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Wie können sie sich zu einer so sinnlosen Verschwendung hinreißen lassen?, dachte sie. Und wie können sie so dumm sein! Wenn sie die Pflanzen unversehrt gelassen hätten, hätten sie im nächsten Jahr zurückkommen und weitere Glocken holen können.

Ihr Vater hatte recht. Die Landgeher waren abscheulich. Sie drehte die Hände hin und her, aber sie hatte keine Chance, an den Knoten heranzukommen, um ihn zu öffnen.

Rissi, schoss es ihr durch den Kopf. Er muss Vater sagen, wo ich bin. Sie mühte sich auf die Füße und suchte die Wasseroberfläche ab. Eine halbe Ewigkeit schien zu vergehen, bis sie eine Bewegung wahrnahm. Einen Kopf vielleicht.

»Rissi!«, schrie sie. »Sag Vater, wo ich bin. Sag ihm, dass man mich gefangen genommen hat. Sag ihm, dass er…«

Etwas schlug ihr mit voller Wucht ins Gesicht, und sie sank taumelnd auf die Knie. Der Anführer stand vor ihr. Er blaffte einige Worte und deutete mit seinen langen Fingern, zwischen denen die Schwimmhäute fehlten, auf sie.

Obwohl sie kein Wort verstehen konnte, war die Warnung sehr deutlich. Benommen sah Imi ihm nach, als er davonging.

Vater wird kommen, sagte sie sich. Er wird mich retten. Und wenn er kommt, wird er jeden einzelnen dieser abscheulichen Landgeher aufspießen, und sie werden es verdient haben.

14

Es war angenehm warm vor der Höhle, jetzt, da die spätsommerliche Sonne untergegangen war. Der Himmel war wolkenlos, und die Sterne über ihr woben einen dichten Teppich. Emerahl seufzte zufrieden.

»Das ist schon besser«, murmelte Mirar.

Vor zwei Tagen, als Mirar sich am Abend das erste Mal hinausgewagt hatten, waren sie zu dem Schluss gekommen, dass die Felswand der bequemste Platz war. Obwohl sie jetzt seit vielen Tagen nicht einmal die schwächste Andeutung von Mirars Gedanken hatte auffangen können, war er dennoch nicht unsichtbar, daher verließ er die Höhle nur bei Dunkelheit. Die Siyee glaubten, sie sei allein, und sie wollte nicht, dass sich daran etwas änderte, bis sie und Mirar über ihre nächsten Schritte entschieden hatten.

Bei Nacht gab es nicht viel anderes zu tun, als die Sterne zu bewundern und zu reden. Sie hörte, wie Mirar Atem schöpfte, um zu sprechen.

»Ich habe heute über die anderen Wilden nachgedacht. Es ist möglich, dass einige von ihnen noch leben.«

Sie wandte sich zu ihm um. Das Sternenlicht fiel auf sein Gesicht. »Ich habe ebenfalls über sie nachgedacht, und ich habe mich gefragt, ob es besser oder schlechter für uns wäre, wenn wir sie finden würden.«

»Schlechter, wenn es dazu führt, dass die Götter von unserer Existenz erfahren.«

»Wie sollte das möglich sein?« Sie hielt inne. »Glaubst du, die anderen würden uns verraten?«

»Vielleicht nicht mit Absicht. Die Götter könnten möglicherweise ihre Gedanken lesen.«

Emerahl lächelte schief. »Wenn das möglich wäre, hätten die Götter sie schon vor langer Zeit gefunden und getötet«, wandte sie ein.

Mirar veränderte seine Position ein wenig. »Ja, wahrscheinlich.«

Sie blickte zu den Sternen auf. »Trotzdem, die anderen brauchen vielleicht unsere Hilfe.«

»Wenn sie so lange überlebt haben, brauchen sie unsere Hilfe nicht, davon bin ich überzeugt.«

»Ach ja? So wie du meine Hilfe nicht gebraucht hast?«

Er lachte leise. »Aber ich bin ein junger Narr und gerade mal tausend Jahre alt. Die anderen Wilden sind älter und weiser.«

»Dann wären sie vielleicht in der Lage, uns zu helfen«, erwiderte sie.

»Wie?«

»Wenn ich dich lehren konnte, deinen Geist zu verbergen, stell dir nur vor, was sie uns vielleicht beibringen können. Möglicherweise nichts, aber das wissen wir erst, wenn wir sie gefunden haben.«

»Willst du, dass ich dich auf dieser Suche begleite?« Emerahl seufzte. »Das hätte ich sehr gern, aber ich glaube nicht, dass es klug wäre. Wenn du recht hast und gewöhnliche Priester tatsächlich nicht in der Lage sind, Gedanken zu lesen…«

»Ich habe recht.«

»… dann dürfte mir keine Gefahr drohen, es sei denn, ich hätte abscheuliches Pech und würde dem Priester über den Weg laufen, der schon früher nach mir gesucht hat. Dem Priester, der im Gegensatz zu seinen Kameraden Gedanken lesen kann.«

»Andererseits gibt es erheblich mehr Menschen, die Leiard erkennen könnten«, sagte er.

