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Nekaun lächelte und wandte sich zu Reivan um. »Aber kein unbefähigter Nordithanier. Diese Regel war in der Vergangenheit auch unsere Schwäche. Würden unbefähigte Nordithanier sich von ihren heidnischen Göttern abwenden und die wahren Götter akzeptieren, wenn sie wüssten, dass eine Chance besteht, dass sie zu Macht und Ansehen gelangen können, indem sie Götterdiener werden?«

Die anderen blickten nachdenklich drein. »Die Macht und das Ansehen, die du anbietest, sind nur hier von Wert«, murmelte Imenja.

»Für den Augenblick.«

»Wie vielen Unbefähigten wirst du gestatten, Götterdiener zu werden?«, erkundigte sich Vervel. »Wie wirst du sie auswählen?«

»Für den Anfang würde ich keine Zahl festsetzen«, antwortete Nekaun. »Sie müssten sich dieser Ehre als würdig erweisen.«

»Gut. Wir wollen die Götter nicht verhöhnen, indem wir Narren weihen«, murmelte Genza.

»Das ist wahr«, stimmte Nekaun ihr zu. Dann sah er plötzlich Reivan an. »Diese Gefahr besteht noch nicht. Was sagst du dazu, Reivan?«

Sie blinzelte überrascht. »Ich… ähm… ich kann nicht umhin zu denken, dass es einen einfacheren Weg geben muss, Nordithania zu bekehren. Die Zirkler glauben, unsere Götter seien nicht real. Wenn ihr das Gegenteil beweisen könntet, würden sie in Scharen zu uns kommen.«

»Wie sollten wir das deiner Meinung nach bewerkstelligen?«

»Das weiß ich nicht. Vielleicht würde allein der Anblick der Götter sie überzeugen.«

Er lächelte schief. »Wir können die Götter von Zeit zu Zeit rufen, damit sie uns ihre Leitung oder ihre Zustimmung geben, aber selbst in solchen Fällen beantworten sie unsere Bitten nicht immer mit ihrem Erscheinen. Es ist nicht anzunehmen, dass sie jedes Mal, wenn ein Götterdiener darum bäte, für jeden zweifelnden Zirkler erscheinen und ihre Macht demonstrieren würden.«

Reivan senkte den Blick. »Nein, das wäre zu viel verlangt. Aber… es ist ein Jammer, dass die Zirkler Sheyr nicht haben erscheinen sehen, als wir aus den Minen kamen. Wenn sie dieses prachtvolle Bild gesehen hätten, hätten sie uns vielleicht nicht bekämpft, sondern sich uns angeschlossen. Würden die Götter sich bereitfinden, vor einer größeren Ansammlung von Zirklern zu erscheinen?«

»Ich vermute, wenn das möglich wäre, hätten sie es bereits getan«, sagte Imenja.

»Was hindert sie daran?«, fragte Reivan.

Stille folgte. Sie zwang sich, zu den Stimmen aufzusehen. Zu ihrer Überraschung blickten die Stimmen nachdenklich drein. Nekaun runzelte die Stirn, als mache ihre Frage ihm zu schaffen. Sein Blick wanderte zu ihr hinüber, und er lächelte.

»Ah, Denker. Sie haben eine besondere Begabung, Fragen zu stellen, die man nicht beantworten kann. Wir alle wünschen die Götter zu verstehen, aber ich bezweifle, dass es jemals einem von uns gelingen wird. Sie sind das größte aller Rätsel.«

Die anderen nickten. Nekaun sah sich im Raum um. »Wollen wir uns jetzt anderen Themen zuwenden?«

»Ja«, stimmte Genza ihm zu. »Das wäre sinnvoll.«

»Ich höre, dass es abermals zu einem Duell zwischen dekkanischen Edelleuten gekommen ist.«

Genza verdrehte die Augen. »Ja. Es sind immer dieselben alten Familien. Und es geht immer um denselben alten Groll.«

»Wir müssen mehr tun, um solche Auseinandersetzungen zu verhindern.«

»Ich würde liebend gern alle Vorschläge hören, die du zu dem Thema hast.«

Erleichtert darüber, dass die Stimmen ihre Aufmerksamkeit auf einen anderen Gegenstand gerichtet hatten, griff Reivan nach einem Glas Wasser und nahm einen tiefen Schluck. Nekaun fragte sie bei diesen Zusammenkünften häufig nach ihrer Meinung, während er mit den anderen Gefährten nur selten sprach. Obwohl es schmeichelhaft war, dass er ihren Rat suchte, war es keineswegs immer eine angenehme Erfahrung. Manchmal, wie heute zum Beispiel, hatte sie den Verdacht, dass sie sich vollkommen zum Narren machte.

Glücklicherweise schienen die anderen daran keinen Anstoß zu nehmen. Stattdessen ermutigten sie sie zum Sprechen. Reivan war einmal davor zurückgeschreckt, ihre Meinung zu sagen, und Nekaun hatte sie mit unbarmherziger Geduld bedrängt, bis sie schließlich nachgab.

