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»Ah, die guten alten Zeiten«, sagte sie spöttisch. »Wie sehr wir doch die nimmer endende Bewunderung und Großzügigkeit unserer Anhänger vermissen.«

Er lachte. »Nur dass ihre Bewunderung dann doch ein Ende gefunden hat.«

»Das stimmt. Und ich vermisse sie nicht.«

Sie schwiegen sehr lange. Schließlich straffte sich Mirar, und sie machte Anstalten, sich zu erheben. Aber statt vorzuschlagen, dass sie in die Höhle zurückkehren sollten, drehte er sich nur zu ihr um.

»Du wirst fortgehen, nicht wahr?«

Sie sah ihn an und fühlte sich hin- und hergerissen. »Ich möchte mich tatsächlich auf die Suche nach den anderen Wilden machen«, erwiderte sie. »Aber das kann warten. Wenn du mich hier brauchst, werde ich bleiben.«

Er streckte die Hand aus und berührte ihr Gesicht. »Ich möchte, dass du bleibst«, sagte er. »Aber… du hast recht, was deine Wirkung auf mich betrifft. Du bist ein Anker, den loszulassen ich mich fürchte. Ich sollte deinem Rat folgen und die Gesellschaft anderer Menschen suchen.«

Sie griff nach seiner Hand. »Ich kann noch ein Weilchen bleiben. Es gibt keinen Grund zur Eile.«

»Das ist wahr. Nur dass ich mich jetzt bereits rastlos fühle. Ich denke, ich werde schon bald ziemlich unerträglich sein, wenn ich nicht etwas zu tun finde. Wenn ich könnte, würde ich mit dir gehen. Ich wünschte, du hättest einen Plan, bei dem ich dir behilflich sein könnte, aber ich bin dennoch froh, dass du versuchen willst, sie zu finden.« Er hielt inne. »Wir müssen in Verbindung bleiben.«

»Ja.« Als sie das sagte, spürte sie, wie ihr Wunsch, nach den Wilden zu suchen, zu fester Entschlossenheit wuchs. »Wir werden uns im Traum vernetzen. Ich kann dir dann mitteilen, welche Fortschritte ich mache.«

»Und gleichzeitig ein Auge auf mich halten?«

Sie lachte. »Eindeutig.«

Er zog die Hand zurück und lehnte sich wieder an die Felswand, dann legte er den Kopf schräg und blickte zu den Sternen empor. »Wie wunderschön«, murmelte er. »Wirst du dein Aussehen abermals verändern?«

Sie dachte nach. Wenn man Informationen sammelte, hatte es durchaus seine Vorteile, gut auszusehen, aber schön zu sein – und jung -, erwies sich im Allgemeinen als Hindernis, wenn man auf Reisen war. Die Menschen neigten dazu, schöne Frauen zu bemerken und in Erinnerung zu behalten. Sie stellten zu viele Fragen, und die Männer versuchten, sie zu verführen.

»Ja. Ich denke, ich werde zehn oder zwanzig Jahre hinzufügen.«

Er machte eine leise Bemerkung, von der sie nur das Wort »vermasselt« verstehen konnte. Es war schön zu wissen, dass er sich noch immer zu ihr hingezogen fühlte. Vielleicht würde sich eine Gelegenheit für eine kleine Tändelei bieten, wenn er Leiard akzeptiert hatte und wieder mit sich im Reinen war.

Sie lächelte. Je eher ich fortgehe, umso eher wird er seine Probleme lösen, und umso eher können wir diese Möglichkeiten erkunden. Wenn ich Zweifel an der Klugheit meines Unterfangens habe, werde ich mir diese Tatsache einfach ins Gedächtnis rufen. Immer noch lächelnd stand sie auf und kehrte in die Höhle zurück, um Vorbereitungen für den langen Prozess zu treffen, den die Veränderung ihres Alters erforderlich machte.

Imenja schenkte sich noch ein Glas Wasser ein, dann füllte sie auch Reivans Glas wieder auf.

»Nur noch ein Kandidat«, murmelte sie. »Es wird bald vorüber sein.«

Reivan nickte und versuchte, nicht allzu erleichtert zu wirken. Als sie den Raum betreten und begriffen hatte, dass sie im letzten Stadium eines so bedeutenden Ereignisses wie der Wahl der Ersten Stimme zugegen sein sollte, war ihr vor Ehrfurcht und Staunen schwindlig geworden.

Sie hatte voller Faszination beobachtet, wie jede der Stimmen die Augen schloss, sich mit den Obersten Götterdienern in Gebieten überall in Ithania in Verbindung setzte und laut das Abstimmungsergebnis für jeden Ergebenen Götterdiener verkündete. Die Gefährten sämtlicher Stimmen hatten die Ergebnisse auf einem riesigen Bogen Pergaments festgehalten. Als Imenja Reivan bedeutet hatte, das Gleiche für sie zu tun, war sie überwältigt gewesen, und als sie nach dem Pinsel gegriffen hatte, hatten ihre Hände vor Aufregung gezittert.

