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»Du hast gestern Abend gesagt, dieser Gott habe die Welt erschaffen, die Götter und alle Tiere und Menschen. Wenn er Menschen erschaffen hat, die der Grausamkeit des Mordes fähig sind, dann muss dies entweder in seiner Absicht gelegen haben, oder er hat einen Fehler gemacht.«

Tarsheni verzog das Gesicht. »Das ist eine der Fragen, die ich diesem weisen Mann stellen möchte.«

»Falls es kein Fehler war, glaube ich nicht, dass ich diesen Gott mögen würde… Ist das der Tunnel, was meinst du?«

Das Boot neigte sich leicht zur Seite, als die Familie sich umwandte, um Emerahls Blick zu folgen. Sie hatte einen schmalen Spalt in dem Steilufer der Landenge entdeckt. Als sie näher kamen, bemerkte sie, dass ein Pfad zu der Lücke hinunterführte.

»Es sieht so aus«, antwortete Tarsheni.

»Ja«, pflichtete Emerahl ihm bei. »Nein – das solltest du ihnen noch nicht zeigen«, fügte sie hinzu, als er seine Börse hervorholte. »Lass uns zuerst abwarten, was wir hier vorfinden.«

Er blickte ängstlich zum Tunnel hinüber. »Meinst du, es ist eine Falle?«

»Ich bin nur vorsichtig.«

Der Spalt vertiefte sich, und als sie ihn erreichten, konnten sie Lampen von den Wänden zu beiden Seiten eines Tunnels hängen sehen und einen Halbkreis aus Licht am anderen Ende. Die Wände wurden von Mauerwerk gestützt, das so aussah, als sei es am Eingang in jüngster Zeit instand gesetzt worden. In der Tiefe des Tunnels – wohl auf halber Strecke, vermutete Emerahl – versperrte ein Gitter die gesamte Breite der Durchfahrt. Der Pfad verlief auf einem Sims an einer Seite des Tunnels entlang.

Sie konnte Gestalten vor sich erkennen und Interesse spüren, als man ihr Boot herannahen sah. Die feinen Härchen auf ihrer Haut stellten sich auf, als das Interesse der Männer im Tunnel sich in Habgier verwandelte.

»Wie habt ihr von diesem Tunnel erfahren, Tarsheni?«

»Ein Mann hat uns davon erzählt. Er sagte, er könne uns nach Norden bringen, wenn wir dafür die Gebühr für die Durchfahrt durch den Tunnel übernehmen.«

»Warum seid ihr nicht auf sein Angebot eingegangen?«

»Er hat uns nicht gefallen.«

»Hmm. Mir scheint, dass in diesem Tunnel mehr Boote unterwegs sein sollten, sonst wäre damit kein Gewinn zu machen.«

»Vielleicht ist es noch zu früh am Tag.«

»Hmm.«

Sie überlegte, wer den Tunnel vielleicht durchfahren mochte. Fischer könnten ihn nützlich finden, aber der Tunnel war zu klein, um größere Boote als ihres aufzunehmen. Nur Reisende wie sie selbst, die allein oder in Begleitung weniger anderer waren, würden diesen Tunnel wählen.

»Was hat der Mann sonst noch über den Tunnel gesagt?«

Tarsheni zuckte die Achseln. »Dass es früher viele Tunnel durch die Landenge gab und die meisten von Schmugglern in den Fels gehauen wurden, dass die Leute aber irgendwann befürchteten, die Tunnel könnten einstürzen, und die Landenge würde vom Meer unterspült werden. Damals haben sie die Tunnel gefüllt.«

Emerahl dachte an die Reparaturen im Mauerwerk um den Eingang herum. War dieser Tunnel versperrt und in jüngster Zeit wieder geöffnet worden?

»Hat er davon gesprochen, dass jemand Einwände gegen die neuerliche Öffnung des Tunnels erhoben hat?«

»Nein«, antwortete Tarsheni. Dann hielt er einen Moment lang inne. »Es besteht doch nicht die Gefahr, dass er einstürzt, oder?«

Emerahl blickte zu der gewölbten Decke empor. »Er wirkt durchaus stabil.«

Als sie sich dem Tor näherten, sah Emerahl vier Männer auf dem Felsvorsprung stehen. Ihre Mienen spiegelten die Gier wider, die sie in ihren Gedanken spürte. Emerahl zog ein wenig Magie in sich hinein und schuf einen Schutzschild um das Boot herum. Sie bremste es vor dem Tor ab und sah dann allen vier Männern abwechselnd in die Augen.

»Seid mir gegrüßt, Torhüter. Meine Passagiere und ich möchten eine Durchfahrt kaufen.«

Ein großer Mann, dem mehrere Zähne fehlten, hakte die Hände in seinen Gürtel und grinste sie an.

