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Juran drückte die Stirn gegen das kühle Glas.

Also müssen wir Leiard töten. Wir haben keine andere Wahl.

Falls er tatsächlich ein neuer Wilder ist.

Wie können wir uns davon überzeugen, dass es sich tatsächlich so verhält?

Wir werden ihn genau beobachten. Du solltest Auraya und die anderen Weißen noch nicht auf die Möglichkeit hinweisen, dass er ein Wilder sein könnte. Leiard hat sich erboten, sie in der magischen Heilung zu unterweisen. Das würde einer Gedankenverbindung bedürfen, die es uns ermöglichen könnte, den Schild zu durchdringen, mit dem er seinen Geist verbirgt. Wir müssen wissen, ob er tatsächlich Mirar ist, bevor wir zuschlagen.

Wann wird das geschehen?

Das haben wir noch nicht entschieden. Es gibt gewisse Risiken. Wir werden zuerst nach anderen Möglichkeiten Ausschau halten, seine wahre Identität zu enthüllen. Wenn wir zu einer Entscheidung gekommen sind, werden wir es dich wissen lassen. Gute Nacht, Juran.

Juran wandte sich vom Fenster ab und ging zu dem Schrank hinüber, in dem er die Getränke für Gäste aufbewahrte. Er schenkte sich ein Glas torenischen Tipli ein. Obwohl er davon nicht betrunken werden konnte, kippte er den Inhalt herunter und schenkte sich dann noch einmal ein. Der scharfe Geschmack war ebenso ermutigend wie erfrischend.

Ich hoffe um Aurayas willen, dass du dich irrst, Huan.

Die Göttin antwortete nicht.

Teil 3

34

Von oben betrachtet sahen die blauen Seen Sis wie glitzernde, auf silberne Fäden gezogene Juwelen aus. Der See, auf den Auraya zusteuerte, war wie eine Mondsichel geformt. Als sie genauer hinschaute, bemerkte sie kleine Boote auf dem Wasser. Zuerst war sie erstaunt gewesen zu entdecken, dass die Siyee sich ebenso gut auf das Segeln und Fischen verstanden wie die Landgeher. Sie waren ein Volk des Himmels, aber das bedeutete nicht, dass sie kein Boot zu steuern und kein Netz einzuholen wussten.

Ungewöhnlicher war der Anblick des flachen, bebauten Landes um den See herum. Der Stamm vom Blauen See lebte ein gutes Stück landeinwärts von der Grenze zu Si und hatte es daher nicht nötig gehabt, sein bebaubares Land von den torenischen Siedlern zurückzufordern. Es schien, als sei der Wald in diesem Gebiet schon vor langer Zeit gerodet worden, um Getreide anbauen zu können. Die Reihen waren dunkelgrün von dem belaubten Wintergetreide, das die Siyee in jedem Herbst aussäten, um den Boden zu verbessern.

Während der vergangenen zwei Monate hatte Auraya beobachtet, wie sich das Land und seine Bewohner für den Winter rüsteten. Nahrungsvorräte wurden sorgfältig gelagert, Lauben wurden instand gesetzt und warme Kleider gewebt. Die Lauben hier waren nicht um Bäume in der Mitte herumgebaut, um Festigkeit zu erhalten. Sie flog auf die größte der Lauben zu, weil sie vermutete, dies sei ein Versammlungsort oder zumindest das Haus des Dorfsprechers.

Man musste sie wohl gesehen haben, da im nächsten Moment Pfiffe die Luft erfüllten und etliche Siyee von den Feldern und aus den Lauben auf sie zukamen. Sie steuerten auf eine hölzerne Plattform zu, daher änderte auch sie jetzt ihre Richtung.

Als sie landete, wurden Pfiffe und Willkommensrufe laut. Zu ihrer Erleichterung machte der größte Teil des Stammes einen guten Eindruck. Der Sprecher kam aus der großen Laube, die, wie Auraya in seinen Gedanken las, ein Lagerraum für die Erzeugnisse des Stammes war.

»Willkommen im Dorf vom Blauen See, Auraya von den Weißen. Ich bin Sprecher Dylli.« Der Stammesführer nahm einen Becher Wasser von einer der Dörflerinnen entgegen, dann den traditionellen Begrüßungskuchen von einer anderen und reichte beides an Auraya weiter.

Sie aß den Kuchen und nippte an dem Wasser. »Ich bin froh, festzustellen, dass ihr alle einen gesunden Eindruck macht.«

Die Miene des Sprechers wurde ernst. »Wir trauern um neun Stammesmitglieder, Frauen und Kinder, aber wir hätten viel mehr Menschen verloren, hätten wir nicht deinen Rat befolgt, wie wir verhindern können, dass die Krankheit sich ausbreitet. Und natürlich hat uns der Traumweber geholfen.«

Auraya lächelte. »Wilar. Ich hatte gehört, dass er in euer Dorf reisen würde, was der Grund ist, warum ich nicht früher gekommen bin. Ihr seid in guten Händen. Ich würde ihn gern sehen.«

»Dann werde ich dich zu ihm bringen.«

Er bedeutete ihr, ihm zu folgen, und führte sie von der Plattform weg. Als er ihren neugierigen Blick auffing, lachte er leise.

