Sie hatte es nicht eilig, denn auf diese Weise konnte sie den Augenblick hinauszögern, da sie ihr Boot weggeben musste. Nur allzu bald näherte sie sich einer Anlegestelle und warf den Hafenjungen ihre Leine zu. Die Jungen zogen ihr Boot heran und machten es mit geübten Bewegungen an den Pollern fest. Sie ging an Land, warf ihnen einige Münzen zu und fragte, wo die Bootsschlepper zu finden seien.
Sie hatten ihren Stützpunkt in einem Schuppen am Hafenbecken. Als Emerahl eintrat, spürte sie, wie die Stimmung der Männer sich veränderte: Ihre Habgier war förmlich mit Händen zu greifen. Bei einigen Bechern eines heißen, bitteren einheimischen Gebräus überzeugte sie sie davon, dass eine Frau genauso gut feilschen konnte wie ein Mann, doch obwohl sie wusste, dass sie sie so weit wie möglich auf einen angemessenen Preis herunterhandelt hatte, war die Summe für ihre Börse noch immer zu groß.
Als Nächstes suchte sie einen Käufer für ihr Boot und musste dabei feststellen, dass es für solch kleine Boote wie ihres kaum Nachfrage gab. Der Hauptverwendungszweck für Boote hier in der Gegend war der Transport von Waren, und dafür war ihres zu winzig. Ein Mann war jedoch bereit, ihr eine erbärmliche Summe dafür zu zahlen. Sie vereinbarte mit ihm ein Treffen später am Tag, so dass er das Boot in Augenschein nehmen konnte.
Etliche Stunden waren verstrichen. Sie hatte dem einheimischen Markt einen Besuch abgestattet, um einen Teil ihrer Barschaft gegen die einheimische Währung einzutauschen, den Kanar. Auf dem Markt kaufte sie außerdem etwas zu essen und einen Krug Kahr, den hier getrunkenen Schnaps, bevor sie halbherzig versuchte, ihre Dienste als Heilerin anzubieten. Mehrere Heiler, die bereits auf dem Markt arbeiteten, beobachteten sie mit feindseligen Blicken. Sie wusste, dass sie nicht lange unbehelligt bleiben würde. In Sennon konnte jeder leben, wie er es wünschte, und anbeten, wen oder was er wollte, solange er keine der grundlegenden Gesetze des Landes brach. Auf dem Weg zum Markt hatte sie ein Traumweberhaus und viele Traumweber gesehen. In Toren hatten die Menschen sie von sich aus um Hilfe gebeten, hier ignorierten sie sie, offenkundig zufrieden mit den Heilern am Ort.
Also muss ich ihre Aufmerksamkeit mit besseren oder mit weniger verbreiteten Dingen erregen, überlegte sie.
»Wundermittel gegen Unfruchtbarkeit«, rief sie in die Menge. »Kuren zur Entfernung von Narben. Aphrodisiaka.«
Ein Mann und eine Frau wandten sich zu ihr um. Die Frau trug ein Baby auf dem Arm, und der Mann hielt die Hand eines kleinen Jungen. Die beiden tauschten einen Blick und eilten auf sie zu. Emerahl fragte sich, welchen der drei angepriesenen Dienste sie erbitten würden. Eine Fruchtbarkeitsbehandlung schienen sie nicht nötig zu haben. Vielleicht würden sie Aphrodisiaka wollen, aber die Kur zur Entfernung von Narben war ebenso wahrscheinlich.
»Bist du Emmea, die Heilerin, die ein Boot verkaufen will?«, fragte der Mann und benutzte dabei den Namen, den sie den Bootsschleppern genannt hatte. Seit sie nach Sennon gekommen war, hatte sie sich nicht mehr Limma genannt. Wenn sie jetzt, da sie die andere Seite des Kontinents erreicht hatte, einen anderen Namen benutzte, würde es schwieriger sein, sie aufzuspüren.
Emerahl blinzelte überrascht, dann nickte sie. »Ja. Wollt ihr ein Boot kaufen?«
»Nein«, antwortete der Mann. »Aber ich sollte mich wohl zuerst einmal vorstellen. Ich bin Tarsheni Drayli, und dies ist meine Frau, Shalina. Wir wollen eine Überfahrt für uns und unsere Kinder kaufen.«
Enttäuschung folgte seinen Worten. »Oh. Da kann ich euch nicht helfen. Ich reise nicht nach Westen.«
Der Mann lächelte. »Wir wollen nicht nach Westen, sondern nach Osten.«
»Ich kann euch nicht helfen«, erwiderte sie in entschuldigendem Tonfall. »Ich kann mir keinen Schlepper leisten.«
»Ah, aber den wirst du gar nicht brauchen«, erklärte er. »Es gibt einen schmalen Tunnel durch die Landenge, der vor einigen Jahren geöffnet wurde und nur für kleine Boote passierbar ist. Die Gebühr ist viel geringer als die für die Schlepper.«
»Ist das wahr?« Niemand hatte ihr von diesem Tunnel erzählt, aber es war nicht weiter überraschend, dass die Schlepper diese Möglichkeit lieber verschwiegen. »Wie viel kostet die Durchfahrt?«
»Zwölf Kanar pro Boot«, sagte der Mann.
