Выбрать главу

Huan hat recht. Meine Fragen können nur unbeantwortet bleiben. Plötzlich hatte sie bloß noch den Wunsch, die Angelegenheit hinter sich zu bringen.

Gut, sagte Huan. Weiteres Gerede würde dich nur verletzbar für einen Hinterhalt machen. Greif ihn sofort an.

Auraya senkte den Blick und zog Magie in sich hinein. Während sie das tat, dachte sie darüber nach, wie sie ihn angreifen sollte. Er musste einen Schild geschaffen haben, der jedoch vielleicht nicht stark genug war, um einen Angriff von großer Macht abzuwehren. Wenn er nicht imstande war, seinen Schild rechtzeitig zu verstärken, konnte alles binnen weniger Sekunden vorüber sein. Sie hörte, wie er einen Schritt auf sie zu machte.

»Es gibt durchaus eine Möglichkeit für dich, herauszufinden…«, begann er.

Ohne aufzusehen, schleuderte sie einen Blitz magischer Gewalt. Er heulte überrascht auf und taumelte rückwärts. Sein Schild hielt der Wucht des Angriffs stand.

»Warte…«, rief er, während er das Gleichgewicht wiedererlangte. »Auraya!«

Sie griff erneut an. Obwohl sie jetzt wusste, wer er wirklich war, erfüllte seine Stärke sie doch mit Überraschung. Sie hatte gewusst, dass Leiard mächtig war, aber nicht so mächtig.

»Was ist mit deinem Versprechen?«, schrie er. »Du hast gesagt, mir würde nichts passieren. Du hast es bei den Göttern geschworen!«

Sie hielt inne, dann schlug sie abermals mit Magie auf ihn ein. »Ich habe geschworen, dass Leiard nichts passieren würde. Du bist nicht Leiard.«

Er setzte sich nicht zur Wehr. Er muss wissen, dass er keine Chance hat zu siegen, dachte sie. Ich brauche lediglich die Stärke meines Angriffs zu erhöhen, bis ich ihn bezwungen habe. Als sie neue Magie in sich hineinzog, trat Entschlossenheit in Mirars Züge, und sie bereitete sich auf einen Gegenangriff vor.

»Aber ich bin Leiard«, sagte er leise. »Es ist an der Zeit, dass du die Wahrheit erfährst.«

Wo nichts gewesen war, war plötzlich ein fremder Geist. Sie sah eine Flut von Bildern und Erinnerungen und spürte Absichten und Gefühle.

Nein!, befahl Huan scharf. Sieh nicht hin!

Es war zu spät. Plötzlich waren Antworten auf alle Fragen da, die Auraya sich gestellt hatte. Mirars Gedankenstimme sprach zu ihr, und sie konnte nicht anders, als zuzuhören.

Dies ist die Art, wie ich gestorben bin

Sie sah Juran kämpfen und spürte Mirars Ungläubigkeit und das Entsetzen über den Verrat, als seine Stärke langsam nachließ. Er rief sich alles ins Gedächtnis, was er getan hatte, und konnte nichts entdecken, was seine Hinrichtung gerechtfertigt hätte. Sein einziges Verbrechen war es gewesen, die Götter zu verärgern. Niemand war gestorben. Niemand hatte Schaden erlitten. Er hatte die Menschen lediglich dazu ermutigt, Fragen zu stellen, und ihnen eine Alternative angeboten. Und so hatten die Götter reagiert…

Sie sah eine gewaltige Explosion von Staub und Stein und spürte ein Echo der Qual, zerquetscht zu werden. Sie verstand, dass Mirar genug Magie in sich hineingezogen hatte, um einen Bruchteil seines Selbst am Leben zu erhalten, und sie begriff auch, dass er den Göttern und Juran entkommen war, indem er seine Persönlichkeit unterdrückt und eine andere erschaffen hatte.

Dies ist es, wozu ich geworden bin.

Nicht der Mann, den sie als Leiard gekannt hatte. Nicht zuerst jedenfalls. Sein Körper war verbogen und vernarbt, sein Gedächtnis verloren, und er war als elender Krüppel in der Welt umhergeschweift. Erst viele Jahre später hatte sein Körper sich erholt. Erst nachdem er nach Jarime gekommen und Traumweberratgeber geworden war, hatte sich seine wahre Identität in ihm geregt.

Dies ist der Grund, warum ich mich erinnert habe.

