kim sah nur gewaltige Klauen, schimmernde Panzerplatten und riesige, mitleidlose Insektenaugen. Und auch die Angst war wieder da, das Gefühl, einem ... Ding gegenüberzustehen, das nicht Teil der Schöpfung, sondern eine Kreatur aus einem vollkommen anderen, feindseligen und unverständlichen Universum war. Kim krümmte sich wie unter Schmerzen und auch Sturm und Gorg rissen schreiend die Arme vor das Gesicht und taumelten zurück. Themistokles stürzte zu Boden. Seine Finger schleuderten noch immer blauweißes Feuer auf die Kreatur und Kim konnte selbst über die große Entfernung hinweg die unvorstellbare Hitze fühlen, die in den Energieblitzen des Zauberers steckte. Das Toben des Ungeheuers nahm jedoch keineswegs ab. Es schien, als würde Themistokles' Angriff die Kreatur noch stärken statt sie zu schwächen.

Gorg schrie wie unter unerträglichen Schmerzen auf und rannte los. Themistokles lag hilflos auf dem Rücken. Die Kreatur beugte sich über ihn, streckte die schrecklichen Klauenhände aus und hatte ihn fast erreicht, als Gorg heran war und den Zauberer einfach in die Höhe riss. Themistokles' Hände sprühten noch immer blaues Feuer. Ein Teil davon streifte Gorg und setzte sein Haar und seinen Bart in Brand. Gorg schlug die Flammen mit einer Hand aus, riss Themistokles mit der anderen in die Höhe und zerrte ihn rücksichtslos mit sich. Die Kreatur brüllte vor Enttäuschung und bäumte sich noch weiter auf, groß, ungeheuer groß und so unvorstellbar hässlich, dass Kims Verstand sich einfach weigerte seine genaue Gestalt zu erkennen.

Endlich erwachte auch Kim aus seiner Erstarrung. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was er tun sollte, aber er rannte trotz seiner panischen Angst einfach los um Themistokles und Gorg irgendwie zu helfen.

Er schaffte nicht einmal die halbe Strecke. Ein plötzlicher, unvorstellbar heftiger Windstoß traf ihn und ließ ihn nach vorne fallen. Er stürzte, schlug instinktiv die Arme über den Kopf und presste sich flach auf den Boden um dem Sturm möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Zwischen den Fingern hindurch sah er zu Gorg und Themistokles hin.