Emerahl nickte. Sie konnte keine Unehrlichkeit bei ihm spüren. Trotzdem waren zwölf Kanar immer noch zu viel für sie. Sie konnte das Geld aufbringen, aber dann würde sie nichts mehr übrig haben, um sich Proviant zu kaufen – es sei denn, sie nahm diese Leute tatsächlich mit. Sie verfluchte sich im Stillen dafür, dass sie noch nie nach dem Preis für eine Überfahrt auf einem Schiff gefragt hatte. Sie hatte keine Ahnung, wie viel sie von diesen Leuten verlangen konnte.
»Mein Angebot ist Folgendes«, kam der Mann ihr zuvor. »Wir werden die Gebühr für die Fahrt durch den Tunnel bezahlen, und du nimmst uns als Gegenleistung dafür nach Karienne mit.«
Emerahl lächelte. »Das klingt vernünftig. Die Überfahrt auf einem Schiff würde viel mehr kosten als zwölf Kanar.«
Er nickte, und sie spürte keine Gefühle bei ihm, die auf Verrat schließen ließen – nur Hoffnung.
Mit geschürzten Lippen dachte sie über den Handel nach. Der Mann, Tarsheni, beobachtete sie geduldig.
»Ihr müsst euch eigenen Proviant und Wasser mitnehmen. Ich habe kein Geld, um diese Dinge für euch zu kaufen«, warnte sie ihn.
»Das werden wir natürlich tun«, erwiderte Tarsheni.
»Und obwohl ich nicht glaube, dass ihr vorhabt, mir mein Boot zu stehlen, sollte ich euch wohl davor warnen, später auf solche Ideen zu kommen. Meine Gaben sind nicht unbeträchtlich.«
Tarsheni lächelte. »Du hast nichts von uns zu befürchten.«
Emerahl nickte. »Und ihr nicht von mir. Aber ich habe noch eine weitere Frage. Welchen Grund habt ihr für diese Reise?«
Die beiden tauschten einen Blick, und Emerahl spürte Furcht. Sie verschränkte die Arme und sah das Paar erwartungsvoll an. Die Schultern des Mannes sackten herunter.
»Du wirst das vielleicht töricht finden«, sagte er. »Wir haben von einem Mann in Karienne gehört, der von weisen und wunderbaren Dingen weiß. Wir wollen dorthin reisen, um ihn sprechen zu hören.«
Emerahl fing keine Unaufrichtigkeit von ihm auf, vermutete aber, dass die beiden ihr etwas verschwiegen.
»Was ist so Besonderes an diesem Mann?«, erkundigte sie sich.
»Er…«, begann Tarsheni.
»Bist du Zirklerin?«, fragte seine Frau.
Emerahl betrachtete die Frau – Shalina – mit einer Mischung aus Vorsicht und Überraschung.
»Nein«, gab sie schließlich zu und hoffte, dass sie das Geschäft damit nicht verpfuscht hatte.
»Du bist keine Pentadrianerin«, sagte Shalina, und ihre klugen Augen leuchteten. »Bist du eine Heidin oder eine Ungläubige?«
Emerahl hielt dem Blick der Frau stand. »Folgt dieser Mann, den ihr besuchen wollt, einem der toten Götter?«
Shalina schüttelte den Kopf.
»Er sagt, die Götter seien von einem größeren Wesen erschaffen worden«, antwortete Tarsheni an Shalinas Stelle. »Vielleicht irrt er sich. Wir wollen zu ihm reisen, um genau das herauszufinden.«
»Ich verstehe«, erwiderte Emerahl. »Was für eine interessante Idee«, fügte sie ehrlich fasziniert hinzu. Sollte diese Idee allgemeine Verbreitung finden, würde dies vielleicht seit Jahrtausenden die erste neue Religion sein, die sich auf der Welt verbreitete – sofern sie die lange verstorbenen, skrupellosen und unerwünschten Anhänger der alten Hexe, also ihre eigenen, nicht mitrechnete.
»Also«, sagte sie und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die junge Familie, »wann wollt ihr aufbrechen?«
Das Paar grinste breit.
»Wir brauchen lediglich im Gästehaus zu bezahlen und unsere Sachen zu holen«, antwortete Tarsheni. »Und wir müssen etwas Proviant kaufen. Was glaubst du, wie viel wir benötigen werden?«