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Sie verstanden, was ein Traumweber war. Er hatte zu seiner Freude erfahren, dass die Siyee sich noch immer an Mirar erinnerten und sich Geschichten erzählten, in denen er ein mildtätiger Heiler und ein Weiser war. Zu seiner Belustigung vermuteten sie, dass alle Traumweber männlich waren und über große magische Stärke verfügten.

Er und Tyve traten hinter dem Wasserfall hervor und gingen zum Rand des Teichs, wo ein anderer junger Siyee auf sie wartete.

»Sei mir gegrüßt, Wilar. Ich habe dir etwas zu essen mitgebracht«, sagte Reet und hielt einen kleinen Beutel hoch.

»Vielen Dank«, erwiderte Mirar und griff seinerseits nach seinem Beutel. »Seid ihr gekommen, um weitere Heilmittel zu holen?«

»Ja. Sizzi sagt, deine Medizin habe gewirkt. Sie will mehr. Sprecher Veece hat Schmerzen in den Gelenken, jetzt, da es kälter wird. Hast du etwas, das ihm helfen könnte?«

Mirar lächelte. »Er hat euch nicht aufgetragen, darum zu bitten, nicht wahr? Ihr tut das aus eigenem Antrieb.«

Reet grinste. »Er ist zu stolz, um um Hilfe zu bitten, aber nicht so stolz, dass er sich nicht ständig über seine Gebrechen beklagen würde.«

Mirar setzte sich auf einen Felsen, öffnete seinen Beutel und betrachtete den Inhalt. »Ich werde etwas zusammenstellen müssen. Hier habe ich das Wundenpulver und ein Schmerzmittel.« Er zog einen geschnitzten hölzernen Krug und einen kleinen Beutel mit Kügelchen hervor.»Das Schmerzmittel ist in dem Beutel. Man darf es nicht länger als vier Tage benutzen und niemals mehr als zwei Kügelchen gleichzeitig einnehmen.«

Reet nahm den Beutel und den Krug entgegen und verstaute beides in einer Tasche, die er am Oberkörper festgebunden trug. Mirar griff nach dem Beutel mit Essen. Der Beutel war überraschend schwer, und er hörte das leise Gluckern von Flüssigkeit darin.

»Ist das… ah!« Er zog einen Schlauch mit Teepi hervor.

»Ein Geschenk von Sizzi«, erklärte Tyve.

Mirar betrachtete die beiden Siyee. »Habt ihr ein wenig Zeit, oder müsst ihr gleich zurückkehren?«

Sie schüttelten den Kopf und grinsten. Mirar zog den Stöpsel aus dem Schlauch und nahm einen Schluck von dem Schnaps. In seinem Mund entfaltete sich ein scharfes, nussiges Aroma. Er schluckte und kostete die Wärme aus, die sich von seinem Magen ausgehend bis in seine Glieder verbreitete. Dann reichte er den Schlauch an Tyve weiter.

»Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?«, fragte er.

Tyve trank und gab den Schlauch an Reet weiter. »Einige Priester sind im Offenen Dorf angekommen. Sie werden die Siyee, die dies wünschen, unterrichten, damit sie Priester und Priesterinnen werden können.«

Mirar seufzte. Die Siyee hatten jahrhundertelang nur unter dem Einfluss Huans gestanden, und die Göttin hatte sich, seit sie sie erschaffen hatte, nicht allzu sehr in ihr Leben eingemischt. Sobald die Siyee eigene Priester und Priesterinnen hatten, würden sie ermutigt werden, allen fünf Göttern zu huldigen, und einige dieser Götter neigten eher dazu, das Leben der Leute durcheinanderzubringen.

»Du scheinst nicht allzu erfreut, das zu hören«, bemerkte Reet.

Mirar sah den jungen Mann an, dann schüttelte er den Kopf. »Nein.«

»Warum nicht?«

»Mir… mir gefällt die Vorstellung nicht, dass die Siyee von den Göttern und ihren Dienern unter den Landgehern beherrscht werden.«

Tyve runzelte die Stirn. »Du denkst, dass es so kommen wird?«

»Möglicherweise.«

»Wäre das schlecht?«, fragte Reet schulterzuckend. »Die Götter können uns beschützen.«

»Es war sicherer für euch, als ihr noch vom Rest der Welt getrennt lebtet.«

»Die Welt hat uns überfallen«, rief Reet ihm ins Gedächtnis.

»Ah, du hast recht. Man könnte sagen, dass die torenischen Siedler euch auf ihre Art und Weise tatsächlich überfallen haben. Ich schätze, ihr hättet nicht für immer getrennt von der übrigen Welt existieren können.«

»Du huldigst den Göttern nicht?«, fragte Tyve.

