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»Vielleicht hat es nur nie jemanden gegeben, der eine Begegnung mit einem solchen Ungeheuer überlebt hat um davon zu berichten«, sagte Kim. Er schauderte schon wieder, selbst bei der bloßen Erinnerung an die vergangene Nacht. »Es war fürchterlich. Ich habe nie etwas Schrecklicheres gesehen.«

»Ich auch nicht«, gestand Themistokles. »Und doch frage ich mich, ob wir ihm nicht unrecht tun.«

»Diesem ... Ungeheuer?«, murmelte Kim.

»Vielleicht kommt es uns nur wie ein Ungeheuer vor«, sagte Themistokles leise, »weil es so vollkommen fremd ist. So gänzlich anders als alles, was wir kennen. Die Menschen fürchten nichts so sehr wie das Unbekannte, weißt du?«

Er lächelte, machte eine rasche Handbewegung und fuhr in verändertem Ton fort: »Doch ich bin nicht gekommen um zu philosophieren. Gorg hat mich gebeten mit dir zu reden. Er meint wohl, dass du eher auf mich als auf ihn hören wirst.«

»Und was will er von mir?«, fragte Kim.

»Der Tag neigt sich«, antwortete Themistokles, »und damit läuft auch Kais Ultimatum ab. Wir müssen damit rechnen, dass er seine Drohung wahr macht und uns angreift. Du hast gesehen, dass fast alle Einwohner Gorywynns schon hier sind, und die, die sich noch in der Stadt aufhalten, werden wohl auch noch kommen. Gorg glaubt, dass wir Kais Angriff standhalten können. Trotzdem möchte er - und ich auch -, dass du dich an einen sicheren Ort begibst.«

»Ich soll mich verstecken, während ihr -«, begann Kim, wurde aber sofort wieder von Themistokles unterbrochen.

»Gorg sagte mir, dass du so reagieren würdest«, sagte der Zauberer. »Du hast gesehen, dass viele Kinder und Alte unter den Flüchtlingen sind. Sie können nicht kämpfen und es gibt auch nichts, wohin sie flüchten können. Jemand muss auf sie Acht geben.«

»Eine elegante Methode, mich loszuwerden«, sagte Kim böse. »Es tut mir Leid, wenn du es so siehst«, erwiderte Themistokles. »Ich werde versuchen noch einmal mit Kai zu reden. Vielleicht lässt sich der Kampf doch noch verhindern - auch wenn ich keine große Hoffnung mehr habe, wenn ich ehrlich bin. Kai will den Kampf. Er hat nur auf einen Vorwand gewartet.«

Kim antwortete nicht mehr. Er hatte das Gefühl, dass Themistokles ihm etwas verschwieg. Er war nicht hergekommen um mit ihm über die vergangene Nacht zu reden und auch nicht um ihm Gorgs Wunsch mitzuteilen, sondern aus einem vollkommen anderen Grund.

Aber er wartete vergeblich darauf, dass Themistokles ihm diesen mitteilte.

»Gorg erwartet dich in einer Stunde in der großen Halle«, sagte der Zauberer nur. »Bitte sei pünktlich. Wir haben nicht viel Zeit.«

Damit wandte er sich um und ging. Kim wartete, bis er außer Hörweite war, dann warf er einen aufmerksamen Blick in die Runde. Der Hof war voller Menschen, aber weder Gorg noch sonst jemand, den er gekannt hätte, war in der Nähe. Das massive Tor stand weit offen. Kim blickte es einen Moment lang nachdenklich an, dann drehte er sich herum und ging mit schnellen Schritten in sein Zimmer zurück.

Ungefähr zu dem Zeitpunkt, zu dem Gorg in der großen Halle des Palastes stehen und auf ihn warten musste, näherte sich Kim der Stadtmauer Gorywynns.

Die Stadt war mittlerweile wirklich ausgestorben. Wie Themistokles gesagt hatte, waren die wenigen Menschen, die noch in Gorywynn lebten, ausnahmslos in den Schutz des Palastes geflohen. Selbst der Markt, auf dem er die freundlichen Menschen getroffen hatte, war nun verlassen.

Kim war allein. Er hatte weder dem Pack noch der Spinne etwas von seinem Plan verraten, sondern in aller Heimlichkeit seine Sachen gepackt, sich in einen einfachen Umhang gehüllt und war aus dem Palast geschlichen - was ihm erstaunlich leicht gefallen war, denn es herrschte noch immer ein reges Kommen und Gehen. Wahrscheinlich war sein Fehlen bisher noch nicht einmal aufgefallen.

