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Der Mann nickte. »Die Witwe Laylin hat ein Zimmer zu vermieten. Nummer drei, dritte Ebene. Das ist die nächsthöhere Ebene von hier aus. Das Haus liegt gleich auf der rechten Seite.«

»Vielen Dank.«

Sie ging weiter die Treppe hinauf und bog in einen der schmalen Gehwege ein. Vor einem Haus, in dessen Tür eine große Drei geschnitzt war, blieb sie stehen und klopfte. Eine hochgewachsene Frau in mittleren Jahren öffnete die Tür und musterte Emerahl von Kopf bis Fuß.

»Ich höre, du hast ein Zimmer zu vermieten«, sagte Emerahl. »Ist es frei?«

Die Augen der Frau leuchteten auf. »Ja. Komm herein. Ich werde es dir zeigen. Wie heißt du?«

»Limma. Limma Heilerin.«

»Heilerin nach dem Gewerbe ebenso wie nach dem Namen«, bemerkte die Frau.

»Das ist richtig.«

Die Witwe führte sie in ein langgestrecktes, schmales Zimmer mit Blick auf die Bucht. Es war schlicht, aber sauber. Emerahl handelte den Preis auf eine vernünftige Summe herunter, dann bat sie um Wasser, um sich zu waschen.

Die Frau schickte ihre Tochter, es zu holen, und wandte sich wieder zu Emerahl um, um sie mit klugen Augen zu betrachten. »Also, was führt dich nach Yaril?«

Emerahl lächelte. »Ich suche nach einem jungen Mann namens Gherid.«

»Gherid? Wir haben einen Gherid hier. Er ist früher mit seinem Vater fischen gegangen, bis alle auf dem Boot ertrunken sind, außer ihm. Jetzt arbeitet er für den Steinmetzen. Ist das derjenige, den du meinst?«

»Hört sich so an.«

»Was willst du von ihm?«

»Mir ist zu Ohren gekommen, dass er eine interessante Geschichte zu erzählen weiß.«

Die Frau kicherte und schüttelte den Kopf. »Das war einmal. Er ist es irgendwann leid geworden, dass die Leute ständig versucht haben, Löcher in seine Geschichte zu bohren, und jetzt sagt er kein Wort mehr.«

»Nein?«

»Keine Silbe. Nicht für Geld und gute Worte.«

»Oh.« Emerahl sah sich in dem Raum um, als frage sie sich, was sie hier tat.

»Du hast eine weite Reise auf dich genommen«, besänftigte die Frau sie. »Du solltest es wenigstens versuchen. Vielleicht bekommst du ja etwas aus ihm heraus. Ich bringe dich zu ihm, sobald du dich gewaschen hast.«

Sie verließ den Raum, und kurze Zeit später kam das Mädchen mit einem Krug Wasser und einer großen Schüssel. Emerahl wusch sich, zog ihre Kleider zum Wechseln an, wusch dann ihre übrigen Sachen und zog Magie in sich hinein, um die Luft darum herum zu wärmen.

Als ihre Kleider trocken waren, hängte Emerahl sie über einen Stuhl, bevor sie sich ihre Sammlung von Beuteln um die Taille band, ihr Kapas überstreifte und den Raum verließ.

Der Raum nebenan war genauso schmal wie ihrer, aber noch länger. Der vorhandene Platz wurde von Wandschirmen unterteilt, und in der letzten Kammer fand sie eine Küche, wo die Witwe beschäftigt war.

»Bist du so weit?«, fragte die Frau.

Emerahl nickte.

»Dann komm mit. Er wird drüben beim Steinmetzen sein.«

Sie folgte der Frau nach draußen in die kalte Luft. Die Häuser, die alle aus dem gleichen schwarzen Stein erbaut waren, schmiegten sich an die Felswand, als fürchteten sie, in das Meer darunter abzurutschen. Dieser Umstand verlieh der Stadt etwas Finsteres, Angstvolles, doch alle Menschen, denen Emerahl und die Witwe Laylin begegneten, lächelten und begrüßten sie wohlgemut.

Als sie fast die Höhe des Kliffs erreicht hatten, wurde die Treppe immer steiler. Die Witwe musste dreimal stehen bleiben, um wieder zu Atem zu kommen.

»Man sollte nicht meinen, dass ich hier lebe, nicht wahr?«, sagte sie nach der dritten Ruhepause. »Dir scheint das Klettern keine Mühe zu machen.«

Emerahl lächelte. »Das Reisen hält die Menschen jung.«

»So muss es wohl sein. So, da wären wir endlich. Sie wohnen so weit oben, weil es für den Steinmetzen einfacher ist, seine Waren hinunterzubringen, als sie raufschleppen zu müssen.«

Statt einer Straße fanden sie sich auf einem von Schutt übersäten »Hof« wieder. Emerahl folgte der Frau zu dem Bereich, in dem zwei grauhaarige Männer große Steinbrocken bearbeiteten.

