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»Hallo«, sagte er. »Entschuldigt bitte. Ich wollte euch nicht erschrecken.«

»Das hast du nicht«, sagte der Junge - allerdings mit einem Gesichtsausdruck, der mehr als deutlich das Gegenteil behauptete. Das Mädchen fragte: »Wer bist du?«

»Mein Name ist Kim«, antwortete Kim. »Ich bin -«

»Kim?«, unterbrach ihn der Junge. Seine Augen wurden groß. »Du bist Kim? Ich ... ich meine: der Kim?«

»Natürlich ist er das«, sagte das Mädchen und versetzte seinem Begleiter einen derben Ellbogenstoß in die Rippen. »Schau ihn dir doch an! Er sieht genauso aus, wie man sich erzählt!« Sie wandte sich direkt an Kim. »Bitte verzeiht meinem Bruder, dass er Euch nicht gleich erkannt hat, Herr!«, sagte sie.

Und dann machte sie tatsächlich Anstalten, vor Kim auf die Knie zu sinken!

»He, he!«, sagte Kim erschrocken. »Lass das sein! Was soll denn das?«

Das Mädchen hielt verwirrt mitten in der Bewegung inne, sah Kim einen Moment lang fast erschrocken an und richtete sich dann zögernd wieder auf. Ihr Blick glitt unsicher über Kims Gesicht und senkte sich dann hastig wieder.

»Verzeiht«, flüsterte sie. »Ich wollte Euch nicht beleidigen, Herr.«

»Wenn du noch ein einziges Mal Herr zu mir sagt, dann bin ich beleidigt«, antwortete Kim mit übertrieben gespielter Strenge. Er sah jedoch sofort, dass er das besser nicht getan hätte, denn das Mädchen wurde noch blasser und sein Bruder begann immer unruhiger auf seinem Stuhl hin und her zu rutschen und sah aus wie jemand, der sich am liebsten in das nächste Mauseloch verkriechen würde.

»Was soll das?«, fragte er noch einmal, jetzt allerdings in sehr viel sanfterem Ton. »Wieso behandelt ihr mich so ehrerbietig?«

»Nun, weil Ihr ... eben Ihr seid«, antwortete der Junge verwirrt.

»Aha«, sagte Kim.

»Du ... du bist doch Kim, oder?«, fragte der Junge mit einer Spur von Misstrauen in der Stimme. »Ich meine: der Bezwinger der Schwarzen Reiter? Der Held aus der Schlacht um Gorywynn?«

»Nun ja«, sagte Kim. »So könnte man es nennen. Aber das ist doch noch lange kein Grund, vor mir auf die Knie zu fallen.«

»Aber du bist ein Held!«, sagte das Mädchen. Ihre Stimme bebte vor Ehrfurcht und Kim musste zu seiner Überraschung feststellen, dass er das Gefühl, bewundert zu werden, durchaus genoss. Vor allem, als der Junge mit großen Augen hinzufügte:

»Wir kennen alle deine Abenteuer! Unsere Eltern haben uns von deinen Heldentaten erzählt. Ohne dich wäre Märchenmond verloren gewesen!«

»Zweimal«, sagte seine Schwester.

»Wahrscheinlich ist das meiste hoffnungslos übertrieben«, sagte Kim mit schlecht geschauspielerter Bescheidenheit. »Glaubt nur die Hälfte von dem, was ihr hört... Wo sind eure Eltern überhaupt?«

»Mutter ist auf den Markt gegangen um Lebensmittel zu kaufen«, sagte das Mädchen. »Falls es noch welche gibt. Es kommen nicht mehr viele Händler in die Stadt.«

»Unser Vater ist Hauptmann der Palastwache«, fügte der Junge mit hörbarem Stolz hinzu. »Ist es wahr, dass es eine große Schlacht geben wird?«

»Wer sagt das?«, fragte Kim.

»Alle«, antwortete der Junge. »Vater hat erzählt, dass Kais Krieger den Palast stürmen werden. Aber sie werden sich blutige Köpfe holen!« In seinen Augen erschien ein kampflustiges Funkeln. »Wir werden sie in die Flucht schlagen, ganz egal, wie viele sie sind!«

Kim zog fragend die Augenbrauen zusammen. »Euer Vater weiß, dass ein Kampf bevorsteht?«, fragte er zweifelnd. »Und er erlaubt trotzdem, dass ihr hier im Palast bleibt? Weiß er denn nicht, wie gefährlich das ist?«

»Aber wohin sollten wir denn gehen?«, fragte das Mädchen. »Nur Gorywynn ist vor dem unheimlichen Einfluss sicher. Wenn wir die Stadt verlassen, dann würden wir uns sofort Kais Armee anschließen.«

»Und wir wollen nicht gegen unsere Eltern kämpfen«, fügte der Junge hinzu. »Außerdem werden wir gewinnen, jetzt, wo Ihr ... ich meine, wo du bei uns bist! Ganz egal, wie groß die Übermacht auch ist! Wir werden den Feind schlagen, genau wie damals bei der ersten Schlacht um Gorywynn!«

»In dieser Schlacht sind viele meiner Freunde gestorben«, sagte Kim traurig. »Manche waren kaum älter als du. Und wir haben diese Schlacht nicht gewonnen, weißt du? Wir haben sie verloren und den Krieg deshalb gewonnen.«

»Das verstehe ich nicht«, antwortete der Junge.