»Ja.«

»Wenn die Götter nach mir suchen, könnten sie die Priester und Priesterinnen angewiesen haben, sie zu rufen, falls sie mich sehen. Außerdem werden die Traumweber wahrscheinlich nach mir Ausschau halten. Die Götter könnten auch ihre Gedanken überwachen.« Er stöhnte. »Es gibt so viele Menschen, die mich erkennen könnten. Warum hat sich Leiard bloß einverstanden erklärt, Traumweberratgeber der Weißen zu werden?«

»Er hat sicher geglaubt, es sei das Beste so.«

»Der Umgang mit den Göttern hat sich noch nie als das Beste erwiesen.« Er seufzte. »Wie lange werde ich mich noch verstecken müssen? Werde ich in dieser Höhle bleiben müssen, bis niemand mehr lebt, der mich erkennen könnte?«

»In diesem Fall würdest du niemals von hier fortkommen. Es sei denn, du hättest die Absicht, jemanden auszuschicken, der die Weißen ermordet.«

»Ist das ein Angebot?«

Sie lächelte. »Nein. Du wirst tun müssen, was ich getan habe – zum Eremiten werden. Du wirst lediglich mit den gewöhnlichsten und unwichtigsten Menschen Umgang haben.«

»Wenn ich ein Leben lang hierbleibe, brauche ich mir also nur noch um die Weißen Gedanken zu machen.«

»Wenn du allen Menschen aus dem Weg gehen willst, kannst du nicht hierbleiben. Ich habe den Siyee erzählt, dass ich jetzt, da ich vom Ende des Krieges erfahren habe, nach Hause zurückkehren würde«, sagte sie. »Sie werden zurückkommen, um festzustellen, ob ich noch hier bin.«

»Kennst du noch andere Verstecke?«

»Einige. Allerdings glaube ich nicht, dass du anderen Menschen zur Gänze ausweichen kannst oder dass du es überhaupt versuchen solltest. Du brauchst Menschen, oder der Riss in deiner Identität könnte wieder tiefer werden.«

»Ich habe dich.«

Sie lächelte. »Das ist wahr. Aber ich bin ein Mensch, zu dem Leiard eine starke Verbindung hat. Ich könnte deine Fähigkeit, Leiard zu akzeptieren, behindern. Du brauchst den Kontakt mit Menschen, die keine frühere Verbindung zu dir haben. Diese Siyee werden dir nichts Böses antun. Und du hast mir erzählt, dass du noch keinem von ihnen begegnet bist.«

»Was soll ich ihnen sagen, wer ich bin? Ich kann ihnen nicht erzählen, ich sei Mirar.«

»Nein. Du wirst abermals so tun müssen, als seist du jemand anderer.«

»Leiard?«

»Nein«, entgegnete sie entschieden. Gib dir einen neuen Namen und ein neues Aussehen, aber erfinde keine neuen Gewohnheiten oder persönlichen Merkmale dazu. Sei du selbst.«

»Welchen Namen soll ich benutzen?«

Sie zuckte die Achseln. »Ich an deiner Stelle würde keinen Namen auswählen, den du nicht magst.«

Er kicherte. »Natürlich nicht.« Sie hörte, wie er mit den Fingern auf den Felsen trommelte. »Ich bin nach wie vor ein Traumweber, daher werde ich mir den Namen eines der unseren geben. Auf dem Weg in die Schlacht bin ich einem jungen Mann begegnet, der eine gewisse Ähnlichkeit mit mir hatte. Voreingenommen und intelligent. Sein Name war Wil.«

»Wil? Ist das nicht ein dunwegischer Name? Du siehst nicht aus wie ein Dunweger.«

»Nein. Dann werde ich eben eine Silbe hinzufügen. Ich werde mich Wilar nennen.«

Emerahl nickte. »Also gut. Wilar. Wilar was?«

»Schuhmacher.« Er hob einen Fuß. In dem schwachen Licht konnte man die Sandalen, die er sich gemacht hatte, gerade noch erkennen.

»Eine nützliche Fähigkeit«, bemerkte sie.

»Ja. Leiard hat tatsächlich einige neue Dinge für mich gelernt. Ich war nie gezwungen, mir selbst Schuhe zu machen. Es gab immer genug Leute, die nur allzu glücklich waren, mir welche zu schenken.«