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Emerahl lächelte. Die beiden waren junge, unerfahrene Reisende und wahrscheinlich an ein behagliches Leben gewöhnt. Sie würden die Reise sehr hart finden, und sie sollte besser dafür sorgen, dass sie gut vorbereitet waren.

»Nehmt genug Vorräte für einige Tage mit – man kann nie im Voraus wissen, wie lange man brauchen wird, um das nächste Dorf zu erreichen. Kauft nichts Verderbliches und gebt Acht, dass alles gut verpackt ist. Es kann sehr heiß auf dem Meer werden, und sollte ein Sturm aufkommen, wird alles nass werden. Habt ihr Ölhäute? Nein? Dann nehmt ihr mich am besten in euer Gästehaus mit. Ich werde mir ansehen, was ihr kauft, und euch erklären, wie ihr es einpacken müsst. Und ihr werdet etwas gegen Seekrankheit benötigen…«

Emerahl, deren Laune eine ungeheure Wendung zum Besseren genommen hatte, geleitete die Familie vom Markt. Sie brauchte ihr Boot nicht herzugeben und würde vielleicht aus dem Transport dieser Familie nach Karienne sogar Gewinn ziehen.

Als Auraya zum Tempelberg zurückkehrte, waren sechs weitere Siyee an der Herzzehre erkrankt, und zwei andere Siyee hatten berichtet, dass Mitglieder ihrer Familie sich die Seuche zugezogen hatten. Auraya hatte ihre neue Gabe des Heilens schon viele Male angewandt, aber den Siyee vom Tempelberg widerstrebte es mehr als den anderen, sich voneinander fernzuhalten. Es gab bereits Zeichen von Neuansteckungen.

Gleichzeitig waren Neuigkeiten von kranken Siyee in Stämmen gekommen, die der Seuche bisher entgangen waren. Auraya war sich nur allzu sehr im Klaren darüber, dass ihre Bemühungen bei Stämmen, die kleiner waren und sich ihren Vorschlägen bereitwilliger fügten, eher Früchte tragen würden, aber sie war fest entschlossen, den Tempelbergstamm in einem besseren Zustand zu verlassen, als sie ihn vorgefunden hatte.

»Die Krankheit ist fest entschlossen, einen jeden von uns auf die Probe zu stellen«, sagte Sprecher Ryliss mutlos, während er den Ölbrenner wieder auffüllte.

»Das wird sie tun, wenn man ihr die Freiheit lässt, sich auszubreiten«, pflichtete Auraya ihm bei.

»Wie können wir das verhindern?«

»Schick jeden fort, der von der Krankheit genesen ist.«

Er runzelte die Stirn. »Du hast gesagt, man könne sich nicht an jenen anstecken, die sich zur Gänze von der Krankheit erholt haben. Ich würde Leute fortschicken, die hier keine Gefahr für andere darstellen.«

»Aber sie nehmen zu viel Platz ein und hindern uns daran, die Kranken richtig zu isolieren. Wenn du diejenigen fortschicken würdest, die noch nicht krank waren, gehst du das Risiko ein, dass einige von ihnen den Krankheitskeim in sich tragen, ohne dass sie bisher Symptome gezeigt hätten.«

»Aber… ist das wirklich notwendig?«

»Dein Dorf ist übervölkert«, erklärte sie ihm nicht zum ersten Mal.

»Es ist bei uns doch gewiss nicht schlimmer als anderswo.«

»Die meisten Dörfer sind im letzten Jahr kleiner geworden, weil sie Mitglieder ihrer Gemeinschaft im Krieg verloren haben. Viele Siyee sind erst kürzlich zu eurem Stamm gestoßen, nicht wahr?«

Ryliss nickte. »Ja. Sie sind hergekommen, um mehr über die Götter zu erfahren und ihnen zu dienen.«

Sie sah ihn überrascht an. »Warum sind sie nicht zu den Priestern im Offenen Dorf gegangen?«

Er zuckte die Achseln. »Sie sind hergekommen, bevor die Priester ankamen. Und… nichts für ungut, aber einige Siyee sind der Meinung, dass sie von anderen Siyee die uns gemäße Art der Huldigung erlernen sollten.«

Sie lächelte. »Das verstehe ich. Würde es helfen, wenn zirklische Priester hierherkämen? Wären die Wächter bereit, an der Seite von Landgehern zu unterrichten?«

»Ich werde sie fragen.«

»Danke.« Auraya wandte sich von einem Patienten ab und ging zum nächsten hinüber. »Diese Neuankömmlinge sind jung und stark. Ihre Körper kämpfen gegen die Krankheit.« Sie richtete sich auf und sah ihm in die Augen. »Also, wirst du einige Leute fortschicken?«

Ein Ausdruck tiefen Widerstrebens legte sich über seine Züge, aber Auraya hörte seine Antwort nicht. Eine andere Stimme drang in ihren Geist.