»Sei mir gegrüßt, meine Dame. Ist das dein Boot?«

»Ja.«

»Normalerweise haben wir es nicht mit weiblichen Seeleuten zu tun.«

Die anderen Männer traten vor und betrachteten die Familie und ihre Habe. Einer machte Anstalten, von dem Felsvorsprung in ihr Boot hinabzusteigen. Das Knie des Mannes stieß gegen ihre Barriere. Er fluchte vor Schmerz und taumelte rückwärts.

»Ich gestatte niemandem, ungebeten auf mein Boot zu kommen«, sagte Emerahl und wandte sich wieder dem zahnlosen Mann zu.

Er kniff die Augen zusammen. »Dann solltest du uns besser hineinbitten, oder wir werden dich nicht durchlassen.«

»Ihr braucht nicht an Bord zu kommen«, entgegnete sie entschieden.

Der zahnlose Mann reckte die Brust vor. »Du hast also Gaben. Unser Ameri hat auch welche.« Er deutete auf einen seiner Kameraden, einen mageren, säuerlich dreinblickenden jungen Mann. Sie nickte ihm mit geheuchelter Höflichkeit zu und wandte sich dann wieder zu dem zahnlosen Mann um.

»Wie wäre es, wenn du die Gebühr auf zehn Kanar herabsetzt und ich dafür das Tor stehen lasse?«

Sie ertappte sich dabei, dass sie auf eine Weigerung hoffte. Das Gleiche machten diese Männer wahrscheinlich ständig mit Reisenden. Obwohl sie ihrem Treiben nicht gänzlich ein Ende setzen konnte, ohne ihre Reise zu verzögern, würde es doch befriedigend sein, ihnen ihren bösen kleinen Plan zu verderben – zumindest für eine Weile.

Der Mann sah sie mit schmalen Augen an. »Ameri«, sagte er, ohne den Blick von Emerahl abzuwenden. »Sorg dafür, dass sie sich benehmen.«

Der magere Mann streckte die Hand nach ihr aus und machte eine dramatische, lächerlich wirkende Geste. Magie prallte von ihrem Schild ab. Der Kerl war stärker als der Durchschnitt, und sein Angriff hätte die meisten Reisenden verletzt oder sogar getötet. Sie funkelte ihn an, nicht länger erheitert über die Situation.

Als er innehielt, bestürmte sie ihn und seine Kameraden mit einer Wucht, die sie an die Wand schleuderte und dort festhielt. Dann wandte sie sich dem Tor zu und sandte eine Welle von Hitze aus. Schon bald begann das Tor zu glühen und sich zu verbiegen. Als Teile von geschmolzenem Metall ins Wasser fielen, erfüllte heißer Dampf den Tunnel. Ihr Schild schützte ihr Boot, aber die Männer begannen zu schreien. Schließlich ließ sie sie los und schleuderte sie zurück in den Tunnel.

Als die letzten Reste des Tors ins Wasser sanken, trieb Emerahl ihr Boot voran, wobei sie darauf achtete, dass es nicht mit den glühenden Tunnelwänden in Berührung kam. Erst als sie am anderen Ende ins Freie gelangte, entspannte sie sich und blickte zu ihren Passagieren hinüber.

Sie starrten sie erstaunt an.

Emerahl zuckte die Achseln. »Ich habe es euch doch gesagt: Meine Gaben sind nicht unbeträchtlich. Und ich habe nicht viel übrig für Diebe.«

Auraya ging von einem Schlingenbett zum nächsten und untersuchte einmal mehr die Siyee. Zwei der Kranken wehrten sich erfolgreich gegen die Herzzehre, zwei andere rangen damit. Sie wollte Mirars heilende Gabe nicht einsetzen, bevor sie sich sicher war, dass die Patienten die Krankheit nicht selbst bekämpfen konnten.

Jetzt nenne ich es schon »Mirars heilende Gabe«, ging es ihr durch den Kopf. Nicht Leiards Gabe. Wahrscheinlich hat Mirar sie seit hunderten, ja sogar seit tausenden von Jahren benutzt. Es ist mehr seine Gabe als die Leiards.

Tyve beobachtete sie voller Neugier und Sorge. Sie fand keine Ruhe. Sie konnte nur von Laube zu Laube gehen und nach einer Ablenkung suchen, die sie daran hinderte, darüber nachzudenken, was sie getan hatte.

Ich habe Huan den Gehorsam verweigert. Ich habe den Göttern, den zu dienen ich geschworen habe, nicht gehorcht.

Die einzige andere Möglichkeit hätte darin bestanden, einen Mann zu töten, der es nicht verdiente. Das dürfte keine Rolle spielen. Ich sollte darauf vertrauen, dass die Götter einen Grund haben, ihn tot sehen zu wollen. Juran hat es damals, vor langer Zeit, getan.