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Ich kann nur sehen, was ist, nicht was du noch entscheiden musst, erwiderte er.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich.

Dann kannst du sehen, was ich in anderen Angelegenheiten entschieden habe. Was werdet ihr, du und die anderen Götter, tun?

Er zuckte die Achseln, obwohl seine Miene jetzt sehr ernst war.

Darüber haben wir noch nicht befunden.

Sie runzelte die Stirn.

Warum nicht?

Seine Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln.

Wir sind nicht immer in allen Dingen einer Meinung, Auraya.

Welche Möglichkeiten erwägt ihr denn?

Ah, erwiderte er. Ich will nicht petzen.

Mit diesen Worten verschwand er. Eine Welle des Ärgers und der Frustration schlug über ihr zusammen.

Chaia? Ihre Sinne sagten ihr, dass er sich noch immer im Raum befand. Chaia! Ich weiß, dass du noch da bist. Ich kann dich spüren.

Das ist mir bewusst. Er zog sich zurück, aber bevor er aus ihren Sinnen entschwand, drangen Worte zu ihr vor, wie von einer fernen Stimme, die der Wind zu ihr herüberwehte.

Ich hatte damit gerechnet, dass du dich weigern würdest, Auraya. Wisse, dass du dir einen der Götter zum Feind gemacht hast.

Und dann verklang seine Stimme zu nichts. Sie drehte sich um die eigene Achse und fragte sich, ob er von ihrer Weigerung, Mirar zu töten, sprach oder von ihrem Eingeständnis, dass sie ihn nicht wie ein menschliches Wesen liebte. Und welchen der Götter hatte sie sich zum Feind gemacht: Chaia oder einen der anderen?

Imi ging langsam durch ihr Zimmer und berührte alles. Sie hatte das während der letzten Tage mehrmals getan, nicht sicher, ob sie sich damit überzeugen wollte, dass sie wirklich und wahrhaftig zu Hause war, oder ob sie das tat, um sich ins Gedächtnis zu rufen, wie viel sich verändert hatte.

Die Schnitzereien an den Wänden hatten sie früher niemals besonders interessiert. Als Kind hatte sie sie wegen der Dinge gemocht, für die sie standen: berühmte Elai, die Göttin Huan, Geschöpfe des Meeres. Jetzt sah sie die Kunstfertigkeit, mit der sie hergestellt worden waren, und sie fragte sich, wie viel die Landgeher wohl für solche Schnitzereien bezahlen würden.

Und was konnten die Elai ihnen sonst noch verkaufen?

Sie hatte früher nie gern die traditionellen Schmuckstücke getragen, wie Erwachsene sie bevorzugten, doch nun wählte sie jeden Tag sorgfältig ein Schmuckstück aus ihrer Truhe aus. Ihre Lieblingsspielzeuge standen jetzt auf einem Regal, doch sie spielte nicht mit ihnen. Stattdessen stellte sie Teiti endlose Fragen nach der Geschichte der Elai, nach den Landgehern, die in der Vergangenheit Elai angegriffen oder verraten hatten, und sie wollte so viel wie möglich über Magie und über die Göttin erfahren. Wenn ihre Tante ihre Fragen nicht beantworten konnte, schickte sie sie aus, um andernorts die gewünschten Informationen zu finden, oder sie verlangte, mit Leuten zu sprechen, die ihr Auskunft geben konnten.

»Alle Landgeher haben Gaben – selbst die kleinen. Warum nicht auch wir?«, hatte sie den Palastzauberer gefragt, einen hässlichen alten Mann, der ständig Husten hatte und lockere Hautfalten, die ihm wie Tuch von den Knochen hingen.

»Die ältesten Dokumente erzählen uns, dass Huan Männer und Frauen mit schwachen Gaben ausgewählt hat, um die Elai zu erschaffen«, hatte er ihr erklärt. »Sie waren weniger widerstandsfähig gegen die Veränderungen, die sie bei ihnen bewirkte.«

»Widerstandsfähig? Wollten sie denn keine Elai werden?«

»Oh doch, aber jene von ihnen, die Magie besaßen, machten die Veränderungen immer wieder rückgängig, auch wenn sie es nicht wollten.«

»Was ist mit den Elai, die jetzt Gaben besitzen? Machen sie sich selbst rückgängig?«

Er zuckte die Achseln. »Wir neigen tatsächlich dazu, leichter krank zu werden und schneller zu altern.«

»Ist das bei den Siyee genauso?«

Er nickte. »Ihnen ist es jedoch besser ergangen. Sie haben einige Zauberer mit halbwegs mächtigen Gaben. Zumindest hatten sie die vor zehn Jahren, als ich sie das letzte Mal besucht habe.«

»Warum ist es ihnen besser ergangen?«

»Das weiß ich nicht«, hatte er eingestanden. »Warum fragst du nicht die oberste Priesterin?«

Sie war seinem Rat gefolgt. Die oberste Priesterin, eine Frau in Teitis Alter, hatte ihr erklärt, dass Huan die Dinge nicht hätte anders haben wollen.