Trotzdem hatte er sich wie ein Dieb auf der Flucht durch die Stadt geschlichen. Er hatte breite Straßen und erst recht Plätze gemieden und war durch Hinterhöfe und schmale Gassen geschlichen, wo es nur ging, und immer wieder hatte er Twix losgeschickt um nach Verfolgern Ausschau zu halten. Er hatte auch sie nicht in seinen Plan eingeweiht, die Elfe aber trotzdem mitgenommen. Sie zurückzulassen hätte schließlich nicht weniger als ihren sicheren Tod bedeutet.

Nun hatte er das Tor fast erreicht. Es begann zu dämmern und er hätte Twix nicht gebraucht um zu wissen, wo Kais Armee zu finden war. Er konnte den Lärm des Lagers bereits hören, und über der zinnengekrönten Mauer vor ihm war der Himmel dunkel vom Rauch zahlloser Feuer.

Seine Schritte wurden immer langsamer, je weiter er sich dem Tor näherte. Er hatte Angst vor dem, was vor ihm lag, und was viel schlimmer war: Er war ganz und gar nicht sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Was, wenn Gorg und Themistokles mit ihrer Befürchtung Recht hatten und Kai den Palast trotzdem stürmte?

Er verscheuchte den Gedanken und wandte sich an Twix, die wie üblich auf seiner Schulter saß. »Flieg los«, sagte er. »Ich warte hier.«

»Bist du sicher, dass sie mir nichts tun werden?« piepste die Elfe ängstlich. »Sie hassen alles, was mit der alten Magie zu tun hat. Und ich bin ein magisches Wesen.«

Es wäre leicht gewesen, Twix zu belügen. Die Elfe vertraute ihm bedingungslos. Aber er brachte es nicht übers Herz.

»Nein«, antwortete Kam ehrlich. »Ich bin nicht sicher. Aber wir haben keine andere Wahl. Sag ihm, dass er ohne Begleitung kommen soll.«

»Bist du denn sicher, dass er dir nichts tut?«, fragte Twix.

»Nein«, antwortete Kim.

»Dann gehen wir ja beide dasselbe Risiko ein, nicht wahr?«, sagte Twix achselzuckend. Sie schwang sich in die Luft und verschwand in Richtung Stadtmauer. Kim sah ihr nach, bis sie zu einem Punkt zusammengeschrumpft und schließlich ganz verschwunden war. Dann zog er sich in den Schutz einer Toreinfahrt zurück und wartete.

Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, bis er endlich wieder ein Geräusch hörte.

Nur war es nicht das Geräusch, auf das er gewartet hatte.

Er hörte Hufschlag.

Kim runzelte ärgerlich die Stirn. Das metallische Klappern war noch weit entfernt, aber er konnte trotzdem nicht überhören, dass es das Geräusch einer großen Anzahl Pferde war; ein Dutzend, wenn nicht mehr. Er hatte zur Bedingung gemacht, dass Kai allein kam.

Vorsichtig spähte er aus seiner Deckung heraus und stellte überrascht fest, dass der Bereich vor dem offen stehenden Stadttor leer war.

Das Geräusch kam aus der entgegengesetzten Richtung.

Kim begriff gerade noch rechtzeitig, was dieser vermeintliche Widerspruch bedeutete. Er bemerkte eine Bewegung aus den Augenwinkeln, duckte sich hastig wieder in den Schatten des gemauerten Torgewölbes und sah mit klopfendem Herzen und angehaltenem Atem zu, wie mindestens ein Dutzend schwer bewaffneter Reiter an seinem Versteck vorübersprengten. Angeführt wurden sie von niemand anderem als Gorg, dem Riesen.

Kims Herz begann noch heftiger zu schlagen, als er sah, wie die Reiter praktisch unmittelbar vor seinem Versteck ihre Pferde zügelten.

»Wir können nicht weiter!«, rief einer der Männer. »Kais Truppen lagern auf der anderen Seite der Mauer! Wenn sie uns bemerken, werden sie glauben, dass wir sie angreifen!«

Gorg starrte einige Augenblicke mit finsterem Gesicht ins Leere. »Vielleicht sollten wir das sogar tun«, grollte er. »Das wäre wahrscheinlich das Letzte, womit sie rechnen.«

»Wir müssen zurück, Herr«, sagte einer seiner Begleiter. »Die Sonne sinkt! Sie werden bald die Palasttore schließen.«