»Megrin«, sagte die Witwe.

Einer der Männer blickte auf. Er schien überrascht zu sein, Emerahls Begleiterin zu sehen.

»Witwe Laylin«, erwiderte er. »Man sieht dich nicht oft hier oben. Brauchst du irgendetwas?«

»Nein, aber mein Gast möchte mit Gherid ein wenig über die Möwe plaudern.«

Der Mann musterte Emerahl und richtete sich auf. Sie lächelte, als sie seine Bewunderung spürte. Der zweite Mann hatte sich ihnen inzwischen ebenfalls zugewandt. Er hatte ein überraschend junges Gesicht, auch wenn es jetzt einen mürrischen Ausdruck zeigte. Emerahl schaute genauer hin und musste ein Lachen unterdrücken. Das Grau in seinem Haar war Staub. Er war gerade alt genug, um als Mann durchzugehen.

»Das ist Limma«, fuhr die Witwe fort. »Sie ist eine Heilerin.«

Megrin drehte sich zu dem jungen Mann um, dessen Miene sich weiter verfinsterte.

»Warum willst du mit mir über die Möwe reden?«, fragte Gherid.

Emerahl hielt seinem Blick stand. »Ich habe gehört, dass du ihm begegnet bist.«

»Na und?«

»Ich würde gern deine Geschichte hören.«

»Nur zu, Gherid«, drängte ihn die Witwe. »Sei nicht unhöflich zu einem Gast.«

Er sah zuerst die Frau an, dann den Steinmetzen. Der ältere Mann nickte. Gherid seufzte und zuckte resigniert die Achseln. »Na schön, dann komm mit… Limma, so war doch dein Name?«

»Ja.«

Sie folgte ihm zurück zu der Treppe und von dort aus weiter aufwärts. Während sie die Stufen emporstiegen, fing Emerahl starke Gefühle von dem jungen Mann auf. Eine Mischung aus Schuldgefühlen und Furcht. Sie konnte Bruchstücke seiner Gedanken lesen.

… Ich kann sie nicht töten! Aber ich muss es tun, wenn sie

Erschrocken zögerte sie, dann griff sie nach Magie und formte einen Schild um sich herum. Warum dachte er, dass er sie vielleicht würde töten müssen? Glaubte er, sie würde versuchen, ihm etwas anzutun? Oder ihm etwas wegzunehmen? Gewiss konnte er nicht denken, dass sie ihn zwingen würde, Informationen preiszugeben, die er für sich behalten wollte.

Ich bin eine Heilerin. Eine Zauberin. Beides könnte bedeuten, dass es, sei es durch Drogen oder Folter, in meiner Macht steht, ihn dazu zu zwingen, mir Dinge zu erzählen, die er nicht offenbaren will.

So oder so, es gab offensichtlich etwas, das er nicht preisgeben wollte. Inzwischen waren sie oben auf dem Felskliff angelangt. Gherid ging wortlos am Rand des Felsens entlang. Emerahl beobachtete ihn genau. Sie spürte, dass er irgendeine Art von Vorsichtsmaßnahme ergriff. Als sie stehen blieben, wurde ihr klar, dass sie sich weit jenseits des Stadtrandes befanden. Sie stand jetzt vor einem tiefen Abgrund. Hat er die Absicht, mich hinunterzustoßen?

»Also, was willst du wissen?«, fragte er.

Sie sah ihm in die Augen. »Ist es wahr, dass du der Möwe begegnet bist?«

»Ja«, antwortete er. »Das weiß jeder.«

Sie spürte, dass er die Wahrheit sagte, und ein Stich des Mitgefühls durchzuckte sie.

»Niemand glaubt dir, oder?«

»Und du tust es?«

Sie nickte. »Aber das ist nicht der Grund, warum du die Geschichte nicht mehr erzählen willst, nicht wahr?«

Er starrte sie an, und seine Angst und seine Schuldgefühle nahmen noch zu. Was sie auch sagen mochte, nichts würde ihn beruhigen können. Sie beschloss, ein Glücksspiel zu wagen.

»Du hast ein Versprechen gegeben«, stellte sie fest. »Hast du es gebrochen?«

Er errötete. Sie ahnte langsam, wie er die Begegnung mit der Möwe empfunden haben musste. Nach seiner Rettung durch ein mystisches Wesen hatte er eine Erklärung für das Geschehene benötigt und so viel von seiner Geschichte erzählt, wie er glaubte, wagen zu können, bis ihm eines Tages eine Einzelheit entschlüpft war, die er nicht hatte offenbaren wollen.

»Warum willst du das wissen?«