Auraya. Komm zum Tempel.

So plötzlich, wie sie gekommen war, zog Huan sich aus ihrem Geist zurück. Ryliss redete noch immer. Und fand noch immer Entschuldigungen für seinen Standpunkt, wie sie feststellte.

»Es tut mir leid, Sprecher«, unterbrach sie ihn. »Ich muss dich jetzt allein lassen. Huan hat mich gerufen.«

Seine Augen weiteten sich. »Dann solltest du sie nicht warten lassen.«

»Nein.« Sie verließ den Raum und trat in einen Gang hinaus. Das Höhlensystem war flach, und wenige Momente später stand sie auch schon im Freien. Sie blickte zum Himmel auf und überzeugte sich davon, dass kein anderer Siyee aus einer Öffnung in den Klippen über ihr sprang und mit ihr zusammenstoßen konnte, dann konzentrierte sie sich auf ihr Gefühl für die Welt und ließ sich auf die am nächsten liegenden Berge zuschweben.

Wind umpeitschte ihr Gesicht, kühl und angenehm. Als sie näher kam, konnte sie die Umrisse des Tempels erkennen. Obwohl sie ihn inzwischen mehrmals gesehen hatte, erfüllte der Anblick des kleinen, aus dem Berggipfel geschlagenen Gebäudes sie noch immer mit Staunen. Wie dieser Tempel erbaut worden war, war ein Rätsel. Ryliss hatte ihr erzählt, dass er weit älter war als die Rasse der Siyee. Wer immer ihn geschaffen hatte, musste entweder ein geübter Kletterer oder des Fliegens fähig gewesen sein. Warum der Tempel erbaut worden war, war ein noch größeres Rätsel.

Fünf Säulen trugen ein Kuppeldach. Auraya landete in der Mitte des kreisförmigen Bodens. Sie holte tief Luft und sah sich um; ihr Herz schlug schneller vor Erregung. Obwohl sie sich an Chaias Gegenwart gewöhnt hatte, erfüllte die Aussicht auf eine persönliche Begegnung mit den anderen Göttern sie noch immer mit einer Mischung aus Begeisterung und Furcht.

Huan, ich bin hier, rief sie.

Auraya konzentrierte sich auf ihre Wahrnehmung der Magie um sie herum. Sie spürte, wie eine Präsenz mit großer Geschwindigkeit näher kam. Die Magie in der Welt geriet um die Göttin herum in Aufruhr, und Auraya musste dem instinktiven Drang widerstehen zurückzuweichen. Nur wenige Schritte von ihr entfernt endete das Phänomen abrupt, und die Luft begann zu schimmern. Das Licht formte die Gestalt einer Frau mit strengen Zügen. Auraya warf sich vor ihr nieder.

Erhebe dich, Auraya, sagte Huan. Wir haben eine Aufgabe für dich.

»Was soll ich tun?« Auraya stand auf.

Wir haben einen großen Fehler entdeckt, der vor langer Zeit begangen wurde. Du musst dieses Missgeschick korrigieren – aber sei gewarnt: Es wird weder einfach noch angenehm sein. Wir haben in Erfahrung gebracht, dass ein Feind, den wir lange für tot hielten, noch lebt. Und er lebt nicht nur, er hat sich auch in die Angelegenheiten der Welt eingemischt.

Aurayas Herz setzte einen Schlag aus, als ihr bewusst wurde, wer dieser Feind sein musste. »Kuar! Aber wie hat er überlebt? Wie soll ich ihn besiegen?«

Es ist nicht Kuar. Wenn Kuar überlebt hätte, würden wir dich nicht gegen ihn in den Kampf schicken. Er war mächtiger als du. Dies ist ein geringerer Feind und ein älterer. Juran war der Letzte, der ihm entgegengetreten ist. Sein Name ist Mirar.

Auraya sah Huan erstaunt an. »Mirar? Wie ist das möglich?« Dann wurde ihr klar, was die Götter von ihr verlangten, und ihr wurde schwer ums Herz. O Leiard. Wirst du mir jemals verzeihen?

Das wird er nicht tun, erklärte Huan ihr. Leiard ist Mirar.

»Leiard?«, rief Auraya. Einen Moment lang konnte sie nicht denken. Dann lachte sie ungläubig auf. »Das kann nicht sein. Ich habe seinen Geist gesehen. Nun, jedenfalls habe ich es getan, bevor er…«

Mirar ist Leiard. Er hat uns getäuscht. Er hat die Weißen getäuscht und, was das Schlimmste von allem ist, er hat dich überlistet und benutzt. Wir sind uns nicht sicher, wie es ihm gelungen ist, sich hinter der Persönlichkeit Leiards zu verstecken, aber wir sind uns ganz sicher, was seine wahre Identität betrifft. Als du dich mit ihm vernetzt hast, um seine heilende Gabe zu erlernen, habe ich die Wahrheit gesehen.