Mirar?, antwortete sie.
Wie geht es meiner reisenden Freundin?
Mehr oder weniger unverändert. Ich segle viel, dann segle ich noch mehr, und zu guter Letzt segle ich noch ein klein wenig weiter.
Wir langweilen uns, wie?
Nein. Ich habe einige interessante zahlende Passagiere. Und du?
Das Leben ist soeben erheblich interessanter geworden, erzählte er ihr. Die Götter wissen, wer ich bin.
Was? Woher?
Ich habe Auraya das Heilen gelehrt. Die Götter müssen uns beobachtet haben.
Du Idiot.
Ja. Bist du enttäuscht von mir?
Sie schwieg einen Moment lang.
Nein. Ich bin nicht überrascht. Du hättest fortgehen sollen, sobald sie erschienen ist, aber das hast du nicht getan. Ich weiß, du bist wegen der Siyee geblieben, und ich vermute, dass du es sie um der Kranken willen gelehrt hast.
Das ist wahr.
Ich habe den Verdacht, dass das nicht der einzige Grund war, warum du die Sorge um deine eigene Sicherheit über Bord geworfen hast. Also, wie hat Auraya die Neuigkeit aufgenommen?
Sie hat versucht, mich zu töten.
Oh. Sie schwieg mehrere Herzschläge lang. Sie war also bereit, ihr Versprechen zu brechen.
Wie sie es ausdrückte, galt ihr Versprechen Leiard.
Ah. Offensichtlich ist es ihr nicht gelungen, dich zu töten. Warum nicht?
Weil ich ihr meinen Geist geöffnet und ihr die Wahrheit gezeigt habe.
Und das hat sie von ihrem Plan abgebracht? Wie interessant. Glaubst du, es ist ihre Idee gewesen oder die der Götter, dich zu töten?
Es war die Idee der Götter. Huan ist erschienen und hat sie gedrängt, es zu tun.
Auraya hat ihr den Gehorsam verweigert?
Ja.
Das wird ja immer interessanter. Also, hat sie es gelernt?
Was soll sie gelernt haben?
Das Heilen.
Ja.
Dir ist doch klar, was das bedeutet?
Sie verfügt über hinreichend große Gaben, um eine Unsterbliche werden zu können. Sie ist bereits unsterblich, Emerahl.
Ja, aber das alles Entscheidende ist doch, dass sie unsterblich werden könnte ohne das Eingreifen der Götter. Sie ist eine Wilde. Was das für sie bedeutet, hängt davon ab, warum sie uns hassen. Wenn es blanker Hass auf alle Wilden ist, werden sie sie töten.
Mirar fror. Hatte er Auraya zum Tod verurteilt, einfach indem er sie in der Heilkunst unterwiesen hatte?
Es gibt noch etwas, das ich dir erzählen muss. Die Götter könnten mehr gesehen haben, als ich beabsichtigt hatte.
Dann sind dir also einige Geheimnisse entschlüpft?
Ja. Als ich erklärte, wie Leiard und ich zu einer einzigen Person wurden, dachte ich an dich, obwohl nur als meinen Helfer. Ich habe versucht, es nicht…
Du denkst, die Götter werden erraten, wer dieser Helfer war.
Ja. Es tut mir leid. Du könntest in Gefahr sein.
Lange Zeit sagte sie gar nichts mehr.
Die Gefahr ist nicht so groß wie die, vor der du stehst. Sie werden wissen, dass ich noch lebe, aber sie wissen nicht, wo ich bin. Andererseits wissen sie, wo du bist.
Nur dass ich mich noch in Si aufhalte.
Wohin gehst du?
Auraya hat mir geraten, Nordithania zu verlassen. Ich bin auf dem Weg zur Küste.
Auraya mag nicht bereit sein, dich zu töten, aber wenn ich du wäre, würde ich mich nicht darauf verlassen, dass die anderen Weißen die gleichen Skrupel haben. Huan wird die Siyee für die Suche nach dir heranziehen und die Weißen ausschicken, sobald man dich gefunden hat. Glaubst du, du könntest den Siyee ausweichen?