»Gewalt ist niemals eine Lösung«, sagte Kim. »Manchmal geht es nicht ohne Gewalt, so traurig das ist, aber am Ende richten sich die Waffen fast immer gegen die, die sie erhoben haben.« Er schüttelte rasch den Kopf, als der Junge etwas sagen wollte. »Geht und sucht eure Eltern. Sagt ihnen, dass ihr mit mir gesprochen habt und dass ich sie bitte, euch aus der Stadt zu bringen, solange sie es noch können. Oder wenigstens aus dem Palast.«

»Aber wir wollen nicht davonlaufen!«, protestierte der Junge. »Sagt es ihnen einfach«, sagte Kim. Dann drehte er sich auf dem Absatz herum und ging. Er war plötzlich nicht mehr hungrig. Aber er wusste endlich, was er zu tun hatte.

Den ganzen Tag über herrschte ein hektisches Kommen und Gehen im Palast. Gorywynns Einwohnerzahl mochte auf einen Bruchteil dessen zusammengeschmolzen sein, was Kim gewohnt war, aber der allergrößte Teil dieser wenigen Zurückgebliebenen musste sich im Laufe des Tages im Palast des Zauberers eingefunden haben.

Kims Freude darüber währte jedoch nicht lange. Fast alle Stadtbewohner, die er sah, kamen in Waffen. Die Zahl der Posten, die hinter den Zinnen der Wehrmauer patrouillierten, nahm beständig zu, und auch im Hof waren immer mehr Bewaffnete zu sehen; Männer, Frauen, aber auch sehr viele Jungen und Mädchen, von denen etliche noch jünger zu sein schienen als die, mit denen Kim am Morgen gesprochen hatte. Auch Twix brachte keine guten Nachrichten. Die Situation war noch viel schlimmer, als Kim nach Wolfs Worten erwartet hatte. Vor Gorywynns Mauern musste eine ganze Armee lagern, die nach Tausenden zählte; wenn nicht nach Zehntausenden.

Es war bereits später Nachmittag - vielleicht zwei Stunden bis Sonnenuntergang -, als er Themistokles wieder traf. Kim war in den Hof hinuntergegangen um noch einmal die Stelle zu inspizieren, an der das Ungeheuer aufgetaucht war. Das gewaltige Loch in den gläsernen Fliesen war mittlerweile vollkommen geschlossen. Sturms Wirbelwind hatte seine Wände einbrechen lassen und Gorg hatte einen Teil seiner Männer angewiesen, den verbliebenen Trichter mit Schutt zu füllen und ein provisorisches Pflaster darüber anzubringen. Natürlich war die Stelle noch deutlich zu erkennen. Und noch viel deutlicher zu spüren.

Kim hätte den Ort selbst mit verbundenen Augen wieder gefunden. Es war, als hätte das Geschöpf irgendetwas zurückgelassen. Er konnte nicht sagen, was. Es gab für das Gefühl, das ihn erfüllte, kein Wort in seiner Sprache; vielleicht in keiner Sprache. Aber es war da, zu deutlich um es zu ignorieren oder auch nur als bloße Einbildung abzutun. Das Gefühl war so intensiv, dass es fast wie etwas körperlich Greifbares in der Luft zu hängen schien. Es kostete ihn enorme Mühe, sich aus dem Bann dieser unheimlichen Empfindung zu lösen und herumzudrehen.

Themistokles stand hinter ihm. Kim konnte nicht sagen, wie lange schon, denn der Zauberer hatte sich entweder vollkommen lautlos bewegt oder Kim hatte sich so auf die Erinnerung an die letzte Nacht konzentriert, dass er ihn gar nicht wahrgenommen hatte.

»Du kannst es auch nicht vergessen, wie?«, fragte Themistokles. Seine Stimme war sehr leise, fast nur ein Flüstern, und in seinen Augen stand ein Ausdruck, den Kim eindeutig für Angst gehalten hätte, hätte er nicht zugleich ganz genau gewusst, dass Themistokles vor nichts und niemandem Angst hatte.

»Nein«, antwortete Kim. »Hast du etwas herausgefunden?«

Themistokles machte eine Geste zu der versiegelten Stelle im Boden. »Über das Geschöpf?« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe die ganze Nacht über geforscht. Ich habe die ältesten Aufzeichnungen gelesen, die geheimsten Bücher und selbst die verbotenen Schriften aus Morgon, doch ich habe nirgends auch nur den geringsten Hinweis gefunden. Niemand hat je von einem solchen Wesen gehört, geschweige denn es gesehen.«