Nachdem sie eine Stunde lang die monotone Aufgabe, Striche auf das Pergament zu malen, ausgeführt hatte, war Langeweile an die Stelle der Faszination getreten. Nach zwei Stunden hatte sie zu ihrem Entsetzen festgestellt, dass erst die Stimmen von einem Sechstel aller Regionen verzeichnet waren. Es würde ein langer Tag werden.

Die Domestiken brachten eine endlose Vielzahl von Delikatessen und Getränken herbei, als wollten sie sie für die monotone Arbeit des Tages entschädigen. Alle Gespräche wurden im Flüsterton geführt, um die jeweilige Stimme, die gerade Informationen zusammentrug, nicht abzulenken.

»Das wäre alles«, sagte Vervel. »Alle Wahlberechtigten haben ihre Stimme abgegeben. Willst du die erste Zählung übernehmen, Imenja?«

Die Zweite Stimme erhob sich und ging zu dem Pergamentbogen hinüber. Sie ließ den Finger langsam über die erste Kolonne gleiten, und ihre Lippen bewegten sich, während sie die Zahlen addierte. Als sie das Ende der Kolonne erreicht hatte, griff sie nach dem Pinsel und schrieb die Summe auf, dann machte sie sich daran, die Striche in der nächsten Kolonne zusammenzuzählen.

Auch dieser Vorgang kostete viel Zeit, aber Reivan stellte fest, dass ihre Spannung wuchs. Wenn Imenja fertig war, würden sie wissen, wer ihr neuer Anführer sein würde. Sie blickte zu den Gefährten hinüber. Auch sie verfolgten das Geschehen mit angespannter Miene.

Man konnte ein leises Kratzen hören, als Imenja mit dem Finger über ein Pergament fuhr. Wann immer sie innehielt, um das Ergebnis zu notieren, betrachtete Reivan sie forschend. Reivan hatte sich die Namen eingeprägt und wusste, für welchen Ergebenen ihre Herrin die Ergebnisse zählte. Aus den Strichlisten, die sie selbst niedergeschrieben hatte, wusste sie auch, welche Kandidaten besonders beliebt waren. Aber als Imenja bei dem einen Ergebnis die Brauen hochzog und bei einem anderen die Stirn runzelte, konnte Reivan nicht beurteilen, ob ihre Herrin erfreut, entsetzt oder einfach nur überrascht war.

Als Imenja fertig war, richtete sie sich auf und sah Vervel an. Er erwiderte ihren Blick, dann zuckte er die Achseln. Karkel, Vervels Gefährte, erhob sich halb von seinem Stuhl, setzte sich jedoch wieder hin, als Vervel ihn mit einem Kopfschütteln ansah.

Sie werden es uns also noch nicht eröffnen, dachte Reivan. Werden sie uns das Ergebnis mitteilen, wenn die anderen die Zählung bestätigt haben? Oder werden wir bis zu der öffentlichen Ankündigung warten müssen?

Jetzt machte Vervel sich daran, die Stimmen zu zählen. Außerstande, die Spannung zu ertragen, wandte Reivan sich ab. Auf dem Tisch neben ihr stand eine Schale mit Nüssen und getrockneten Früchten. Obwohl sie nicht den mindesten Hunger hatte, begann sie zu essen. Als Shar erklärte, dass er mit seiner Zählung fertig sei, war die Schale halb leer. Imenja rollte das Pergament zusammen und sah die vier Gefährten lächelnd an.

»Lasst uns gehen und einem Ergebenen Götterdiener eine freudige Nachricht überbringen und einer Menge Menschen einen Grund zum Feiern geben.«

Die Gefährten erhoben sich. Reivan bemerkte den resignierten Ausdruck auf ihren Gesichtern. Also werden wir wie alle anderen auch abwarten müssen, dachte sie mit einem Lächeln. So viel zu der Behauptung, ich sei Imenjas bevorzugtes Schoßtier.

Sie folgten den Stimmen aus dem Raum. Zwei Domestiken, die mit Essenstabletts auf die Tür zukamen, hielten inne und neigten den Kopf, als die kleine Gruppe wichtiger Persönlichkeiten vorbeiging. Reivan drehte sich noch einmal kurz um und sah, dass sie bedeutungsvolle Blicke austauschten, bevor sie davoneilten.

Schon bald bemerkte sie auch andere Domestiken und einige Götterdiener, die um Ecken oder durch Türen spähten. Sie fing erregtes Getuschel auf und hörte immer wieder eilige Schritte. Eine wachsende Erregung durchdrang das Sanktuarium. Ferne Rufe waren zu hören, gedämpft durch Mauern oder Türen. Irgendwo erklang eine Glocke. Die Stimmen verließen die innersten Flure des Oberen Sanktuariums und bogen in den Hauptflur des Mittleren Sanktuariums ein. Reivan konnte einige Götterdiener vor sich sehen; sie strebten der Gruppe jener entgegen, die sich für die Ankündigung versammelt hatten.