Sie war es, die seine Tarnung zum Einsturz gebracht hatte. Sein Instinkt, den er zusammen mit Leiard erschaffen hatte, hatte ihn gemahnt, sich von Jarime fernzuhalten, aber das Verlangen, in ihrer Nähe zu sein, war stärker gewesen. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Leiard hatte sie wirklich geliebt. Sie war nicht getäuscht worden. Aber Leiard war nicht real.

Oh doch, das ist er. Dies ist es, wozu ich geworden bin.

Sie sah, was sie zuvor nur hatte erahnen können. Die Netzerinnerungen Mirars waren sein wahres Ich gewesen, das langsam zurückkehrte, aber Leiard hatte ein ganzes Jahrhundert Zeit gehabt, um eine reale Person zu werden. Nach der Schlacht war er mit einer Freundin nach Si gereist. Als sie diese schöne junge Frau sah, durchzuckte Auraya ein Stich der Eifersucht. Wer ist sie? Die Freundin hatte ihm zu begreifen geholfen, dass Leiard nichts sein konnte, was Mirar nicht auch sein konnte. Daraus hatte er nur einen Schluss ziehen können: Wenn Leiard Auraya liebte, dann musste auch er sie lieben. In dem Augenblick, da er dies akzeptiert hatte, war er wieder zu einem ganzen Menschen geworden. Das Wissen, dass er nicht mit ihr zusammen sein konnte, schmerzte, aber nicht minder schmerzte ihn der Gedanke, dass er sie in Schwierigkeiten bringen könnte, daher wollte er Nordithania verlassen, sobald die Siyee genesen waren, und an einen fernen Ort gehen.

Ich bin Leiard, sagte Mirar. Und ich bin Mirar. Keiner von uns ist mehr das, was er einmal war. Aber was wir

Nein! Auraya zuckte zusammen, als Huans Stimme die von Mirar übertönte. Neben ihr blitzte aus dem Nichts eine leuchtende Gestalt auf. Was immer du in diesem vergangenen Jahrhundert gewesen sein magst, du bist deswegen der Verbrechen, die du begangen hast, nicht weniger schuldig.

Welcher Verbrechen?, fragte er trotzig. Klagst du mich des Verbrechens an, lästig gewesen zu sein? Den Menschen eine andere Möglichkeit geboten zu haben, als euch blind zu huldigen? Ihnen von eurer Vergangenheit erzählt zu haben? Du und deine Gefährten, ihr habt weit schlimmere Verbrechen begangen als ich.

Auraya runzelte die Stirn, als sie eine Ahnung von schrecklichen Erinnerungen in Mirars Geist auffing. Er sah sie an und schob die Erinnerungen beiseite.

Ich würde dir diese Dinge zeigen, sagte er, aber damit würde ich dir großen Schmerz bereiten.

Doch nach dem, was sie gesehen hatte, wusste sie, dass er die Götter der Grausamkeit und Ungerechtigkeit für fähig hielt. Außerdem glaubte er, dass er nichts getan hatte, um den Tod zu verdienen.

Darüber hinaus wusste sie, dass er nichts gegen sie oder die Weißen unternommen hatte, das der Gehässigkeit oder einer bösen Absicht entsprungen wäre. Er war umhergeschweift, hatte mit der Rückkehr seiner wahren Identität gerungen und versucht, sein Gleichgewicht zurückzugewinnen.

Auraya!

Sie wandte sich der Göttin zu, benommen von all dem, was sie erfahren hatte.

Ist es ein Verbrechen, einer Seele Unsterblichkeit zu verweigern? Mirar behauptet, er habe den Sterblichen eine Alternative angeboten, aber er kann ihnen kein Leben nach dem Tod anbieten. Wer einen Sterblichen von uns fortlockt, betrügt diesen um die Ewigkeit. Das weißt du.

Mirar schüttelte den Kopf.

Manche Menschen würden diese Möglichkeit vorziehen, statt eine Ewigkeit in Ketten an eurer Seite zu verbringen. Ich mag außerstande sein, ihre Seelen zu erhalten, aber ich kann dieses Ziel auch nicht als Belohnung oder Strafe missbrauchen. Vielleicht sollte ich Auraya tatsächlich einige der Dinge zeigen, die du getan hast

Dinge, die ich in ferner Vergangenheit getan habe. Das Zeitalter der Vielen ist schon lange vorüber, erklärte Huan mit hocherhobenem Kopf. Die Exzesse jener Zeit sind vergessen. Selbst du musst einräumen, dass wir, der Zirkel, während des vergangenen Jahrhunderts eine friedliche, von Wohlstand geprägte Welt geschaffen haben.