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»Chaia!«

Ja.

Er kam an den Rand des Schlamms und streckte eine Hand aus. Sie zögerte, dann ergriff sie sie. Feste, warme Finger umfassten ihre. Er zog, und sie spürte, wie der Schlamm ihre Beine freigab.

Lass uns in dein Zimmer zurückkehren, sagte er.

Das Schlachtfeld verschwand. Plötzlich saß sie auf ihrem Bett, Chaia an ihrer Seite. Er lächelte und streckte die Hand nach ihrem Gesicht aus. Die Berührung seiner Finger, als er ihr Kinn nachzeichnete, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Er beugte sich zu ihr vor, und sie wusste, dass er sie küssen würde.

Ähm, oh, dachte sie und rückte von ihm ab. Es ist ja gut, ihn heraufzubeschwören, damit er mich vor dem Alptraum rettet, aber wenn ich mir jetzt auch noch erotische Begegnungen zusammenträume, geht das eindeutig zu weit.

Du leistest Widerstand. Du denkst, dies sei falsch. Respektlos.

»Ja.«

Er lächelte.

Wie kann es respektlos sein, wenn ich derjenige bin, der dich küsst?

»Du bist nicht real. Der reale Chaia könnte daran Anstoß nehmen.«

Ich bin nicht real? Sein Lächeln wurde breiter. Bist du dir sicher?

»Ja. Der reale Chaia kann mich nicht berühren.«

In Träumen kann ich es.

Geradeso, wie Leiard es getan hat, dachte sie. Die Erinnerung an ihn weckte ein unbehagliches Durcheinander verschiedener Gefühle. Schmerz über seinen Verrat. Scham, dass sie jemanden in ihr Bett genommen hatte, den dieser Gott wahrscheinlich nicht billigen würde. Und trotz allem: Sehnsucht. Ihre Traumvernetzungen mit Leiard waren ihr durch und durch real erschienen. Ihr wurde warm, als sie sich an die Wonne seiner Umarmungen erinnerte, doch dieser Erinnerung folgten schnell neue Verlegenheit und Scham, als ihr bewusst wurde, mit wem sie zusammen war – selbst wenn er nur der Traumschatten des Gottes war.

Bereue deine Vergangenheit nicht, sagte Chaia. Alles, was du tust, lehrt dich etwas über dich selbst und die Welt. Es liegt an dir, aus deinen Fehlern Weisheit zu ziehen.

Sie musterte ihn wachsam. Dies war nicht Chaia. Der reale Chaia hätte… was? Sie gescholten wie ein Kind?

Chaia lachte.

Du bist immer noch davon überzeugt, dass ich ein Traum sein muss?

»Ja.«

Er legte eine Hand in ihren Nacken und beugte sich vor.

Öffne die Augen.

Sie starrte ihn an. »Was ist, wenn ich davon träume, die Augen zu öffnen, und…«

Er versiegelte ihren Mund mit seinem. Sie versteifte sich vor Überraschung. Plötzlich waren Chaia und ihr Zimmer verschwunden. Sie lag in Decken gehüllt da. In ihrem Bett. Sie sah nur Dunkelheit. Ihre Augen waren geschlossen.

Wach.

Aber ihre Lippen kribbelten. Sie öffnete die Augen. Ein leuchtendes Gesicht hing über ihrem. Der Mund verzog sich zu einem Lächeln. Ein Auge zwinkerte.

Dann war die Erscheinung verschwunden.

Teil 2

16

Eine salzige Brise sagte Emerahl, lange bevor sie das Meer erreichte, dass sie sich der Küste näherte. Doch erst als sie auf eine Anhöhe stieg und einen breiten, grauen Streifen Wasser in der Ferne sah, spürte sie, dass sie ihrem Ziel nahe war.

Beim Anblick des Wassers seufzte sie vor Erleichterung. Sie setzte sich auf einen am Boden liegenden Baumstamm und holte erst einmal tief Luft. Zwei Monate des Marschierens hatten ihr Durchhaltekraft geschenkt, aber der Hügel, auf dem sie stand, war steil, und es hatte eines langen, gnadenlosen Aufstiegs bedurft, um hierherzugelangen.

Rozea würde mich nicht wiedererkennen, dachte sie. Es war nicht nur ihr Alter, das sie verändert hatte. Sie färbte sich das Haar jetzt schwarz und flocht es jeden Morgen zu einem schlichten Zopf. Ihr Kleid war einfach und praktisch, und darüber trug sie eine bunte Mischung aus Kapas, Umhängen, perlenbesetztem Schmuck und bestickten Beuteln. Die Düfte von Kräutern, Essenzen und anderen Zutaten für ihre Wunderkuren umwehten sie.

