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Sie ging in die Hocke und wusch sich in dem kalten, schnell fließenden Wasser die Hände.

»Ein Stück weiter den Fluss hinunter steht ein Korbfruchtbaum«, sagte sie. »Wollt ihr bleiben und mit mir essen? Ich habe schon lange keine Gesellschaft mehr gehabt.«

Er sah seine Gefährten an, dann nickte er. »Ja, wir nehmen dein Angebot an. Allerdings können wir nicht lange bleiben, da sich unsere Rückkehr zu unserem Stamm bereits verzögert hat, aber wir haben noch genug Zeit, um zu reden und zu essen.«

Er stieß einen lauten Pfiff aus, und die drei anderen Siyee traten zwischen den anderen Bäumen hervor: eine Frau in mittleren Jahren und zwei junge Leute. Während sie näher kamen, musterten sie Emerahl ängstlich. Veece machte sie miteinander bekannt. Sie lächelte ihnen zu, dann erhob sie sich und winkte sie heran.

»Folgt mir. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich kann immer besser reden, wenn ich keinen Hunger habe.«

Mit diesen Worten führte sie sie fort vom Fluss und weg von Mirar. Der Himmel war eine aufgewühlte Decke tiefhängender schwarzer Wolken. Blitze blendeten sie. Es war kein Donner zu hören, nur Stille.

In der Nacht nach der Schlacht gab es kein Gewitter, dachte Auraya, während sie über die Leiber hinwegstieg. Nun, es gab damals auch keine sprechenden Leichname.

Sie bemühte sich, die Gesichter der Toten nicht anzuschauen, da sie die Erfahrung gemacht hatte, dass sie sie damit wachrief. Allerdings war es schwierig, sich auf dem Schlachtfeld zu bewegen, ohne zu Boden zu sehen. Die Dunkelheit zwischen den Blitzen war absolut. Dann kam der Moment, da sie über einen Leichnam stolperte und unwillkürlich hinabblickte.

Blutunterlaufene Augen starrten sie an. Lippen bewegten sich.

»Du hast mich getötet«, keuchte der Tote.

An dieser Stelle bin ich sonst immer aufgewacht, dachte sie. Aber damit ist es jetzt wohl vorbei.

»Du hast mich getötet«, erklang eine andere Stimme. Eine Frau. Eine Priesterin. Dann wurde wieder eine andere Stimme laut und noch eine. Überall um sie herum begannen die Leiber sich zu bewegen. Wenn sie konnten, erhoben sie sich. Schleppten sich auf allen vieren weiter, wenn sie es nicht konnten. Sie kamen auf sie zu. Brachten mit monotonem Singsang ihre Anklage vor, immer lauter und lauter.

»Du hast mich getötet! Du hast mich getötet! Du hast mich getötet!«

Sie rannte los, aber es gab kein Entkommen. Die Leichname umringten sie. Auch an dieser Stelle bin ich sonst immer aufgewacht. Sie griffen nach ihr. Zogen sie hinab in ein Meer eitriger, verwesender Leichen. Gesichter drückten sich an ihres, spien aus und sabberten Blut. Sie spürte, wie sie ihre knochigen Finger in ihren Oberkörper gruben, bis ihr das Atmen schwerfiel. Und die ganze Zeit über sprachen sie immer wieder die gleichen Worte.

»Owaya! Owaya!«

Was…?

Plötzlich war sie hellwach und blickte in ein Paar großer, von feinen Wimpern gesäumter Augen. Augen, die einem Veez gehörten.

»Owaya«, wiederholte Unfug laut, diesmal mit einem unverkennbaren Tonfall der Befriedigung. Er saß auf ihrer Brust und verlagerte das Gewicht von einer Pfote auf die andere.

»Unfug!«, stieß sie hervor. Als sie sich aufrichtete, sprang das Tier von ihrem Bett. Sie holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus, bevor sie sich zu dem Veez umdrehte.

»Ich danke dir«, murmelte sie.

»Kraulen?«, schlug er vor.

Sie tat ihm den Gefallen und genoss das Gefühl seines weichen Fells unter ihren Händen. Während er leise Laute des Wohlbehagens von sich gab, dachte sie über ihre Alpträume nach. Sie wurden schlimmer statt besser. Was das bedeutete, konnte sie nicht sagen.

Vielleicht sollte ich einen Traumweber zurate ziehen.