»Die meisten Stämme leben auf Bäumen oder auf unebenem Grund wie im Offenen Dorf. Unser Land hier ist flach. Für die Ältesten unter uns ist es recht anstrengend, sich vom Boden zu erheben, daher haben wir diese Plattform für sie gebaut.«

Auraya nickte. Obwohl die Siyee sich in die Luft erheben konnten, indem sie Anlauf nahmen und hochsprangen, kostete diese Methode doch viel Energie. Es war leichter, sich von einem Ast oder einem Kliff fallen zu lassen, insbesondere für die älteren Menschen. Die Plattform erfüllte denselben Zweck.

Die Menge schloss sich ihnen an, und vor allem die Kinder plapperten munter drauflos. Am Rand der Felder waren drei neue Lauben errichtet worden. Die Erwachsenen in der Menge blieben mehrere Schritte davon entfernt stehen und befahlen den Kindern, bei ihnen zu bleiben. Auraya und der Sprecher setzten ihren Weg fort.

»Ich bin nicht krank gewesen, daher muss ich mich fernhalten«, sagte er. »Bitte, grüße Traumweber Wilar von mir.«

Sie lächelte und nickte. »Ich werde deine Grüße ausrichten. Wenn ich euch irgendwie helfen kann, werde ich es tun.«

Er neigte zum Dank den Kopf. Sie wandte sich ab und ging zu der Laube hinüber, wobei sie sich Zeit ließ, um die Gedanken der Menschen darin zu lesen. Nach dem gesunden, fröhlichen Eindruck, den der Rest des Stammes gemacht hatte, waren das Unbehagen, der Schmerz und die Furcht der kranken Siyee ein Schock. Einen Moment später fand sie, wonach sie gesucht hatte: das Bewusstsein eines Siyee von der Anwesenheit des Mannes, den sie selbst nicht wahrnehmen konnte. Sie blieb vor der Laube stehen.

»Darf ich hereinkommen?«

Es folgte eine Pause, dann antwortete eine vertraute Stimme: »Natürlich, Auraya.«

Beim Klang seiner Stimme wurde ihr leichter ums Herz. Sie schob den Türbehang beiseite und trat in einen schwach beleuchteten Raum. Zwischen einem dicken Pfosten in der Mitte und den Außenbalken der Laube hingen, jeweils zwei auf einer Seite, vier Betten. Neben einem der Betten stand Leiard und fütterte eine Frau mit einer Flüssigkeit aus einer Schale. Er blickte einmal zu Auraya hinüber, dann setzte er seine Arbeit fort.

»Sieh dich ruhig um«, lud er sie ein.

Sie ging von Bett zu Bett und untersuchte jeden der Patienten. Sie befanden sich im schlimmsten Stadium der Krankheit, aber ihre Körper kämpften dagegen an, und sei es auch noch so mühsam.

»Diejenigen, die bereits auf dem Weg der Besserung sind, sind in der Laube zu unserer Linken untergebracht, und die Übrigen, deren Körper der Krankheit keinen Widerstand leisten können, befinden sich in der anderen«, murmelte Leiard.

Als sie seine Schritte hörte, blickte sie auf. Er ließ den Löffel und die Schale in ein großes steinernes Behältnis mit Wasser fallen, dann hielt er einen Moment lang inne, um das Wasser anzustarren. Es begann zu dampfen und schließlich Blasen zu werfen. Er ließ es schwach weiterköcheln, ging zur Tür und drehte sich zu Auraya um.

»Möchtest du mehr sehen?«, fragte er.

Als sie ihm nach draußen folgte und sie zu einer anderen Laube hinübergingen, bemerkte sie, dass eine Handvoll Siyee-Kinder sie aus einiger Entfernung beobachtete.

Auraya brauchte einen Moment, um die Szene zu erfassen. Im Gegensatz zu der ersten Laube fanden sich in dieser etliche Möbelstücke. Ein gesund aussehender Siyee saß im Schneidersitz in der Mitte des Raums und arbeitete an einem Pfeilgeschirr. Ein anderer saß vor einem Webstuhl und bediente ihn mit erstaunlicher Schnelligkeit. Zwei Frauen bereiteten Krüge mit eingekochten Früchten vor, und im hinteren Teil des Raumes spielten zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen. Als Auraya und Leiard eintraten, blickten sie alle auf.