Vielleicht wenn ich bei Nacht reise, aber es wird schwierig sein im Dunkeln.
Es ist ein Jammer, dass du nicht bereits in der Nähe der Küste bist. Du könntest ein Boot bauen und aufs Meer hinaussegeln. Die Siyee können gewiss nicht unbegrenzte Strecken fliegen. Sobald sie deine Fährte verloren haben, kannst du wieder an Land gehen. Solange niemand dich sieht, werden die Götter nicht wissen, wo du angekommen bist. Aber ich befürchte, dass die Weißen auf dich warten werden, sobald du die Küste erreicht hast. Sie hielt inne. Irgendwann wirst du dich dem Wasser nähern müssen, um Nordithania zu verlassen. Dann wird es von größter Wichtigkeit sein, den richtigen Zeitpunkt abzupassen. Lass mich darüber nachdenken. Ich werde mein Ziel in wenigen Tagen erreichen und vielleicht erfahren, wo dir die geringste Gefahr droht.
Dein Ziel, hm? Du klingst schon wieder so rätselhaft.
Du hast den Göttern soeben meine Existenz offenbart. Erwartest du von mir, dass ich dir erzähle, wo sie mich finden können?
Nein. Ich erwarte von dir, dass du meinen Geist mit telepathischen Flüchen heimsuchst.
Wenn ich nicht glaubte, dass du wahrscheinlich in unmittelbarer Zukunft sterben wirst – und diesmal richtig -, würde ich es tun.
Das ist beruhigend.
Ach ja? Das sollte es aber gar nicht sein. Jetzt wach auf und verschwinde aus Si.
Ja, oh Weise und Heilige, erwiderte er spöttisch.
Sie brach die Vernetzung mit vorsätzlicher Abruptheit ab und schreckte ihn aus der Traumtrance auf. Als er sich langsam erhob, blitzte in seinem Gedächtnis eine Erinnerung an Auraya auf. Hatte sie sich, wie er vermutete, geweigert, Huan ihren Willen zu überlassen? Würden die Götter sie bestrafen? Oder würden sie sie jetzt, da kein Zweifel mehr daran bestehen konnte, dass sie eine Wilde war, töten?
Sie könnte bereits tot sein, dachte er. Und es wäre meine Schuld.
Er musste es herausfinden, und dazu gab es nur eine Möglichkeit. Er hatte diese Möglichkeit während seines Marsches ungezählte Male erwogen und wieder verworfen. Wenn er sich im Traum mit ihr vernetzte und sie noch lebte, würde sie mit ihm reden? Würde er sich damit weiter in Gefahr bringen? Oder sie?
Solange ich ihr nicht verrate, wo ich bin, kann mir nichts passieren.
Er schloss die Augen und sandte seinen Geist aus auf die Suche nach der Frau, die versucht hatte, ihn zu töten.
Auraya?
Sie brauchte länger für eine Antwort als Emerahl. Die Stille verstärkte seine Furcht, sie könnte tot sein. Dann hörte er sie überrascht seinen Namen sprechen.
Mirar?
Ja.
Warum suchst du die Traumvernetzung mit mir?
Ich mache mir Sorgen um dich.
Du machst dir Sorgen um mich? Ich habe versucht, dich zu töten!
Ich mag ein wenig anders sein als der Leiard, den du kanntest, aber du bedeutest mir immer noch viel.
Das ist ungemein seltsam.
Du hältst es für seltsam? Ich bin nach hundert Jahren aufgewacht, um zu entdecken, dass ich nicht mehr derselbe bin, der ich war. Außerdem stelle ich fest, dass ich einige törichte Dinge getan habe: Ich bin nach Jarime gegangen, habe für die Weißen gearbeitet und mich in eine der mächtigsten Dienerinnen der Götter verliebt. Das Seltsamste ist jedoch, dass ich nichts von alledem bedauere. Ich bedauere nur, dass ich nicht mit dir zusammen sein kann. Und ich habe Angst vor dem, was sie dir antun werden, weil du mich hast gehen lassen. Haben sie dich bestraft?