Es war nie notwendig gewesen, irgendjemandem von ihrem Gewerbe zu erzählen. Sie betrat einfach ein Dorf oder eine Stadt, erkundigte sich bei der ersten Person, der sie begegnete, ob es irgendwo ein sicheres, anständiges Quartier gebe, und sobald sie sich in dem vorgeschlagenen Haus niedergelassen hatte, erschien der erste Kunde.

Zumindest meistens. Es hatte immer Orte gegeben – und es würde sie immer geben -, an denen Fremde mit Argwohn und Heilerzauberinnen mit unverhohlener Feindseligkeit behandelt wurden. Der erste Priester, dem sie begegnet war, war unfreundlich gewesen, was ihre Angst, die Götter könnten sie finden, nicht gelindert hatte. Zu ihrer Erleichterung hatte er ihr lediglich den Befehl gegeben, sein Dorf zu verlassen. Danach hatte sie tagelang damit gerechnet, dass man abermals Jagd auf sie machen würde, aber es war ihr niemand gefolgt.

An den meisten Orten war sie jedoch willkommen. Dorfpriester verfügten im Allgemeinen nicht über starke Gaben und besaßen kaum mehr als grundlegende Kenntnisse der Heilkunst. Die besten ihrer Heiler arbeiteten in Städten, und Traumweber waren rar, daher bestand eine große Nachfrage nach ihren Diensten. Außerdem half es, dass sie nun das Aussehen einer dreißig- bis vierzigjährigen Frau hatte – wäre sie jung und schön geblieben, hätte niemand geglaubt, dass sie über große Kenntnisse der Heilkunst verfügte.

Die Straße vor ihr schlängelte sich zwischen Hügeln und Wäldern hindurch, und Emerahl verfolgte sie bis zum Rand des Meeres. In der Mitte einer Bucht scharten sich einige Gebäude zusammen wie Steine auf dem Grund eines Eimers. Nach Auskunft der Besitzer mehrerer Gasthäuser und hilfsbereiter Zechkumpane war dies der Hafen von Dufin, was durch eine grobe Karte, die ein Händler ihr gegeben hatte, bestätigt wurde.

Dufin war aufgrund seiner Nähe zu der Grenze nach Si während der letzten vierzig Jahre gewachsen und gut gediehen. Oder eigentlich lag es wohl mehr an der Neigung der Torener, die Grenze zu ignorieren und sich niederzulassen, wo immer sie gute, fruchtbare Erde oder Mineralablagerungen fanden. Die »Inländer«, mit denen sie gesprochen hatte, hatten ihr voller Häme erzählt, dass die Weißen den König von Toren gezwungen hätten, seinem Volk zu befehlen, Si zu verlassen. Es wäre interessant zu sehen, welchen Eindruck diese Befehle auf die Bewohner Dufins gemacht hatten – falls es überhaupt eine Wirkung gab.

Als sie ein Geräusch hinter sich hörte, drehte sie sich zur Straße um. Ein einzelnes Arem zog einen kleinen Tarn hügelaufwärts auf sie zu. Sie erhob sich. Obwohl der Fahrer noch zu weit entfernt war, als dass sie in seinen Zügen hätte lesen können, war sie davon überzeugt, dass er zu ihr herüberschaute. Sie konnte seine Neugier spüren.

Sie bedachte, wie weit er noch entfernt war, wie spät es bereits war und wie weit es noch bis Dufin sein mochte. Schließlich setzte sie sich wieder hin und wartete darauf, dass der Tarn sie erreichte.

Es dauerte mehrere Minuten. Schon lange davor, sobald der Fahrer nahe genug herangekommen war, hatte sie ein Lächeln mit ihm getauscht und ihm zugewinkt. Als das Arem den Tarn den Hügel hinaufzog, stand Emerahl abermals auf und begrüßte den Mann.

Sie schätzte ihn auf über vierzig. Sein vom Wetter gegerbtes Gesicht war freundlich und wies viele Lachfältchen auf. Er zügelte das Arem.

»Fährst du nach Dufin?«, fragte sie.

»Ja«, antwortete er.

»Hast du noch Platz für eine müde Reisende?«

»Ich habe immer Platz für hübsche junge Frauen, die ein Transportmittel brauchen«, sagte er leutselig.

Sie sah sich um, als halte sie nach jemandem Ausschau. »Wo ist diese Frau, von der du sprichst? Und wie selbstsüchtig von dir, eine müde alte Frau zugunsten einer jüngeren Gefährtin am Straßenrand stehen zu lassen.«