Sie dachte an die Traumweber, die sie bei der Arbeit im Hospital unterstützen würden. Würden sie sich bereitfinden, ihr zu helfen, oder wäre das zu viel verlangt? Natürlich würden sie mir helfen. Sie sind dazu verpflichtet, jedem beizustehen, der sie darum bittet.

Wie würde es sein, sich von ihnen behandeln zu lassen? Was gehörte zu einer Traumheilung? Irgendeine Art von Gedankenvernetzung …

Oh.

Sie konnte eine Gedankenvernetzung nicht riskieren. Mit wem sie sich auch vernetzen mochte, der Betreffende könnte ihre wahren Pläne für die Traumweber entdecken.

Ich kann nichts tun. Diese Alpträume werden mich wohl für immer verfolgen. Sie legte sich wieder hin und fluchte leise. Geschieht mir recht, dachte sie. Wie konnte ich es auch nur in Erwägung ziehen, die Traumweber um Hilfe zu bitten, während ich gleichzeitig auf ihren Niedergang hinarbeite?

Unfug stieß einen leisen Klagelaut aus, vielleicht weil er ihre Stimmung spürte. Er rückte näher an sie heran, dann spürte sie seinen Körper an ihrer Hüfte, als er sich neben ihr zusammenrollte. Seine Atmung verlangsamte sich. Sie lauschte eine Weile und kämpfte gegen den Schlaf an.

Dann fand sie sich plötzlich unter einem vertrauten schwarzen Himmel wieder …

11

Die Parade war trotz der Hitze der Morgensonne voller Menschen. Ihre Jubelrufe waren ansteckend. Reivan gesellte sich zu den Gefährten der anderen Stimmen, wobei ihr Herz ein wenig zu schnell schlug.

Wenn ich eine Gefährtin bin, wird es für mich etwas ganz Gewöhnliches sein, mich in solchen Menschenmengen aufzuhalten, ging es ihr durch den Kopf. Ich frage mich, wie lange es dauern wird, bis solche Erlebnisse ihre berauschende Wirkung verlieren. Die Stimmen gingen die Haupttreppe des Sanktuariums hinunter. Am Fuß der Treppe warteten neben den Sänften vier Gruppen von jeweils vier muskulösen Sklaven, bewacht von vier Sklavenmeistern. Die Stimmen trennten sich und stiegen jeder in eine der Sänften. Als sie sich auf den Sitzen niedergelassen hatten, setzten die Sklaven sich die Sänften auf die Schultern und machten sich auf den Weg die Hauptdurchgangsstraße hinunter.

Die Gefährten nahmen hinter den Sänften Aufstellung. Niemand sprach. Reivan stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als sie feststellte, dass zum ersten Mal seit einer Woche niemand ihre Aufmerksamkeit verlangte. Endlich hatte sie die Möglichkeit nachzudenken.

Reivans Tage waren lang und hektisch geworden. Imenja wollte sie fast jeden Tag für einige Stunden an ihrer Seite haben. Manchmal musste Reivan lediglich eine Zusammenkunft oder eine Debatte verfolgen, dann wieder sah sie zu, während Imenja Arbeiten verrichtete, die Reivan übernehmen würde, sobald man ihr das Amt einer Gefährtin übertrug. Pflichten wie die Zusammenstellung von Imenjas Zeitplan, die Entgegennahme oder das Verschicken von Geschenken oder Spenden, die Ablehnung von Bestechungsgeldern und der Empfang von Berichten über die Aufgaben, die anderen Götterdienern übertragen worden waren.

Unterdessen wurde ihre Ausbildung fortgesetzt. Imenja verlangte all die Zeit, die Reivan normalerweise für die Arbeit an ihren magischen Fähigkeiten aufgewandt hätte, falls sie welche besessen hätte. In der geringen Zeit, die Reivan verblieb, studierte sie das Gesetz, die Geschichte und die Götter. Glücklicherweise erwiesen sich jetzt ihre frühen Jahre, als sie im Kloster sämtliche Bücher verschlungen hatte, als Vorteil, und selbst Drevva musste zugeben, dass Reivan mehr wusste als der durchschnittliche Dienernovize.

Reivan blieb bis spät in die Nacht auf und stand frühmorgens wieder auf. Die Liste der Pflichten, die sie als Gefährtin haben würde, war jetzt so lang, dass ihr ein wenig unbehaglich wurde.

»Wie soll ich das alles schaffen?«, hatte sie Imenja gefragt. Imenja hatte gelächelt. »Du musst Arbeiten an andere weitergeben.«