»Dann will sie also nicht, dass wir uns verändern?«

»Nicht unbedingt. Wir können uns verändern. Aber wenn wir beginnen, uns auf eine Art zu verändern, die sie nicht wünscht, wird sie eingreifen. Sie hat das schon früher getan.«

Imi hatte darüber nachgedacht und dann eine andere Frage gestellt, die ihr zu schaffen gemacht hatte. »Wir huldigen lediglich Huan. Was ist mit den anderen Göttern? Warum huldigen wir nicht auch ihnen?«

»Weil Huan uns erschaffen hat.«

»Und sie gestattet es uns nicht, neben ihr auch den anderen Göttern zu huldigen?«

Daraufhin hatte die Priesterin die Augenbrauen hochgezogen, aber es war kein Ausdruck der Überraschung gewesen. Imi war ihrer Missbilligung mit Entschlossenheit begegnet.

»Wie sind denn die anderen Götter?«

»Chaia war immer bekannt als der Gott der Könige. Lore war der Gott des Krieges. Yranna die Göttin der Frauen und Saru der Gott des Wohlstands.«

»Du sagst das so, als hätten diese Dinge keine Gültigkeit mehr.«

»Sie haben ihre früheren Titel nach dem Krieg der Götter abgelegt. Aber dennoch sind diese Titel nach wie vor ein Hinweis auf ihre Natur. Chaia hat den Charakter eines Anführers und besitzt große Weisheit in allen Dingen, die die Erhaltung von Macht betreffen.«

Imi nickte. »Was ist mit den pentadrianischen Göttern?«

Die Priesterin zuckte die Achseln. »Ich weiß nichts über sie. Es heißt, nur fünf Götter hätten den Krieg der Götter überlebt und dass die Menschen in einigen Ländern noch immer toten Göttern huldigen, als seien diese real.«

»Die Götterdienerin Reivan hat mir erzählt, dass sie einmal ihren Gott in ihrem Geist habe sprechen hören. Das klingt so, als sei er real.«

»Sie könnte es sich eingebildet haben.« Die Priesterin hob die Schultern. »Ich weiß nichts über diese pentadrianischen Götter, und ich brauche auch nichts über sie zu wissen. Huan ist unsere Göttin und Schöpferin. Wir brauchen keine anderen Götter.«

»Nein. Aber es wäre gut, mehr über die Götter anderer Völker zu wissen.«

»Warum?«

»Für den Fall, dass Huan zu dem Schluss kommt, wir müssten uns verändern«, antwortete Imi. »Oder für den Fall, dass wir anfangen, uns zu verändern, und Huan dem kein Ende macht.«

»Ich bezweifle, dass sie es billigen würde, wenn wir anderen Göttern huldigten.«

»Ich glaube nicht, dass irgendein Elai das wollen würde. Aber andere Dinge können sich ändern, manchmal ohne dass wir es wollen. Wir sollten in der Lage sein, mit allen Herausforderungen fertigzuwerden.«

Daraufhin hatte die Priesterin gelächelt. »Du wirst eines Tages eine gute Königin abgeben.«

Bei der Erinnerung an dieses Gespräch stieg ein Gefühl leicht ironischen Stolzes in Imi auf. Sie hatte jetzt ihre Runde durch den Raum beinahe beendet. Als sie zum nächsten Regal kam, klopfte es an der Tür, und sie blieb stehen. Teiti kam aus ihrem kleinen »Zimmer« in Imis Höhle und öffnete die Tür. Als sie den Jungen sah, der dort stand, runzelte sie die Stirn.

»Komm herein, Rissi.«

Der Junge ging an Teiti vorbei auf Imi zu. Einige Schritte von ihr entfernt blieb er stehen und verneigte sich. »Prinzessin«, sagte er. »Ich bin hergekommen, um dir über meine Funde Bericht zu erstatten.«

Teiti nahm die Förmlichkeit seiner Begrüßung mit einem anerkennenden Nicken auf, dann zog sie sich in ihr Zimmer zurück. Imi lächelte Rissi zu. Nachdem sie ihrem Vater einen ganzen Tag lang damit in den Ohren gelegen hatte, hatte er endlich zugestimmt, dass eine Einkerkerung von mehreren Monaten Strafe genug für den Jungen sei, der sie aus der Stadt und zu den Inseln gebracht hatte, wo sie gefangen worden war. Rissi war nicht wütend gewesen, dass sie ihn in Schwierigkeiten gebracht hatte. Stattdessen hatte er sich endlos dafür entschuldigt, dass es ihm nicht gelungen war, sie aufzuhalten oder zu retten. Er war jeden Tag in den Palast gekommen und hatte gefragt, ob er irgendetwas tun könne, um seinen Fehler wiedergutzumachen.