Mirar nahm den Schlauch von Reet entgegen und legte ihn beiseite. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein. Die Traumweber dienen keinen Göttern. Sie helfen den Menschen. Den Göttern… ihnen gefällt das nicht.«

»Warum nicht?«

»Sie lieben es, angebetet zu werden und uneingeschränkte Macht über alle Sterblichen zu haben. Es gefällt ihnen nicht, dass die Traumweber ihnen nicht huldigen oder gehorchen. Wenn wir anderen helfen, verringern wir in ihren Augen ihren Einfluss auf jene, die unseren Beistand genießen.«

Tyve runzelte die Stirn. »Bestrafen sie euch dafür?«

Erinnerungen an einen verkrüppelten Körper und Gestein, das ihn unter sich begrub, stiegen in Mirar auf, doch er schob sie beiseite. »Sie haben Juran von den Weißen befohlen, unseren Anführer zu töten. Auf ihr Drängen hin haben sich die Zirkler gegen die Traumweber gewandt. Viele wurden ermordet. Obwohl das heute nicht mehr geschieht, werden die wenigen Männer und Frauen meines Ordens, die das Leben als Traumweber auf sich nehmen, überall von Zirklern verachtet und verfolgt.«

Die beiden Siyee sahen Mirar entsetzt an. »Die Zirkler sind unsere Verbündeten«, sagte Tyve. In seiner Stimme lag nicht der Wunsch, die Zirkler zu verteidigen. »Wenn du ein Feind der Zirkler bist, bist du dann auch unser Feind?«

»Das zu entscheiden liegt bei euch«, erwiderte Mirar und wandte den Blick ab. »Diese Allianz wird eurem Volk höchstwahrscheinlich viel Gutes bringen. Ich möchte keinen Zweifel säen.«

Lügner, sagte Leiard, dessen Stimme ein Wispern tief unten in Mirars Geist war.

»Warum huldigt ihr den Göttern nicht?«, fragte Reet.

»Aus mehreren Gründen«, antwortete Mirar. »Zum Teil deshalb, weil wir der Meinung sind, dass wir in dieser Frage eine Wahl haben sollten. Zum Teil, weil wir wissen, dass die Götter nicht so gütig und wohlwollend sind, wie sie es die Sterblichen glauben machen wollen.« Mirar schüttelte den Kopf. »Ich könnte euch von den Taten der Götter in der Vergangenheit erzählen, bevor ihr Krieg sie auf fünf reduzierte, und bei diesen Geschichten würde euch das Blut in den Adern gefrieren.«

Würdest du lieber nur von Taten der fünf verbliebenen Götter berichten, damals, in ihren bösen alten Tagen?, fragte Leiard.

Nein, erwiderte Mirar. Das wäre allzu durchschaubar. Ich würde auch Geschichten von anderen Göttern hinzufügen.

»Erzähl uns davon«, bat Tyve ernsthaft. »Wenn sie über uns herrschen werden, sollten wir um diese Dinge wissen.«

»Es wird euch vielleicht nicht gefallen, was ihr hört«, warnte Mirar ihn.

»Das kommt darauf an, ob wir dir glauben oder nicht. Alte Geschichten sind im Allgemeinen lediglich Übertreibungen der Wahrheit«, bemerkte Reet weise.

»Dies sind keine Geschichten. Es sind Erinnerungen«, verbesserte ihn Mirar. »Wir Traumweber geben unsere Erinnerungen an unsere Schüler und aneinander weiter. Was ich euch erzähle, sind keine Übertreibungen oder Verzerrungen, sondern wahre Erinnerungen von Menschen, die schon lange tot sind.«

Oder nicht gar so tot, ergänzte Leiard.

Mirar hielt inne. Gibst du also zu, dass ich der Besitzer dieses Körpers bin?

Er bekam keine Antwort. Die beiden Siyee beobachteten ihn aufmerksam. Er konnte ihre Neugier spüren. Was tue ich hier?, dachte er. Wenn sich diese Geschichten unter den Siyee herumsprechen, werden die Götter davon erfahren und nach der Quelle suchen.

Geschichten waren mächtig. Sie konnten Vorsicht lehren. Der Gedanke, dass die Siyee Priester und Priesterinnen hervorbringen und dass die Götter sie beherrschen und sie verändern würden, spornte ihn an. Sie sollten ein solches Schicksal nicht akzeptieren, ohne einen Teil der Wahrheit zu kennen.