Aber meine Frage hat sie beunruhigt, dachte sie, während sie die anderen Stimmen beobachtete. Anscheinend bin ich nicht die Einzige, die sich fragt, warum es den Göttern so sehr widerstrebt, ihre Macht oder ihren Einfluss deutlicher zu zeigen. Wenn sie das getan hätten, hätten wir den Krieg dann auch verloren? Hätten sie uns von einem Angriff auf die Zirkler abgeraten? Gewiss hätte Kuar uns nicht in die Schlacht geführt, wenn die Götter nicht damit einverstanden gewesen wären.

Sheyr wäre schließlich nicht erschienen, um die Armee zum Kampf zu ermutigen, wenn er gewusst hätte, dass wir keine Chance auf einen Sieg hatten. Daraus kann ich nur den Schluss ziehen, dass er entweder doch um unsere bevorstehende Niederlage wusste oder nicht genug über den Feind in Erfahrung bringen konnte, um die Gefahr zu erkennen. So oder so muss er gewusst haben, dass das Risiko eines Fehlschlags bestand.

Reivan schüttelte den Kopf. Zumindest bin ich nicht die Einzige, die die Götter vor Rätsel stellen. Nicht einmal die Stimmen wissen alles über sie.

Mirar stand vor der Wand aus herabstürzendem Wasser. Er streckte die Hand aus und hielt sie hinein. Das eiskalte Wasser rann ihm den Arm hinunter und ließ ihn frösteln.

Bring es schnell hinter dich, riet Leiard ihm.

Also schloss Mirar die Augen, beugte sich vor und steckte den Kopf ins Wasser.

Es war geradezu grausam kalt. Er wusch sich mit hastigen Bewegungen, um gegen die Kälte anzukämpfen, Haar und Bart. Dann trat er einen Schritt zurück und atmete erleichtert auf. Das Wasser lief ihm über die nackte Brust.

Er fuhr sich mit den Händen durchs Haar und stellte zu seiner Freude fest, dass von der klebrigen Farbe nichts zurückgeblieben war. Der Gedanke, noch einmal den Kopf ins kalte Wasser halten zu müssen, hätte ihm gar nicht behagt. Die Aussicht auf dieses Erlebnis hatte ihn tagelang davon abgehalten, die Farbe noch einmal aufzutragen.

»Vergiss die Augenbrauen nicht«, hatte Emerahl gesagt. »Wenn die Leute bleiche Augenbrauen und dunkles Haar sehen, wissen sie, dass du Farbe benutzt hast.« Er lächelte bei der Erinnerung an ihre Worte und hielt noch einmal die Hände unters Wasser, um sich den Rest Farbe abzuwaschen. Sie hatte ihm nicht aufgetragen, auch das Haar auf seiner Brust oder an anderen Stellen zu färben, aber wer würde seinen Körper schon sehen? Niemand, solange Leiard etwas zu sagen hatte.

Ein Stück Tuch war alles, was er hatte, um sich zu trocknen. Er rubbelte sich die Haut, um sich zu wärmen, und ging zurück in die Höhle.

»Wilar?«

Er blieb stehen und wandte sich wieder zum Wasserfall um. Die Stimme war vertraut. Im Eingang konnte er die Silhouette eines Siyee ausmachen.

»Reet?«

»Ich bin es, Tyve.«

Der Bruder, dachte Mirar. Die beiden klingen so ähnlich. »Gib mir einen Moment Zeit«, rief er.

Er eilte in die Höhle, kleidete sich hastig fertig an und kehrte dann mit seinem Beutel mit Heilmitteln zum Wasserfall zurück. Ein junger Siyee stand in der Lücke zwischen dem Rand des Wasserfalls und der Felswand. Als Mirar näher trat, grinste er.

»Kommen wir ungelegen?«

»Nein«, versicherte ihm Mirar. »Ich freue mich stets über eure Gesellschaft.«

Der Siyee verbarg ein Lächeln. Mirar hatte ihre Sprache schnell wieder erlernt, aber die Worte oder Ausdrücke, die sie benutzten, verstand er nicht immer. Er vermutete, dass er eine altmodische Redeweise benutzte, die die Siyee erheiternd fanden, und dass die verwirrenden Ausdrücke, die er von ihnen hörte, sich im Laufe des letzten Jahrhunderts entwickelt haben mussten.

Er hatte die beiden vor einigen Wochen kennen gelernt und ihnen die Erklärung gegeben, die er und Emerahl sich zurechtgelegt hatten: Er hatte sich bereiterklärt, sich hier mit ihr zu treffen, und sie hatte ihm den Weg zur Höhle in Traumvernetzungen gezeigt, aber als er eingetroffen war, war sie bereits fort gewesen.